Fritz50: Die 1990er Jahre im Fritz-Heckert-Gebiet

Mit der europäischen Neuordnung von Gesellschaft, Wirtschaft und Politik nach 1989/1990 trat eine gegensätzliche Entwicklung zwischen den ostdeutschen Neubaugebieten im Vergleich zu ihren osteuropäischen Schwestern ein.

Neben der teilweise deutlich größeren Wohnungszahl unterschieden sich osteuropäische Neubaugebiete nach 1990 vor allem in der Akzeptanz und in der Eigentümerstruktur von ihren ostdeutschen Pendants.

Weiterführende Informationen

Hinweis:

Die Texte stammen von Autor und Historiker Norbert Engst. Die Stadt Chemnitz dankt für die wertvolle Unterstützung und Mitarbeit.

Die Flachdächer der Wohnhäuser, wie hier im Jahr 1995 auf der Max-Müller Straße 40-68, waren bei Jugendlichen beliebt – beispielsweise im Sommer als Sonnenplatz und zum Jahreswechsel als Aussichtspunkt.

Während im Neubaugebiet Leipzig-Grünau ein starker Einwohnerrückgang zu registrieren war, erfolgten in Warschau-Bemowo, in Prag-Řepy, in Bratislava- Petržalka oder in Sofia-Mladost annähernd keine Rückgänge und häufig sogar noch ein Bevölkerungsanstieg. Während die Privatisierungsversuche in den fünf östlichen Bundesländern nur geringe Erfolge aufwiesen, wurden die osteuropäischen Wohnungsbestände ihren Mietern nach 1990 zu sehr geringen Preisen zum Kauf angeboten. Anders als hier entfiel allerdings in Osteuropa häufig die Möglichkeit, die eigene Wohnung weiterhin zu mieten.
 

Im Chemnitzer Fritz-Heckert-Gebiet dauerte es knapp eineinhalb Jahrzehnte, bis eine Konsolidierung stabile soziale, politische und wirtschaftliche Bedingungen für die jeweiligen Akteure ermöglichte. In den frühen 1990er Jahren, als in der Chemnitzer Verwaltung Grundstückspläne noch in Wäschekörben gelagert wurden, steuerte dieser Wohngigant ohne klare Richtung durch das Meer von städtebaulichen, architektonischen und sozialen Umwälzungen. Doch wo Risiken vorhanden sind, da sind auch Chancen nicht weit.
 

Das Areal zwischen Wladimir-Sagorski-Straße und Südring, die Morgenleite, stellte eine Baubrache mit zurückgelassenen Kabeltrommeln, Betonplatten, Ölfässern und Erdhaufen dar. Damit war das Gebiet ideal für Jugendliche mit Mopeds oder zum Verstecken geeignet. Ebenso zogen die Flachdächer mancher Wohnhäuser Jugendliche an, entweder zum Sonnenbaden im Sommer oder als Aussichtspunkt zum Jahreswechsel.
 

Das Bild aus dem Jahr 1995 zeigt ein demontiertes Autowrack am Straßenrand an der Dittersdorfer Straße.

Aber auch in der Verwaltung und bei Investoren herrschte punktuell Unsicherheit über Eigentümerstrukturen und Grundstücksgrenzen. So bestand bei manchen Versorgungszentren Unklarheit, wem die Flächen nach der Wende korrekterweise gehören und wer der legitime Rechtsnachfolger des jeweiligen Nutzers zu DDR-Zeiten ist. Beratungsunternehmen empfahlen ihren Kunden, möglichst schnell mit der Realisierung ihrer Investitionen zu beginnen, da die Bestrebungen einiger an den Versorgungszentren interessierter Investoren deutlich mit den Interessen der Stadt kollidierten. Die Umsetzung der Investorenpläne wäre nämlich nur so lange möglich, wie die Stadt noch kein anderslautendes Zentrenkonzept entwickelt und beschlossen hat.
 

Interessant sind soziologische Studien Anfang der 1990er Jahre über die Wechselwirkung von Neubaugebieten am Stadtrand zur Innenstadtentwicklung. Soziologen erkannten: "Der soziale Frieden in den Neubaugebieten ist Voraussetzung für die weitreichende innerstädtische Erneuerung". Im Umkehrschluss bedeutet dies, die nachhaltige Entwicklung der Chemnitzer Innenstadt ist nur erfolgreich, wenn der soziale Friede im Fritz-Heckert-Gebiet sichergestellt ist.

In der Folge entwickelten die Stadt Chemnitz zusammen mit Sozialträgern Konzepte zur Förderung von Jugendlichen und Menschen in allen Lebenslagen. Es gelang, in jedem Stadtteil sinnvolle Angebote zur Freizeitgestaltung zu etablieren. Seit Ende der 1990er Jahre ermöglichen jährlich stattfindende Feste den gegenseitigen Austausch und das Kennenlernen.

 

 

 

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