Chemnitzer Zeitzeugen: Marianne Bregula
Meine schrecklichen Erinnerungen an die Bombenangriffe im Februar und März 1945 auf Chemnitz:
Ich war damals knapp 15 Jahre alt und arbeitete als Pflichtjahrmädchen in dem Molkereigeschäft in der Fichtestrasse Ecke Rudolfstrasse.
Das Lutherviertel war schon im Februar 1945 mehrmals bei Tagesangriffen das Ziel, wobei umliegende Häuser meiner Arbeitsstätte getroffen wurden. Ich habe noch heute das schreckliche Rauschen und das Krachen der Sprengbomben in den Ohren.
Als am 5. März vormittags wieder die Sirenen heulten, war ich gerade dabei in den Häusern auf der Bernhardtstrasse die Milch auszutragen. Ich wollte nicht in fremde Keller gehen, deshalb rannte ich zu dem Haus, in dem ich arbeitete. In diesen Kellergängen mit gewölbten Decken fühlte ich mich einigermaßen sicher. Ich begab mich jedoch nicht wie sonst üblich in den Kellergang entlang der Rudolfstrasse, sondern in den Gang der Fichtestrasse, und das war mein großes, unbeschreibliches Glück.
Als ich die Flugzeuge kommen hörte, verfluchte ich innerlich die Lutherkirche, denn sie diente immer als Anflugsziel. Plötzlich ohne vorherigem Rauschen zwei gewaltige Detonationen, der Kellerboden schwankte und danach spürte ich wie das Haus über uns zusammenbrach. Hinter mir stürzte die Kellerdecke ein und begrub die Leute, die sich im Kellergang zur Rudolfstrasse befanden. Wie viele Menschen dabei umgekommen sind, habe ich nicht erfahren. Es waren sicher Einige, denn es wohnten viele Leute in diesem großen Eckhaus. Wir, die vom Einsturz der Kellerdecke verschont gebliebenen, konnten kaum noch atmen, denn der Mörtelstaub legte sich auf unsere Lungen. Wir waren ringsherum zugeschüttet, es war stockfinster und wir konnten nicht heraus. Durch den Mauerdurchbruch gelangten wir endlich über das Nebenhaus und durch ein Kellerfenster ins Freie. Draußen bot sich ein grauenvoller Anblick. Wo vorher das Haus stand, war nur noch ein großer Steinhaufen. Rettungstrupps, es waren kriegsgefangene Soldaten, fingen schon an zu buddeln, um vielleicht noch Lebende zu bergen. Ein kleiner Junge wurde lebend ausgegraben und mir in die Arme gegeben. Seine Mutter und sein Zwillingsbruder waren wahrscheinlich tot. Ich brachte den Jungen zur Rettungsstelle in die Rudolfschule. Der Weg dorthin fiel mir sehr schwer, denn es lagen auf den umliegenden Straßen überall Berge von Schutt getroffener Häuser. Die Rettungsstelle war schon total überfüllt. Die Schmerzensschreie der verletzten Menschen kann ich nicht vergessen.
Als ich endlich gegen Abend, so wie ich aus dem Keller kam mit Kopftuch und Mörtelstaub auf der Kleidung, nach Hause kam, konnten sich meine Eltern und Geschwister gar nicht vorstellen, was ich an diesem Tag erlebt hatte, denn auf dem Kaßberg merkten sie fast gar nicht von dem Angriff.
Als ein paar Stunden später der Großangriff auf Chemnitz begann und ich wieder in einen Keller musste, gingen mir die Nerven durch. Mein Elternhaus blieb von den Bomben verschont. Das war mein zweites großes Glück an diesem so schrecklichen Tag.
Ich hoffe, dass ich so etwas Furchtbares nie wieder erleben muss.