Chemnitzer Zeitzeugen: Günter Schellenberger
Im Jahr 1945, genauer gesagt, am 5. März des Jahres, hatte ein einschneidendes Erlebnis das Leben – nicht nur das unsere, sondern auch das unserer Großeltern, wie auch so vieler anderer Menschen aus unserer Stadt Chemnitz, aus den Fugen gehoben.
In den Abendstunden dieses Tages wurden wir, mein Bruder und ich, aus gutem Grund, wie auch schon in den letzten Wochen vorher, immer etwas zeitiger zu Bett gebracht als üblich, weil schon nach kurzer Zeit, so um 21:00 Uhr mit dem so gehassten – und üblichen Fliegeralarm zu rechnen war und wir aus dem Schlaf gerissen wurden.
So auch an diesem Tag, bzw. Abend. Fröstelnd – zittrig – und hastig zogen wir die bereitliegenden Kleidungsstücke an, nahmen unsere Schulranzen, die schon lange nicht mehr mit unseren Schulbüchern, sondern mit diversen Kleidungsstücken gefüllt waren und begaben uns 4 Stockwerke, von unserer Wohnung, in den sogenannten Luftschutzkeller unseres Mehrfamilienhauses, um den Dingen zu harren, die da auf uns zukommen sollten.
Wir brauchten auch gar nicht lange zu harren. Lauter werdende Motorengeräusche. Es klang, als würden auf der Straße, die damals noch üblichen dreirädrigen Motorkleinlaster, die mit Gemüse oder ähnlichem beladen waren, entlang fahren, folgte ein lautes Donnern und Krachen, bei dem wir, auf dem feuchten Boden des Luftschutzkellers hockend, einige Zentimeter emporgehoben wurden.
Ein Bretterverschlag, der als Splitterschutz vor dem Kellerfenster dienen sollte, kippte mit einem lauten Knall in den Luftschutzraum und hüllte uns in eine mächtige Staubwolke.
Auf Geheiß eines älteren Friseurmeisters a. D. aus unserem Haus, der die Gefährdungslage auf der Straße eingeschätzt hatte, verließen wir unser Wohnhaus, nicht wissend, inwieweit es von den Bomben getroffen – oder verschont wurde und liefen zwischen brennenden Häusern, die sich recht – und links des Ostplatzes befanden, in der Mitte zwischen den beiden Fahrbahnen unserer Straße und der Uferstraße in Richtung der Industrieschule, die uns in ihrem unversehrten Luftschutzkeller Schutz bot.
In derselben Nacht und auch zu etwa der gleichen Zeit dieses Luftangriffs, hatte eine Luftmine das Haus unserer Großeltern, Richterstr. 16, dem Erdboden gleich gemacht, wie wir später erfuhren. Es war nur der Kriegserfahrung unseres Großvaters zu verdanken, dass die Großeltern diesen Angriff überlebten.
Die Großeltern hatten sich während des Angriffs unter ein Kellergewölbe gestellt und waren somit den einstürzenden Mauern der Kellerdecke entkommen. Im Gegensatz zu den anderen Hausbewohnern, die nicht so viel Glück hatten.
Paradoxer- und dramatischerweise hatte sich ein etwa dreijähriger Junge einer Familie spielerisch von den anderen – im Luftschutzkeller befindlichen Personen, Händedrückend mit den Worten „Aufwiedersehen“ verabschiedet.
Das mag man deuten, wie man möchte, aber das waren seine letzten Worte gewesen, wie uns unsere Großeltern später berichteten.
Nein weitere Bewohner hatten ebenfalls diesen Angriff nicht überlebt.