Chemnitzer Zeitzeugen: Harry Scheuner

Als ich als kleiner Bub mit meinem roten Feuerwehrauto und dem andauernden Ruf „Tatütata, die Feuerwehr ist da…“ durch unsere kleine Wohnküche in jede Ecke kroch, ahnte ich noch nicht, dass zur gleichen Zeit der „Onkel mit dem schwarzen Schnurrbart“, der überall aus Zeitungen, aber auch von Bildern in Wohnungen so lieb schaute, gerade dabei war die Welt in Flammen zu setzen und ich diese nun direkt am 5. März 1945 auch an unserem Nachbarhaus in der Zinzendorfstraße selbst erleben musste.

Wir saßen oder hockten am Abend des 5. März nach dem sogenannten Voralarm der Sirene vom Dach der Altendorfer Schule im Keller meines Geburtshauses Zinzendorfstraße 19 (Luftschutzraum im Kellergang) in Altendorf, unmittelbar neben der St. Matthäuskirche. Durch ein Loch im Mauerdurchbruch zum Nachbarhaus Zinzendorfstr. 17, das dem Dachdeckermeister Alfred Mann gehörte, lauschten wir dem sogenannten Drahtfunk, der nur bei vorhandenen Telefonanschlüssen zu empfangen war. Dieser Drahtfunk, der, wie mir erinnerlich, ein penetrant aufdringliches Sendezeichen hatte, deren genaue Tonfolge ich nicht mehr wiedergeben kann, meldete andauernd „Starke feindliche Bomberverbände im Anflug auf Chemnitz“. So waren wir nach meiner Erinnerung eine geraume Zeit im Keller (nur Mutige wagten sich zeitweise an die Haustür), ohne dass etwas geschah und die Hoffnung keimte auf, unsere Stadt könnte nicht das Ziel sein. Diese wurde genährt als der Drahtfunk meldete: „Bomberverbände haben sich geteilt und drehen in südliche und nördliche Richtung ab“. Später wurde teilweise berichtet, dass dies ein Ausweichmanöver war, um die Stadt von zwei Richtungen aus anzugreifen und die Flak zu täuschen. So ertönte nach etwa insgesamt einer ¾ Stunde der beruhigende Ton der Vorentwarnung und einige rüsteten zum Aufbruch aus dem Keller.

Unmittelbar darauf kam plötzlich der immer durch alle Glieder fahrende Heulton des Hauptalarmes und man hörte auch schon das Brummen der Flugzeuge. Die Flak feuerte, Scheinwerfer-Strahlen kreisten am Himmel. Mutige liefen auf die Straße und berichteten, dass es taghell würde und viele sogenannte „Christbäume von Rottluff“ aus über uns hinwegzögen. Der Wind trieb diese Richtung Innenstadt, wodurch die westlichen Stadtbezirke wohl relativ glimpflich davonkamen und erst hauptsächlich ab Kaßbergmitte die Einschläge und Zerstörungen sich häuften. Anfangs hörten wir die Einschläge noch vereinzelt unmittelbar nach dem ersten Wahrnehmen des Motorenlärmes, bis ein ungeheurer lauter Schlag und Knall unser Haus erzittern ließ. Jemand schrie: „Jetzt hat´s uns erwischt!“ Die Mutigen rannten hinaus um kurz danach in den Keller zu rufen „Bei Manns brennts, bei Sandners auch“.

Dann wurde auch der Feuerschein über der Stadt immer stärker. Es begann ein aufopferungsvoller Kampf der vorwiegend nur aus Frauen bestehenden Bewohner der Häuser Zinzendorfstraße 17 und 19, um die Flammen einzudämmen. Das geschah mit Luftschutzspritzen und viel gesammeltem Wasser in großen Fässern im Haus, sowie durch Ausschöpfen der beiden Hofbrunnen bis zum Grund. Außerdem wurde Brennbares, auch Möbel, ins Freie getragen oder aus dem Fenster geworfen.

Und dann geschah das für diese Nacht wohl Einmalige, zumindest aber sicher ganz Seltene. Die durch Bewohner des Nachbarhauses herbeigerufene Feuerwehr rückte an; es war die Betriebsfeuerwehr der Firma Gebrüder Langer vom westlichen Ende der Waldenburger Straße, dem späteren RFT Gerätewerk. Diese legte ihre Schläuche bis zum an der Kochstraße, Ecke Weststraße angelegten Löschwasserteich und versuchte bis zum völligen Leerpumpen des Teiches der Flammen des Nachbarhauses Herr zu werden und mein Geburtshaus vor dem Übergreifen der Flammen zu bewahren. Das Letztere ist trotz schon glühend heißer Wände an der Brandmauer geglückt.

Das Abbrennen des Nachbarhauses bis zum ersten Stockwerk, bei dem die Flammen mehrmals noch am nächsten Tag wieder neu loderten, konnte allerdings nicht verhindert werden. So hat der Löschwasserteich an der Kochstraße und die mutigen, bis zur Erschöpfung Wasser schleppenden Frauen (die vorhandenen Fässer im Haus wurden immer wieder neu mit Schnee gefüllt, wo auch ich mithelfen durfte), vor allem aber die Betriebsfeuerwehr der Gebrüder Langer unser Haus Zinzendorfstaße 19 gerettet und damit meine Familie und mich vor dem Los des Ausgebombtseins bewahrt. Festgesetzt hat sich später bei mir der Gedanke, der die Sinnlosigkeit vieler Luftschutzmaßnahmen beschrieb: ein großer Löschwasserteich hat ein Haus gerettet.

Übrigens, den Bewohnern des oberen Teils der Zinzendorfstraße ist es gelungen, nur mit dem vorhandenen Löschwasser des betroffenen Hauses und dem der umliegenden Einfamilienhäuser, mit Luftschutzspritzen den Brand in der Nr. 25 vom Baumeister Arthur Sandner zu löschen. Heute erinnert nur noch das Flachdach an den abgebrannten Dachstuhl am 5. März 1945.

Hier hat der Zeitzeuge seine Geschichte erlebt:

Zeitzeugen-Broschüren

Der ewige März

Titelbild der Broschüre

Erinnerungen an eine Kindheit im Krieg


Die letzten Zeugen

Die letzten Zeugen

Als das alte Chemnitz im Bombenhagel starb

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