Chemnitzer Zeitzeugen: Wolfgang Eckart
Am 5. März 1945 gab es Alarm. Wir mussten vom Hinterhaus in den Keller vom Vorderhaus und haben gewartet, bald eine Stunde. Der Hauswirt sagte dann: „Gehen wir wieder in die Wohnung, bleiben aber wach.“ Dann kam wieder ein Signalton und wir sind wieder in den Keller gerannt und schon hörten wir die Bomber kommen. Leises Fallen der Bomben. Das Gebrumme wurde immer lauter. Im Vorderhaus wohnte unterm Dach ein junges Mädel, die gerade ein Baby gekriegt hatte. Sie fing an zu schreien: „Ich habe mein Baby noch oben und die Bomben fallen schon!“ Ein junger Kerl wohnte bei uns und sagte: „Geben Sie den Schlüssel her!“ Er rannte hoch. Trotz, dass die Bomben fielen, ist er hoch gerannt, hat das Kind geholt. Alles, was er so kriegen konnte, Windeln und Flasche, hat er gerettet, denn am nächsten Morgen gab‘s das Haus nicht mehr. Alles war runtergebrannt.
In dieser Nacht schlug gegenüber in die Schule eine Mine ein. Und die Druckwelle war so groß, dass es aus den Kellerklappen den ganzen Russ rausgehauen hat und wir haben keine Luft mehr gekriegt. Man hat damals schon Mauerdurchbrüche durch die Nebenhäuser vorbereitet. Die Leute von nebenan wollten sich zu uns retten, und wir wollten uns zu denen retten. Links wie rechts, keiner kam vorwärts, keiner kriegte mehr Atem. Alle hoch, die Treppen hoch und die Kellertür war zu.
Ich hatte während dieser Bombennacht einen Ziegelbrocken auf den Rücken abbekommen. Aber aus Angst habe ich schon gar nichts gesagt. Ich konnte mich noch bewegen. Ein Mann hat sich mindestens zehn Mal die Treppen hoch gegen die Tür gestemmt, bis er sie so ein kleines Stück aufgekriegt hatte und wir haben uns alle gerettet. Da gab‘s keine dicken Personen.
Nun standen wir draußen im Freien, aber die Bomben fielen ja noch. Als neunjähriger Junge musste man das erleben. Dass um einen herum die Bomben fallen und man nicht weiß, wo man vor Angst hinsoll.
Wir sind nach Hilbersdorf gelaufen. Wir sind von Tante zu Tante, bis man gesagt hat: „Dort ist eine Wohnung frei.“ Die haben wir uns geteilt. Jede Familie hat sich mit einer anderen Familie arrangiert, dass keiner im Freien übernachten brauchte. Aber zu essen hatte keiner was. Drei, vier Tage lang hatten wir nichts zu essen. Alles war kaputt. Und in unserer Not, was haben wir Jugendlichen gemacht? Durch die Kellerfenster sind wir in die Häuser. Da konnte man manchmal in Regalen noch eingemachtes Gläserzeug sehen. Das haben wir uns natürlich geholt. Und so sind wir gerade so über die Runden gekommen. Das war eine Hungersnot, die kann sich keiner vorstellen.
Also, das Beste ist, keinen Krieg anzuzetteln. Alles andere ist unwichtig.