Chemnitzer Zeitzeugen: Traudel Dahlstroem

Gegen 10 Uhr gab es Voralarm, die Schule war aus, wir rannten nach Hause.

Meine Eltern und ich -12 Jahre alt- wohnten in Siegmar in einem 3- geschossigen Mietshaus in der Louisenstraße (heute Curiestraße), Ecke Jagdschänkenstraße und damit mitten in der Verbindungslinie zweier kriegswichtiger Industriebetriebe: den Wanderer Werken in Siegmar (heute Heckertwerke) auf der einen und den Diamantwerken auf der anderen Seite. Wie wir heute wissen, wurden dort Panzermotoren bzw. Handfeuerwaffen produziert. Der Bahnhof Siegmar, ebenfalls ein strategisches Ziel, befindet sich in 300m Entfernung.

Meine Eltern mussten eine Vorahnung gehabt haben, dass es eine Katastrophe geben könnte. Meine Mutti und ich brachten an diesem Tag einige der uns wichtigen Dinge vorsorglich in den Keller. Mein Vater war auf Arbeit. Er war Werkmeister bei Elite- Diamant, galt als unabkömmlich und war nicht für den Kriegsdienst eingezogen worden.

Kaum im Keller angekommen schlug eine Bombe mit unbeschreiblichem Lärm in unser Haus ein. Es gab eine Explosion – eine Sprengbombe.

Der Schutt verschloss Türen und Fenster. Wir waren gefangen, tiefe Dunkelheit, der Staub drang in Augen, Nase und Mund. Atmen war fast unmöglich. Das Wasser im Eimer konnte man nicht trinken; es war matschige Brühe geworden.

Meine Mutter kurz ohnmächtig, ich völlig hilflos, hatte Angst, die Kellerdecke würde noch einstürzen und uns begraben.

Nach einiger Zeit, die Sirenen hatten Entwarnung gegeben, hörten wir Stimmen. Nachbarn räumten den Schutt weg von den Kellerfenstern, nach ca. 2 Stunden gelangten wir ins Freie. Eine Mitbewohnerin hat es nicht überlebt. Frau Dohrandt, so um die Sechzig, war in ihrem Keller von herabstürzenden Steinen erschlagen worden.

Die Bombe hatte die Westfassade des Hauses von oben bis unten weggerissen.

Wir blickten von der Straße aus in die Wohnzimmer. Im 2. Stockwerk ragte ein schwarzes Klavier halb aus dem Haus heraus.

Unser Haus war das einzige Wohnhaus in der Umgebung, das an diesem Tag getroffen wurde.

Eine große Katastrophe ereignete sich jedoch hinter dem Bahnhof Siegmar.

Ein vollbesetzter Sanitätszug mit Flüchtlingen aus den deutschen Ostgebieten, wurde von Bomben getroffen als er den Bahnhof gerade verlassen hatte. Mehrere Waggons stürzten vom Bahndamm und von der Brücke auf die darunter führende Zwickauer Straße.

Wir sahen viele Tote und Verletzte, auch viele Kinder darunter.

Nun lebe ich 75 Jahre im Frieden, aber ich habe die Befürchtung, dass die Erinnerung an diesen fürchterlichen Krieg auch in Deutschland verblasst.

Hoffen wir trotz der schrecklichen Beispiele in der Welt, dass wenigsten in Europa durch kluge Politik der Frieden weiter gesichert werden kann.
 

Hier hat die Zeitzeugin ihre Geschichte erlebt:

Zeitzeugen-Broschüren

Der ewige März

Titelbild der Broschüre

Erinnerungen an eine Kindheit im Krieg


Die letzten Zeugen

Titelbild der Broschüre

Als das alte Chemnitz im Bombenhagel starb

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