Chemnitzer Zeitzeugen: Gisela Wittenberg
Ich wurde im August 1944, also mit 5 Jahren und 8 Monaten, in die Bernsdorfer Schule – Mädchen - eingeschult. Durch die immerwährenden Bombenangriffe fand das 1. Schuljahr fast nicht statt. Da unsere Wohnung von der Schule schnell zu erreichen war, musste ich bei Voralarm schnell nach Hause eilen. Schüler, die weiter weg wohnten, durften in die Kellerräume der Schule gehen. Im Hause waren nur noch 2 „alte“ Männer – mein Opa und der Nachbar – ansonsten nur Frauen und Kinder. Ein Junge war erst am 19.12.1944 geboren. Seit Februar 1945 brachten unsere Hausbewohner die meiste Zeit im Keller zu. Er war mit dicken Holzstämmen etwas gesichert. In einem kleinen Raum, in dem sich die elektrischen Sicherungskästen befanden, hatte mein Opa ein Holzgestell für mich zum Schlafen gebaut. In der Nacht vom 5./6. März waren 14 Erwachsene und 3 Kinder und 1 Säugling im Keller. Alle saßen gebückt oder liegend auf Decken im Kellergang und warteten leise sprechend oder betend auf das Schlimmste. Beim Öffnen der Keller- und Hoftüre waren die „Christbäume“ gut zu sehen. An Einzelheiten des Angriffes kann ich mich nicht mehr genau erinnern. Als wir jedoch meinten, dass es wieder einmal vorbei war und unser Haus noch stand, gingen wir in unsere Wohnung im 3. Stock zurück und meine Mutti sah auf dem Boden unseres Wohnzimmers eine Stabbrandbombe liegen, die aber nicht explodiert war. Mein herbeigerufener Opa nahm sie auf eine Schaufel und trug sie vorsichtig auf die Straße und legte sie in den Schnee. Die Bombe konnte ja in das Zimmer fallen, da sämtliche Fenster keine Verglasung mehr hatten. Der Brandfleck ist heute noch im Holzboden zu sehen.
Unser Haus gegenüber, Wittenberger Straße 1, brannte aus, auch weil dort keine Person mehr im Hause war, die hätte löschen können. Für mich war es besonders schlimm, dies mit ansehen zu müssen, da dort meine beste Freundin wohnte. Aber auch sie war mit ihrer Mutti zu Verwandten nach Neukirchen geflohen. Im 3. Stockwerk hatte eine Familie ein Klavier und dieses fiel mit einigen Tönen von Stockwerk zu Stockwerk herunter. In diesem Hause war auch ein Mann am Tag zuvor verstorben, konnte jedoch nicht abgeholt werden. Auch er wurde erst beim „Wiederaufbau“ des Hauses gefunden und dann beigesetzt. Auch unser übernächstes Haus, die Nr. 8 wurde bombardiert und brannte aus. Mein Opa und der Hausverwalter der Nr. 6 gingen mehrmals auf das Dach und sahen nach, dass der Funkenflug und die Hitzeentwicklung nicht die Nr. 6 in Brand steckten.
Als die schreckliche Nacht zu Ende war, sahen wir schlimm aus. Es gab kein Licht und auch kein Wasser, um uns etwas zu säubern. Gott sei Dank hatte mein Opa einen guten Freund. Familie Grafe, die draußen auf der Zschopauer Straße 322 wohnten. Dorthin zogen wir mit einem Handwagen, um es etwas zu waschen und auszuruhen. Wasser war dort ausreichend vorhanden, da sich in diesem großen Grundstück ein Teich befand.
An viele Einzelheiten kann man sich als 6-jähriges Kind nicht mehr erinnern. Ich möchte so etwas nicht wieder erleben und wünsche es niemand anderen.