Nischel Jubiläum: Weggefährten erinnern sich

Tausend Meter Schweißdraht

Klaus Rüdiger

Klaus Rüdiger
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Karl-Marx-Stadt 1963 – Deutliche Spuren des Zweiten Weltkrieges kennzeichnen die Innenstadt: Trümmerteile, kaputte  Gebäude und viel Platz definieren das Zentrum. Die Stadthalle und das  Interhotel gibt es noch nicht. Es ist das Jahr, in dem Klaus Rüdiger nach Karl-Marx-Stadt zog, um mit dem Aufbau des Karl-Marx-Monumentes eine besonders schwierige Aufgabe zu übernehmen.

Der junge Mann kam aus dem Mansfelder Kupferschieferbergbau nach Sachsen und trat beim VE Wohnungsbaukombinat »Wilhelm Pieck« seine Stelle als Bauleiter und Bauvorbereiter an. »Damals waren Bauvorbereitungen wichtig, damit das Material, das für den Bau gebraucht wurde, auch wirklich zur rechten Zeit da war. Alle Gewerke – Maurer, Putzer, Ausbaugewerke, Sanitärinstallation – mussten geplant werden. Alles musste der Reihe nach erfolgen. Und diese Reihenfolge festzulegen, war unsere Aufgabe «, sagt Klaus Rüdiger im Gespräch mit der Amtsblatt-Redaktion.

Damals, 1963, war das Haus der Partei oder auch »Parteifalte« in Vorbereitung, an der Rüdiger direkt mitgewirkt hat. »Rudolf Weiser war zu dieser Zeit Chefarchitekt. Vieles hat er entworfen. Heute will das niemand mehr wissen, aber die Parteisäge ist das ›W‹ von Weiser und ein Strich. Genau so hat er unterschrieben. Er hat sich hier verewigt.«

Abenteuer Moskau

Das VE Wohnungsbaukombinat »Wilhelm Pieck« Karl-Marx-Stadt sollte das Fundament und die Außenanlage des Karl-Marx-Kopfes fertigen. Rüdiger und seine Kollegen waren für die Vorbereitung des Baugebietes »Fritz Heckert« verantwortlich.

Er lernte Stadtarchitekten und Mitarbeiter kennen und so kam es, dass er eines Tages gefragt wurde: »Sag mal, fährst du mit nach Moskau? Hast du Lust dazu?« Ohne auch nur eine Minute zu überlegen, antwortete Rüdiger: »Na klar, fahre ich mit nach Moskau! Was soll ich denn da?« – »Na, das Karl-Marx-Monument wird dort gefertigt. Professor Kerbel ist gerade dabei, des fertigzustellen und wir müssen es begutachten. Du sollst als Baufachmann sagen, ob das so geht« Rüdiger flog mit. Zwei Stunden mit der Interflug nach Moskau. Im Hotel Rossija wurde er persönlich von Lew Kerbel empfangen. Rüdiger erzählt: »Dann haben wir uns mit dem Professor Kerbel getroffen in seinem Atelier, wo das Karl-Marx-Monument entstanden ist. Das war nicht das Monument, was hier steht, sondern das war das maßstabsgetreue Modell. Ich weiß nicht mehr, wie viele Tonnen Gips dort verarbeitet worden sind. Das war der Zeitpunkt, an dem das Modell von der Stadt abgenommen werden sollte. Mit dabei waren Siegfried Arlt, der Leiter der Kultur, Herr Schuster, der Leiter des Büros für bildende Kunst, und ich. Zu dritt haben wir gesagt: »Jawohl, so soll es mal aussehen.«


Auf Moskau folgt Leningrad

Kurz nach seinem Moskau-Besuch musste Rüdiger noch einmal nach Leningrad fahren. Dort wurde das Monument gegossen. Am 18. August 1971 sah er das Monument zum ersten Mal. Gegossen und aufgebaut in Leningrad. Die einzelnen Elemente waren miteinander verschraubt, was deutlich sichtbare Fugen mit sich brachte. Rüdiger:

»Das heißt, wir haben drei oder vier Beratungen mit den Ingenieuren von Monument Skulptura geführt und gefragt, wie wir die Fugen schließen sollen. ›Vergießen mit flüssiger Bronze‹ war die Antwort.‹ ›Was machen wir dann hier unten im Bart, das läuft doch raus.‹ Drehen können wir den Kopf mit 40 Tonnen sicherlich nicht. ›Das müsst ihr vergießen.‹ So eine senkrechte Fuge wäre nicht vollgelaufen, das ging nicht. Da waren wir natürlich erst einmal sehr erschrocken.« Die einzige Lösung, die Rüdiger im Kopf hatte, war das Verschweißen der 95 Bronze-Teile.

Durch den Bau des Interhotels Kongreß in Karl- Marx-Stadt hatte Rüdiger gute Kontakte zum Zentralinstitut für Schweißtechnik (ZIS) in Halle. »Wir waren jetzt diejenigen, die das lösen mussten, obwohl ich eigentlich gar keine Kenntnisse darüber hatte. Ich bin weder Schweißingenieur noch ein Fachmann auf diesem Gebiet. Aber ich wusste, dass das Schweißinstitut ein exzellenter Betrieb war«, erinnert sich Rüdiger. »Ein guter Engel hat mir eingegeben: ›Nimm doch mal zwei solche Bronzestücke mit, die werden in dem ZIS schon etwas daraus machen.‹ Ich habe in meine Aktentasche zwei Stücken Bronze eingepackt.«


Die Lösung des Problems

Am 24. August 1971 war Rüdiger in Halle. Sie hatten 15 Tage Zeit, um das Problem zu lösen. »Im ZIS haben die Schweißingenieure zwei Stunden gebraucht, bis sie die beiden Bronzestücke zusammengeschweißt hatten. Sie wussten genau, welche Elektroden dafür notwendig waren. Wir haben die Kollegen in Halle gefragt: ›Habt ihr genug Elektroden da?‹ Naja, wie viel wollt ihr denn schweißen?‹ ›Na, so um die 1000 Meter.‹ ›Um Gottes Willen, da müssen wir was Neues bestellen.‹ Dann ging der Prozess los.«

Die Verantwortlichen in Karl-Marx- Stadt haben die Bestellung der Elektroden ausgelöst und festgelegt, welches Unternehmen den Kopf zusammenschweißen solle. Es war die Germania. »Das ist ja unser Vorzeigebetrieb in Sachen Schweißen«, sagt Rüdiger. Alles Weitere wurde organisiert, auch die Montage. Der Karl-Marx-Kopf musste in Leningrad auseinander gebaut und in Karl- Marx-Stadt wieder aufgebaut werden. Der Kraftverkehr Karl-Marx- Stadt, Außenstelle Mittweida übernahm den Transport.

Rüdiger lacht: »Ich weiß nur, dass die Fahrer gesagt haben: ›Wir waren jetzt acht Tage unterwegs und haben den Kopf hierhergeholt – vier Tage hin, vier Tage zurück.‹ Die haben da einiges erzählt, was da unterwegs alles so passiert ist.«


Der Nischel steht

Als der Karl-Marx-Kopf dann endlich an seinem Platz steht, sind alle glücklich. Rüdiger erinnert sich an ein Foto auf dem neben ihm und seinen Kollegen auch Lew Kerbel zu sehen ist. »Damit war die Geschichte ›Karl-Marx-Kopf‹ zu Ende und wir sind heute noch glücklich, dass er da steht.« Nach der Einweihung des Monuments erhielt er von Lew Kerbel eine handgeschriebene Widmung.

Der damalige Oberbürgermeister Kurt Müller verlieh Klaus Rüdiger eine Medaille und eine Urkunde als Ehre für den Aufbau des Stadtzentrums. »Das Schöne daran war, dass auch Arbeiter, Ingenieure und Meister damit geehrt wurden und nicht nur der Chef.«
 

Klaus Rüdiger, damaliger Bauingenieur

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