Chemnitzer Zeitzeugen: Siegfried Kemter
Am 6.2.1945 wurde vormittags das Südviertel um die Lutherkirche angegriffen. Dabei wurde unser Haus auf der Senefelder Str. getroffen und zum Teil das Haus abgerissen. Es wurde niemand verletzt, das Haus musste sofort geräumt werden. Meine Mutter und ich fanden Unterkommen im Elternhaus meiner Mutter in der Annenstrasse. Die Reste unserer Einrichtung haben wir mit Handwagen in wochenlangen Transport dorthin gebracht.
Am 5.3.1945 zum Großangriff auf Chemnitz waren wir in der Annenstrasse. Als abends der Alarm ausgelöst wurde, mussten wir in den zentralen Luftschutzkeller in die Schule Reitbahnstrasse / Annenstr. gehen, da in unserem Keller auf der Annenstr. die Kellerfenster tiefer lagen als die Straße. Tatsächlich ist Phosphor reingelaufen. Im zentralen Luftschutzkeller waren ca. 600 Personen. Die Verhältnisse hinsichtlich Luft, Ängste und Geräuschen von außen kann man sich vorstellen. Trotz noch laufenden Alarm mussten wir schnellstens den Keller verlassen, da die Schule getroffen wurde. Der Anblick, als wir auf die Straße kamen, war furchtbar. Ringsum brannte alles, es war ein Sturm. Nachdem alle die Schule verlassen hatten, stürzten große Teile der Schule ein. Zu unserem Haus an der Annenstrasse konnten wir nicht mehr. Wir flohen in Richtung Bernsbach Platz Reichenhainer Strasse über Trümmer an umstürzenden Häusern vorbei.
Wir hatten alles verloren. Meine Mutter hatte nur noch eine Tasche mit Papieren, ich hatte den Schulranzen und ein Netz mit nassen Betttüchern. Die Betttücher hatten wir umgelegt zum Schutz gegen Feuer.
Vor der Reichenhainer Strasse sind wir über Felder in Höhe der Technischen Hochschule in Richtung Erfenschlag gelaufen. Es hatte geschneit und alles sah weiß aus. Da kamen Tiefflieger und haben auf die Fliehenden geschossen. Wir haben uns mit unseren Betttüchern in den Schnee gelegt. Danach ging es weiter Richtung Erfenschlag. An der Eisenbahnbrücke (Linie Richtung Aue) wurden wir zurückgewiesen, weil Erfenschlag und Einsiedel auch bombardiert wurden. Es war mittlerweile Mitternacht. Es ging jetzt in Richtung Annaberger Strasse. Auf der Schulstr. haben wir uns bei bekannten Leuten bis früh um 6:00 Uhr ausgeruht. Unser Anlaufpunkt war uns vorgegeben ins Rathaus Harthau. Dort wurden wir sofort weitergeschickt Richtung Klaffenbach, dort sollten wir uns melden. Wir wurden dort empfangen und an eine Familie vermittelt, die uns was zu essen gab und wir eine Nacht schlafen konnten. Den nächsten Tag sind wir von Klaffenbach nach Markersdorf gelaufen, dort hatten wir Verwandte. Dort waren aber schon viele Leute, deshalb mussten wir, nachdem wir wieder eine Nacht uns ausruhen konnten, weiterziehen. Unser nächstes Ziel war Hohenstein-Ernstthal. Wir sind dann von Markersdorf nach Siegmar-Schoenau gelaufen und haben gewartet bis ein Zug nach Hohenstein-Ernstthal fuhr. Am Donnerstag ca. 18:00 Uhr kamen wir in Hohenstein-Ernstthal an. Am Bahnhof sollten wir sofort weiterfahren. Nur weil wir dort Verwandte hatten, durften wir in die Stadt. Wer das miterlebt hat, weiß was Krieg bedeutet.