Historische Mikwe

Abgang zum rechteckigen Tauchbecken, dahinter ein runder Schacht, mit dem sich das Wasser regulieren ließ

Zur Bauvorbereitung der „Neuen Johannisvorstadt“ führte das Landesamt für Archäologie Sachsen eine Rettungsgrabung durch. Zunächst legte man die recht gut erhaltenen Kellermauern des Gasthofs „Goldner Anker“ frei und stieß dann im Februar 2022 auf einen unerwarteten Fund: die Reste einer Mikwe. Sie ist zwischen dem 15. und 18. Jh. gebaut worden, also genau in jenen Jahrhunderten, in den es in Chemnitz keine jüdische Ansiedlung gegeben haben dürfte. Diese Entdeckung hat daher die Historiker sehr überrascht, aber sie ist auch für Archäologen bedeutsam, denn in Sachsen war bisher keine alte Kellermikwe bekannt. Entsprechend groß war das nationale und internationale Echo auf diesen Fund.

Der Vorraum, die kurze Treppe, das für einen Kellerraum aufwändig gestaltete Tauchbecken, das Wasserreservoir und der Durchlass dazwischen – all das passt nicht nur zu anderen Kellermikwen, sondern die Konstruktion und Maße stehen auch weitgehend im Einklang mit den rituellen Vorschriften.

Die Mikwe stammt aus einer Zeit, in der es Juden eigentlich verboten war, in Sachsen ansässig zu werden (Ausnahme: Leipzig und Dresden). Dieser offenkundige Widerspruch beschäftigt nun die Historiker und sie gehen jüdischen Spuren im alten Chemnitz nach. 1766 wurde es z.B. drei jüdischen Unternehmern aus Mähren erlaubt, hier eine Pottascheproduktion aufzubauen und sich mit ihren Familien niederzulassen.

Vielleicht war die Mikwe für durchreisende jüdische Kaufleute aus Böhmen und Mähren gedacht. Wenn diese die Leipziger Messe besuchen wollten, dann durften sie nur eine festgelegte Route nehmen und mussten in Chemnitz Zoll und Geleit bezahlen.

Die eingehauste Mikwe

Die historische Mikwe ist derzeit in einen Schutzmantel aus Beton eingehüllt, der sie während der Bauarbeiten vor Schäden bewahren soll. Er wird auch danach für einige Jahre bleiben, weil das fragile Denkmal beobachtet werden muss. Ihre dünnen Backsteinmauern standen ja (bedingt durch die Funktion) über Jahrhunderte halb im Grundwasser - aber niemand kann vorhersagen, wie sich nun der Grundwasserspiegel entwickelt und wie die alten Ziegel und der Mörtel auf eine veränderte Situation reagieren werden. Erst nach dieser jahrelangen Beobachtung kann man eine fundierte und verantwortbare Entscheidung treffen, ob und wie die Mikwe öffentlich gezeigt werden kann, ohne dass sie dadurch Schaden nimmt.

Diese Zeit des Abwartens birgt die große Gefahr, dass der Fund der Mikwe wieder aus dem öffentlichen Bewusstsein verschwindet. Daher bietet die Arbeitsgruppe Mikwe Chemnitz regelmäßig Veranstaltungen und Ausstellungen an und die Website „mikwe-chemnitz.de“ informiert über die Hintergründe. Geplant sind auch ein Tastmodell der alten Johannisvorstadt, eine Info-Stele und ein virtueller Zwilling der Mikwe. Dadurch soll dieser verborgene Schatz auch den Besuchern im Jahr der Kulturhauptstadt erfahrbar werden.

Macher der Woche-Interview mit Dr. Thomas Schuler von der AG Mikwe

Dr. Thomas Schuler ist Mitglied in der AG Mikwe.

Im Macher der Woche-Interview erklärt Dr. Thomas Schuler von der AG Mikwe, wieso der Chemnitzer Fund so bedeutend ist und was Gäste der Ausstellung erwartet.

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Weitere Informationen


Die alte und die neue Johannnisvorstadt; Als Kartengrundlage dient eine Rekonstruktion von H. Richter; sie zeigt Chemnitz zwischen 1470 und 1630

Die alte und die neue Johannnisvorstadt

Beim Wiederaufbau nach dem 2. Weltkrieg entstand hier eine komplett andere Straßenführung; sie ist zur Orientierung mit grauen Streifen markiert. Die geplanten Karrees der "Neuen Johannisvorstadt" sind in Hellgrau angedeutet. Das nördlichste, das Johanniskarree, ist bereits im Bau, die anderen sind noch in Planung.

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