Chemnitzer Zeitzeugen: Albrecht Günther
Meine Geschichte zum Kriegsende in Chemnitz
Ich weiß zwar nicht, ob es exakt zum 5. März 1945 passiert ist, aber ich habe aus dieser Zeit mehrere für mich einschneidende Erlebnisse.
Abgesehen davon, dass ich im Kinderwagen sitzend in der Nacht vom 13. auf 14. Februar 1945 vom damaligen „Rosenplatz“ in Rabenstein den roten Himmel gesehen habe, als Dresden in Schutt und Asche fiel. Diesen „roten Himmel“ habe ich heute noch vor Augen. Später, als ich größer wurde, habe ich begriffen, dass meine Großeltern in Dresden in der Gambrinusstraße1 wohnten. Schließlich liege ich mit starken Herzklopfen im Bett, wenn ich heute in der Nacht eine Sirene höre, und kann danach nur sehr schwer einschlafen.
Ich bin in Rabenstein geboren. Mein Vater war in Chemnitz bei der Feuer-Schutzpolizei in der Hauptfeuerwache „Schadestraße“ als technischer Beamter und Fahrlehrer stationiert. Etwa um die Zeit kurz vor Kriegsende war mein Vater mit einem Funkwagen der Feuerwehr, der allerdings in feldgrauer Farbe der Wehrmacht lackiert war, zu uns nach Rabenstein gekommen, weil er wegen einer Abkommandierung nach Prag sich von meiner Mutter und mir verabschieden wollte. Auf der Fahrt vom Stadtzentrum nach Rabenstein war Fliegeralarm gegeben worden.
Da beim Erreichen unserer Wohnung inzwischen Vollalarm für den Raum Chemnitz ausgelöst worden ist, hat mein Vater spontan entschieden, dass meine Mutter mit mir in den Funkwagen einsteigen sollte und wir in den Rabensteiner Wald flüchten.
Dazu muss man wissen, dass ja bei „Vollalarm“ sämtliche Luftschutzeinrichtungen von innen geschlossen wurden und niemand mehr eingelassen worden ist. Unsere Wohnung war zudem im Keller nicht als Luftschutzraum zugelassen und meine Mutter musste bei Fliegeralarm stets mit mir auf dem Arm in das Nachbarhaus flüchten. Dort war ein Luftschutzraum behelfsmäßig hergerichtet worden, indem die Kellerdecke gesondert durch Balken abgestützt und vor dem Kellerfenster dicke Steinplatten verbaut worden waren.
Jedenfalls fuhr mein Vater in großer Eile in den Rabensteiner Wald auf der Totensteinstraße. Ich saß bei meiner Mutter rücklings auf dem Schoß und konnte daher auf der Beifahrerseite etwas aus dem Fenster schauen, als ich plötzlich bemerkte, dass in Fahrtrichtung Wüstenbrand rechts neben dem Fahrzeug, in dem wir saßen, mehrere gewaltige braune Dreckfontänen aufstiegen. Ich kann mich noch gut erinnern, dass meine Mutter mit ihren Händen mir den Kopf wegdrehen wollte, um mich zu schützen. Aber ich war von diesen Bildern, die ich sah, so fasziniert, dass ich da unbedingt hinschauen musste.
Jahre später hatte mir mein Vater anlässlich eines Spazierganges auf der Totensteinstraße diese Bombentrichter gezeigt, die bis heute sichtbar und inzwischen mit Wasser vollgelaufen und teilweise mit Gebüsch zugewachsen sind. Es waren offensichtlich die Bomben eines sogenannten Jabos, der den Funkwagen für ein militärisches Fahrzeug gehalten hat und uns wirklich auf der Totensteinstraße durch seine Bomben nur sehr knapp verfehlt hatte.
Trotz meiner damals nur 2 ¼ Lebensjahre ist das bis heute ein Ereignis, was ich stets bildhaft vor mir habe, als wäre es ein Erlebnis von gestern gewesen wäre.