Eine Stadt, in der die Dinge einfach funktionieren

Karla Mohr

Macherin der Woche vom 29. Oktober 2014

Eine Artdeco-Villa, unscheinbar, ehrwürdig, in der Wielandstraße 11. Die knallrote Jugendstil-Tür lässt Extravaganz erahnen, zumindest keinen Durchschnitt. Im Eingangsbereich wartet ein finster dreinschauender Hund – zum Glück nur eine Skulptur. Die Treppen knarzten, der Putz bröckelt schon hier und da – die großindustrielle Eleganz von vor 100 Jahren ist aber noch da. Über eine kleine Seitentreppe und weiteren Stufen versteckt sich das Büro und Studio von Karla Mohr, Fotografin in Chemnitz. Sie sitzt vertieft an ihrem Rechner und sortiert die neusten Fotos aus ihrem aktuellen Fotoprojekt „Kein Krieg in meinem Namen“. Keine Zeit verlieren, es geht gleich los. „Stell mir schon mal deine Fragen, ich mache das hier parallel nur schnell zu Ende“. Also frag ich.


Seit wann wohnt, lebst und arbeitest du in Chemnitz?
Ich bin gebürtige Karl-Marx-Städterin. Bis ich 23 Jahre alt war, habe ich in der Straße der Nationen gewohnt. Ich habe also wirklich schon viel in dieser Stadt ge- und erlebt.

Hast du auch schon immer die Stadt fotografiert? War es von Anbeginn dein Wunsch, Fotografin zu werden?
Nein, damit habe ich erst spät angefangen. Irgendwann habe ich von meinem Vater eine Spiegelreflexkamera geschenkt bekommen. Es kam dann mal vom Geburtshaus die Anfrage, ob ich schwangere Frauen fotografieren könnte. Es folgte eine Ausstellung und die war gleich gut besucht und populär. Nach einer Ausbildung im Webdesign habe ich mich 2003 selbstständig gemacht. Und 2005 dann das Studio hier aufgebaut.

Du hast also sofort die Chemnitzer für dich gewinnen können?
Leicht war es nicht. Es war eine Mehrfachbelastung: Kinder und Selbstständigkeit. Aber ich habe viel Unterstützung aus meinem Freundeskreis bekommen. Hier erfahre ich bis heute den nötigen Zuspruch, Rückenwind und Motivation, wenn das Eis dünn wird. Mittlerweile ist es so, dass diejenigen, die zu mir kommen, wissen, was sie erwarten können: ein komplettes, individuelles Fotoshooting mit hoher Qualität. Viele kommen auf Empfehlung. Nicht nur aus Chemnitz, auch aus der Schweiz, aus Hamburg, Berlin, Leipzig.

Was sagen denn diese Auswärtigen über die Stadt?
Die meisten von ihnen haben hier gewohnt und leben und arbeiten jetzt woanders. Und trotzdem kommen sie immer wieder her. Natürlich meistens zu Weihnachten, um ihre Familie zu sehen. Ich habe drei Töchter, von denen zwei Kinder in Leipzig wohnen und die regelmäßig wieder hierher kommen. Meine jüngste Tochter ist für einige Zeit in Cambridge und schrieb: „Chemnitz wird immer die Stadt sein, in der mein Herz lebt.“ Das ist doch eine wunderschöne, emotionale Aussage für ein junges Mädchen, das noch viel sehen und erleben will und trotzdem dieses starke Gefühl hat. Sie fühlen sich auch woanders wohl, aber ich selbst bin für meine Kinder immer noch das Zuhause.

Jetzt gerade arbeitest du an einem Fotoprojekt „Kein Krieg in meinem Namen“. Jeden Montag strömen Frauen in dein Studio und lassen sich mit einem Statement zum Frieden fotografieren. Mittlerweile sind es 458 Bilder. Warum machst du das?
Angesprochen worden bin ich von drei Frauen vom Stadtstreicher. Sie hatten im Facebook ein Bild von Kai Meinig, Grafiker und Illustrator, der unter anderem schon für die zebra Werbeagentur früher gearbeitet hat, gesehen. Er hatte sich mit dem Statement „Kein Krieg in meinem Namen“ fotografiert und dieses Bild als Profilbild gepostet. Sie wollten auch mit diesem Statement fotografiert werden und das Bild dann posten. Während des Gespräches wurde schnell klar, dass daraus eine Aktion werden sollte und ich hatte große Lust, etwas Unkommerzielles zu machen. Nach den ersten Shoots war klar, dass auch andere Sprüche dazukommen. Mein Thema ist eher „Love is all you need“. Das ist emotional, „peace’ig“ und die Basis für alles. Zu den ersten Montags-Shootings kamen 50 bis 60 Frauen. Dann wurden es 80 bis 90. Es hat eine unglaubliche Eigendynamik bekommen. Der Bedarf, sich zu positionieren, zu demonstrieren ist da. Es gibt eine Riesenauswahl an Statements mittlerweile. Überall um uns herum entstehen zurzeit Initiativen gegen Kriege. Ich sehe mich hier einfach als Multiplikator.

Bis Ende Oktober wolltest du die Aktion durchhalten. Was kommt jetzt?
Ja, das habe ich gesagt. Aber nun kann ich nicht einfach vom fahrenden Zug springen. Ich fotografiere weiter für diese Aktion. Nächsten Montag werden es 500 Statement-Portraits sein. Die Frauen posten ihre Bilder, teilen, liken. Das ganze virtuelle Paket. Außerdem lassen sie ihre Bilder entwickeln und hängen diese an Plätzen auf: an denen sie arbeiten, leben, wohnen, lehren, lernen. Für die aktuellen ersten 500 Bilder gibt es verschiedene Ideen, vom Flashmob bis zum Riesenplakat – aber das muss alles erst organisiert, finanziert und neben dem „normalen“ Weihnachtsgeschäft geleistet werden.

Hast du nach dem Fotoprojekt einen anderen Blick jetzt auf Chemnitz?
Nein, ich bin einfach nur sehr glücklich mit dem Projekt. Auch mit meiner Entscheidung, ausschließlich Frauen zu fotografieren. Die Aussage ist klarer, emotionaler und kraftvoller.

Gibt es denn Orte in Chemnitz, die sich besonders gut fotografieren lassen?
Ich liebe ja die Schönherrfabrik, die alten „rotzigen“ Wände, abgeplatzte Fliesen. Es wird aber auch dort immer schwerer, so etwas noch zu finden. Ein schöner Platz ist auch der Schloßteich. Den Pavillon habe ich gern als Motiv genutzt, was zurzeit leider wegen der Absperrung ebenfalls nicht mehr funktioniert. Und natürlich der Kaßberg. Ich bin leidenschaftliche Kaßbergianerin.

Was ist das Besondere für dich dort?
Fast alles, was ich zum Leben und glücklich sein brauche, finde ich auf den Kaßberg. Meine Freunde, Grün, einen guten Buchhändler und die Kiezkneipen: Das aaltra, die badische Weinstube, die Kutsche mit dem betreuten Trinken, Emmas Onkel. Jetzt hat die „Grüne Helene“ aufgemacht. Und das „Haamit“, eine Papeterie. So etwas wertet den Stadtteil unheimlich auf.

Was bräuchte es denn für Chemnitz, um die Stadt aufzuwerten?
Spontan ausgehen ist für über „35-Jährige“ schon eher schwierig. Ich gehe gern ins Weltecho oder ins aaltra. Aber was gibt es noch? Ich bevorzuge ein eher urbanes Feeling. Oftmals braucht es gar nicht viel, um sich wohlzufühlen. Freunde, die gern feiern, einen Club, gute Musik und verständnisvolle Nachbarschaft – ein lauer oder lauter Sommerabend an der guten, alten Freilichtbühne, Konzerte, Kino – eben eine entspannte Nachbarschaft. Hier ist viel Toleranz – nicht nur von jung zu alt gefragt und ein kreativer Umgang seitens unserer Stadtverwaltung, um etwas Licht ins Dunkel der Nächte zu bringen. Ich kenne einige junge Leute, die aus Chemnitz weggegangen und dann wieder hergekommen sind. Weil sie nicht in einer größeren, unübersichtlicheren Stadt, wie zum Beispiel Berlin, Düsseldorf oder Hamburg, wohnen wollen. Die haben eher das Verlangen nach einer Stadt, wo die Dinge einfacher funktionieren. Wo sie ihren Club haben. Wenn der natürlich immer wieder weggebügelt wird, wenn die Lieblingstreffs immer wieder zugemacht werden, dann ist man – nicht nur als junger Mensch – schon am verzweifeln. Schade, dass die Anwohner das nicht nachvollziehen.

Muss man den Chemnitzern Mut machen?
Die Chemnitzer, die hier sind, denke ich, sind ganz bewusst in dieser Stadt. Das ist das Zuhause. Ich sehe nicht schwarz für die kulturelle Entwicklung der Stadt. Weil es immer viele Köpfe gibt, die hier etwas tun wollen, die nicht aufgeben. Wie das Atomino, auch wenn es schon so oft umziehen musste. Vielleicht hat man mal den Gedanken, in eine andere Stadt zu ziehen. Aber dort muss man ganz von vorn anfangen. Alles zurücklassen, was man sich hier aufgebaut hat. Ich würde das nicht wollen. Wenn jemand meckert, denke ich: Macht eine eigene Aktion. Stellt euch nicht nur hin und zeigt auf die anderen. Es gibt so viele Leute, die sich engagieren. Und die schönen Dinge auf die Beine stellen. Ich habe meine Lieblingsecken, auf dem Kaßberg oder auch in der Stadt und im unmittelbaren Umland. Und so hat jeder seine Plätze, die er liebt und wo man immer wieder gern hingeht.

Eine Fotocollage von Marcel Eichhorn mit der Chemnitzer Band Bombee ( Titel: "parallels") zur Fotoaktion auf http://vimeo.com

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