Rede zur Kundgebung "Chemnitz für Demokratie und Menschlichkeit" am 24. Januar 2024
Foto: Kristin Schmidt
Liebe Chemnitzerinnen und Chemnitzer,
es freut mich, dass Sie heute alle da sind, um erneut ein starkes Zeichen für die Werte zu setzen, die das Fundament unserer Gesellschaft bilden.
Sie und ich, wir stehen hier gemeinsam für Vielfalt, Toleranz, Weltoffenheit, Meinungsfreiheit. Für die Würde aller Menschen und ein friedliches Miteinander! In unserer Stadt, in unserem Freistaat, im gesamten Land.
Wir stehen hier gemeinsam für einen Rechtsstaat, in dem alle Menschen ohne Angst leben können. Für ein Land, das fester Bestandteil einer internationalen Staatengemeinschaft ist, in der die Achtung der Menschenrechte, des Friedens und der Völkerverständigung sowie demokratische Teilhabe die Grundlagen für das Zusammenleben bilden.
Wenn diese Werte, die in unserem Grundgesetz fest verankert sind, angegriffen werden, wenn manche offen oder verklausuliert dazu aufrufen, unsere Demokratie anzugreifen, dann darf das nicht unwidersprochen bleiben. Dann ist es Zeit, aufzustehen und Gesicht zu zeigen. Dafür sind wir heute hier und dafür bin ich Ihnen dankbar.
Ja – wir leben in einer Zeit, in der Zweifel wachsen. Zweifel an Entscheidungen, Zweifel an handelnden Personen, Zweifel an dem eingeschlagenen Weg. Nun ist Zweifeln an sich nichts Schlimmes – fragwürdig ist nur, wie diese Zweifel immer öfter vorgetragen und von Demokratiefeinden wissentlich missbraucht werden.
Natürlich ist es legitim, seine Meinung zu politischen Entscheidungen frei zu äußern. Ja, man darf dabei auch „auf die da oben“ schimpfen und seinem Ärger öffentlich Luft machen. Denn genau diese Freiheit der Meinungsäußerung ist es, die unser Grundgesetz sicherstellen will. Und ja – eine starke Demokratie muss auch Kritik und harte Kontroversen aushalten.
Doch eines muss allen klar sein: die freie Meinungsäußerung endet dort, wo die Würde des Menschen verletzt wird. Dort wo zum Hass auf andere aufgestachelt wird, wo Menschen verächtlich gemacht oder als minderwertig bezeichnet werden.
Wo das geschieht, werden die Grenzen unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung überschritten! Und dem müssen wir uns als Gesellschaft entschieden entgegenstellen!
Und genau dafür sind wir heute hier!
Denn denjenigen, die immer öfter und immer lauter schreien, die für jedes Problem vermeintliche Sündenböcke präsentieren, die immer wieder scheinbar einfache Lösungen suggerieren, denen geht es nicht um einen demokratischen Diskurs und erst recht nicht um politische Alternativen.
Nein – diese Leute wollen etwas ganz anderes! Sie wollen
- die wirtschaftliche und politische Isolation Deutschlands,
- eine Abkehr vom Wohlfahrtsstaat und
- den Abschied von der europäischen Idee des friedlichen Zusammenlebens in einem geeinten Europa.
Doch das ist nicht ihr einziges Ziel!
Wenn Rechtsextremisten heute ganz unverhohlen von „Remigration“ sprechen, dann bedeutet das nichts anderes, als dass Millionen Menschen gegen ihren Willen aus unserem Land vertrieben werden sollen. Es bedeutet nichts anderes, als die dumpfe Parole „Ausländer raus!“.
Das betrifft uns alle gemeinsam:
Familienangehörige, Nachbarn, Freunde, Kolleginnen und Kollegen. Menschen, die allein auf Grund ihrer Abstammung nicht in das rechte Weltbild passen, sollen massenhaft abgeschoben werden, ganz gleich, wie lange sie schon in unserem Land leben. Und das im Zweifel sogar mit Gewalt.
Aber das werden wir nicht zulassen! Deshalb stehen wir heute hier, um gemeinsam mit vielen Hundertausenden Gleichgesinnten den Extremisten in unserem Land deutlich zu machen:
- Wir wollen eure Ideologie nicht, die auf Hass und Ausgrenzung beruht!
- Wir haben durchschaut, wer ihr seid und was ihr wollt!
- Und wir werden euch dieses Land nicht überlassen!
Die Demokratie ist das Fundament unserer freiheitlichen Gesellschaft und gerade wir hier im Osten der Republik wissen, dass diese Demokratie hart erkämpft wurde. Es liegt an uns allen, sie zu bewahren und zu stärken. Gerade in Zeiten der Unsicherheit und gesellschaftlichen Umbrüche ist es wichtig, Brücken zu bauen, sich gegenseitig zuzuhören, für Argumente offen und kompromissbereit zu sein. Auch, wenn das manchmal anstrengend ist.
Ich war das vergangene Wochenende in Bad Ischl, in Österreich, zur Eröffnung des Kulturhauptstadtjahres 2024. Es war eine freudige, ausgelassene Stimmung, mit einem internationalen Publikum, das gastfreundlich von den Einheimischen begrüßt wurde.
Ein Auftritt ist bei mir besonders hängengeblieben. Der von Thomas Neuwirth, besser bekannt als Conchita Wurst. Nicht nur musikalisch, sondern auch politisch. Der Sänger appellierte an das Publikum im Hinblick auf die diesjährigen Wahlen in Österreich: „Wir haben ein Wahljahr vor uns. Bitte geht alle wählen. Und denkt bei der Wahl an die Menschlichkeit. Sonst wird es ziemlich dunkel.“
Auch wir haben es in diesem Jahr in der Hand, in welche Richtung sich unsere Stadt und unser Land entwickeln!
Deshalb appelliere ich an alle: Nutzen Sie Ihr Wahlrecht und schauen Sie genau hin! Denn nur wer sich beteiligt, kann die Zukunft unseres Landes mitgestalten. Mit ihrer Stimme entscheiden Sie über die Zukunft unserer Demokratie.
Helfen Sie mit, dass Chemnitz eine authentische, weltoffene Stadt bleibt, die sich 2025 als Kulturhauptstadt Europas ihren Nachbarn vielfältig präsentiert und Gäste aus dem In- und Ausland mit Freude und offenen Armen empfängt!
Zeigen wir, dass wir stolz auf unsere Stadt und unser Land sein können und, dass es nicht die Krawallmacher und Ewiggestrigen sind, die hier den Ton angeben!
Erich Kästner sagte über die grausamen Ereignisse von 1933 bis 1945: „Sie hätten spätestens 1928 bekämpft werden müssen. Später war es zu spät. Man darf nicht warten, bis der Freiheitskampf Landesverrat genannt wird. Man darf nicht warten, bis aus dem Schneeball eine Lawine geworden ist. Man muss den rollenden Schneeball zertreten. Die Lawine hält keiner mehr auf. Sie ruht erst, wenn sie alles unter sich begraben hat. Das ist die Lehre, das ist das Fazit dessen, was uns 1933 widerfuhr. Das ist der Schluss, den wir aus unseren Erfahrungen ziehen müssen.“
Deshalb:
Sorgen wir gemeinsam dafür, dass sich Geschichte nicht wiederholt! Seien wir wachsam und stellen uns extremistischen Bestrebungen in den Weg! Schützen wir gemeinsam unser Land vor den Feinden der Demokratie. Nicht nur heute, sondern jeden Tag aufs Neue!
Vielen Dank!
(Es gilt das geprochene Wort)