Chemnitzer Zeitzeugen: Hannelore Thieme
Mein Vater ist 1943 im Krieg gefallen, ich lernte ihn kaum kennen.
Jedes Jahr im März denke ich immer wieder an die schlimmste Nacht der Bombardierung von Chemnitz im Jahr 1945 - als ich noch nicht einmal 5 Jahre alt war. Meine Mutter, meine Schwester und ich lebten im Südosten der Stadt.
Bereits einige Zeit vor dem schrecklichen Ereignis spielte ich mit meiner Freundin auf dem Grünstreifen im Sachsenring, als ein lautes Brummen über uns ertönte. Meine Mutter, die nach uns Ausschau hielt, schrie plötzlich: „Legt euch flach auf die Wiese!“ Was wir auch taten. Es waren Tiefflieger direkt über uns. Glücklicherweise ist uns nichts geschehen.
Am 5. März ertönte wie schon oft der Fliegeralarm und wir mussten wie schon so oft in den Keller, als die Sirenen abends heulten. Meine jüngere Schwester hatte gerade die Masern und hatte ein Gitterbett im Keller. Ich saß ängstlich mit meiner Mutti neben ihr.
Die Bombardierung war schlimm und wollte und wollte nicht aufhören. Immer wieder krachte es. Wir hörten es donnern, heulen, zischen und alle Frauen schrien „Es hat eingeschlagen!“
Wir Kinder hielten uns die Ohren zu. Endlich kam am Morgen die erlösende Entwarnung.
Ich durfte mit an die Haustür. Der Anblick des Umfeldes war schrecklich. Der Himmel war blutrot, überall lagen Scherben, Bretter und Dachziegel. Etwas später durfte ich mit ein paar Erwachsenen aufs Dach und aus dem Fenster schauen.
Gegenüber kaputte Häuser, nebenan dasselbe und verzweifelt Schreie. In Blickrichtung Stadt war alles schwarz und glühend rot und es roch schlimm nach Verbranntem.
Unsere Wohnung war zum Glück heil geblieben, nur hatten wir keine Fensterscheiben mehr. Als meine Mutter die Scherben und Splitter beseitigt hatte, konnten wir Kinder endlich ein wenig schlafen.
Am nächsten Tag ging meine Mutter mit mir in die Stadt. Die Stadt war ein einziges Trümmerfeld. Wir waren an der ausgebrannten und eingestürzten Jakobikirche und in der Klosterstraße. Die Innenstadt war nahezu komplett kaputt. Diesen Anblick und den Geruch der teilweise noch rauchenden Ruinen werde ich nie vergessen, selbst wenn heute ich nach 75 Jahren an der Jacobikirche stehe und das bunte Marktumfeld sehe.
Nach dieser Zerstörung der Stadt wurde meine Mutter Trümmerfrau und half mit beim Aufräumen. Ich sah sie nur selten und wurde mit 5 Jahren Schlüsselkind und kümmerte mich um meine kleine Schwester.
Auch 75 Jahre später erinnere ich mich an das furchtbare Erlebnis. Möge es nie wieder Krieg und Bombenangriffe geben.