Chemnitzer Zeitzeugen: Lisbeth Scheinert

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Lisbeth Scheinert

„Wir mussten halb über Menschen steigen, da lag alles auf der Straße. Auf der anderen Seite brannte ein Haus, da war eine Brandbombe rein. Es waren noch Leute drin. Die haben geschrien. Die konnte keiner retten. Das vergisst man nicht.“

Lisbeth Scheinert war während des Bombenangriffs auf Chemnitz 16 Jahre alt und wohnte in Erfenschlag. Ihr Zuhause wurde durch eine Sprengbombe zerstört. "Gegenüber auf der Wiese lag eine Riesenbombe, ein Blindgänger, so groß wie eine Plakatsäule."

„Als Kinder waren wir oft beim Bauern, haben dort gespielt, ab und zu mal ‘ne Rübe rausgezogen. Wir waren sechs Mädchen, die haben immer zusammengehalten. Auf der zugefrorenen Zwönitz sind wir oft Schlittschuh gefahren.“ Eisschollen-Surfen mit Wäschestangen war auch angesagt. „Im Sommer waren wir baden drin oder spielten im Wald. Auch Ski und Schlitten sind wir gefahren, wir hatten ja paar schöne Berge.“ Ihr Vater arbeitete als Polier (Baustellenleiter), er baute den Chemnitzer Hof mit.

„In der Schule hatte ich’s bissel schwer. Denn Vater war im KZ Sachsenburg als politischer Häftling. Er war in der KPD. Das hing mir die ganze Schulzeit an. Vater wurde 1933 abgeholt.“ Angeblich hatte er eine der damals allgegenwärtigen Hitler-Eichen umgesägt. „Das stimmte aber nicht. Wir besuchten ihn sogar im KZ*.“ Ihr Vater kam später frei, wurde aber 1941 schnell zur Wehrmacht eingezogen, obwohl er schon 40 Jahre alt war.

1944 kam Lisbeth aus der Schule. „Im März 1945 war ich Haushalthilfe bei einer Familie in Erfenschlag. Am 5. hatte ich irgendwie  Vorahnungen. Ich war zu nichts zu gebrauchen. Abends kam der Angriff. Als die Sirenen heulten, sind wir wie üblich nach Einsiedel in den Bunker. Das war ein alter Bierkeller, Fels oben drüber, ein offener Gang. Massen von Leuten waren drin. Hunderte, wir haben ganz eng gestanden. Man hörte das Donnern, die Einschläge draußen. Dann wurde die Luft knapp. Und wir sind geschlossen nach unten gegangen, damit oben die Luft durchziehen konnte.“

Mitternacht verließen die Menschen ihren Schutzkeller. Da brannten die Häuser. „Wir mussten halb über Menschen steigen, da lag alles auf der Straße. Auf der anderen Seite brannte ein Haus, da waren noch Leute drin. Die haben geschrien. Das vergisst man nicht. Die konnte  keiner retten. In einem Kartoffelspeicher waren neun oder elf Leute drin gewesen. Und ausgerechnet in diesen Keller war eine Sprengbombe gegangen. Es hat die Leute zerfetzt und die Stücke der Menschen rausgehauen auf die Straße. An dieser Stelle mussten wir vorbei. Auf  dem Dorf kennt jeder jeden. Wenn Sie die gekannt haben und haben dann die Stücke liegen sehen – das vergessen Sie ihr Leben lang nicht mehr.“

Zu Hause war alles durch eine Sprengbombe zerstört. Gegenüber auf der Wiese lag eine Riesenbombe, ein Blindgänger, so groß wie eine Plakatsäule. Ein Trupp aus Torgau hat ihn entschärft. Ruhe zog dann immer noch nicht ein. Als die Alliierten kamen, besetzte die Rote Armee – so erinnert sich Lisbeth – bis zu einer alten Brauerei-Villa den Ort. „Von dort bis hoch nach Schwarzenberg gab‘s keine Besatzung. Dort trieb sich alles rum. Deserteure, SS, Gefangene. Da wurde bei uns geklaut, was nicht niet- und nagelfest war. Wollte ja jeder leben.“

„Einmal waren Russen da“, erinnert sich Lisbeth Scheinert. „Sie verlangten die Matka (Frau). Der Fleischer rief uns zu, wir sollten uns  verstecken. Da sind wir Mädels in ein Rohr gekrochen. Aber die Russen wollten nur einen Hammer (Molotok) haben, war wohl ein Übersetzungsfehler. Damit haben die dann ein Rad festgekloppt und sind weiter.“

„Holz holten wir im Wald. Da sah es grausam aus. Am besten brannte die Birke. Die Fichte musste ja erst getrocknet werden. Ganze Waldstücke sind bei Erfenschlag abgeholzt worden. Wir schaufelten Bombentrichter auf den Feldern zu, denn die Bauern mussten ja säen. Vater kam 1946 aus amerikanischer Kriegsgefangenschaft zurück. Er war in Frankreich desertiert.“

Lisbeth wurde erst Erzieherin, dann Industriekauffrau. „Meine fünf Mädels, mit denen ich spielte, haben alle den Krieg überlebt. Die letzte und beste Freundin ist vor zwei Jahren gestorben. Das hat mich ziemlich mitgenommen.“
 

Hier hat die Zeitzeugin ihre Geschichte erlebt:

Zeitzeugen-Broschüren

Der ewige März

Titelbild der Broschüre

Erinnerungen an eine Kindheit im Krieg


Die letzten Zeugen

Die letzten Zeugen

Als das alte Chemnitz im Bombenhagel starb

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