Einen Kickertisch hat jeder
Holger Löbel
Macher der Woche vom 23. April 2014
„Fahrerassistenzsysteme … pfff“ – das Grummeln im Autofahrerbauch verdichtet sich zu einem festen Knoten beim Einparken auf dem Hof von Baselabs. Rückwärts natürlich und selbst gelenkt, versteht sich.
Vorwärts geht es dann zu Fuß in das Gebäude der Firma, die sich erst vor zwei Jahren als ordnungsgemäßes Unternehmen gegründet hat. Vorher war alles Wissenschaft, wie Holger Löbel, einer der Gründer, später erzählen wird.
Kühl ist es im Gebäude und angenehm duftet es nach Ingenieurskunst und Hirnschmalz. Klingeln, freundlicher Empfang, rein in die Firmenküche mit gemütlichem Sofa. Alles so, wie man es von einem Software-Start-Up erwartet. Nur das Grummeln bleibt.
Doch Holger Löbel, der Marketing- und Finanzchef des Unternehmens ist nicht nur ein Macher, er ist auch ein Mutmacher.
Umgehend erfolgt eine sympathische Korrektur des Bildes seiner Firma. Man entwickle nicht die Fahrerassistenzsysteme selbst – leichte Entspannung beim Interviewer – sondern die Software zur Entwicklung dieser Systeme, welche von den Autoherstellern selbst übernommen würde. VW, BMW, Daimler und Co seien dann für die kleinen Helfer in modernen Autos verantwortlich, die Stück für Stück das Fahrverhalten mitbestimmen. Na gut, das ist ein Anfang. Noch schnell das „Du“ vereinbart, los geht’s:
Holger, der Laie hat beim Thema „Fahrerassistenzsysteme“ den klassischen Bremsassistenten vor Augen. Letztendlich sollen Fahrerassistenzen dem Menschen das Fahren erleichtern oder es ihm irgendwann einmal ganz abnehmen. Das macht dem leidenschaftlichen Selbstfahrer nicht nur Kopfschmerzen, sondern auch Magengrummeln – Wie überzeugst Du einen solchen von einem Fahrerassistenzsystem?
Holger Löbel: Auch der leidenschaftlichste Selbstfahrer wird wahrscheinlich nicht gerne im Stau fahren oder lange Autobahnstrecken. Das soll dem Fahrer abgenommen werden. Das heißt andererseits, man kann die Strecken im Auto genussvoll fahren, die man gern selbst fahren möchte, die viel zitierte Landstraße zum Beispiel.
Wenn der Verkehr zäher ist und sehr viel Aufmerksamkeit auf die anderen Verkehrsteilnehmer verschwendet werden muss - dann hilft Fahrerassistenz. Die ersten Stauassistenten sind jetzt auf dem Markt, die zum Beispiel automatisch im Stop-and-Go-Verkehr das Fahrzeug fahren. Das nimmt Stress ab und die Freude am Autofahren wird insgesamt gesteigert.
Ist Chemnitz aus Deiner Sicht eine Staustadt?
Also ich fahre meistens Fahrrad. (Lacht.) Daher kann ich das gar nicht so beurteilen. Ich denke aber, in Chemnitz ist das nicht das ganz zentrale Problem. Was natürlich auch in Chemnitz ständig passiert, sind Unfälle. Wir hatten in jüngster Zeit leider oft solche mit Kindern. Da ist die Entwicklung im Fahrerassistenz-Bereich, vor allem so genannte „verletzliche Verkehrsteilnehmer“, also Kinder oder andere Fußgänger, Radfahrer besser zu schützen. Das würde natürlich auch in Chemnitz zu Gute kommen.
Ist Chemnitz insgesamt kinderfreundlich, was das betrifft? Hast Du selbst Kinder?
Ich denke schon, dass Chemnitz eine relativ kinderfreundliche Stadt ist und meine subjektive Wahrnehmung sagt, dass wieder mehr Kinder im Stadtbild zu sehen sind. Aber es kann auch sein, dass das einfach an meinem Alter liegt, dass ich das jetzt öfter sehe. (Lacht.) Ich habe zwar noch keine Kinder. Die Betreuungssituation ist aber offensichtlich gut, nicht perfekt aber recht gut und es gibt eine sehr grüne Umgebung, die nicht nur Kindern gefällt, sondern die ich persönlich sehr schön finde.
Wenn man die Firmengeschichte von Baselabs anschaut, dann denkt man, Ihr entwickelt Raketentriebwerke. Ihr habt euch vor zwei Jahren gegründet und heute schon Kunden von Daimler bis Scania. Mit Blick auf das „Macher“-Thema: Muss man mit einer guten Idee wie Eurer noch Macherqualitäten besitzen?
Ich glaube schon. Gerade die Automobilindustrie ist ziemlich zäh, was neue Themen angeht oder um da als kleines Unternehmen reinzukommen. Der Weg ist also lang und dafür braucht man Durchhaltequalitäten, sehr viel Biss und vor allem ein gutes Team. Aber ich bin der Meinung, dass es einem in Chemnitz einigermaßen leicht gemacht wird, die Macherqualitäten auszuleben, die man mitbringt. Es gibt hier eine sehr gute Unterstützung für die Gründung von Unternehmen. Vor allem aus der Hochschule und insbesondere durch SAXEED, dem Unternehmensgründernetzwerk. Außerdem haben wir hier den Technologiegründerfonds Sachsen (TGFS), der auch in Chemnitz vertreten ist und der uns finanziert. Ich muss schon sagen, das Gründerklima in Chemnitz ist sehr gut!
Ist das ein klares Bekenntnis zu Chemnitz?
Ja, das ist ein ganz klares Bekenntnis. Wir haben unsere Wurzeln hier. Es gibt ja jetzt nicht nur zwei Jahre Baselabs als Unternehmen. Davor gab es uns knapp zwei Jahre als Projekt an der TU. Und davor gab es mehrere Jahre Forschungstätigkeit von meinen technischen Kollegen aus dem Gründerteam und auch einigen Mitarbeitern, die wir jetzt haben. Es gibt also eine ganze starke Verknüpfung zur Universität und familiäre Verwurzelung in der Region. Also ich selbst sehe Baselabs in Chemnitz.
Bist Du hier geboren?
Ich nicht, nein. Ich komme aus Hannover, aber meine drei Mitgründer sind alle hier aus der Stadt. Es gibt aber auch für mich familiäre Wurzeln in der Stadt, so hatte mein Urgroßvater eine Werkstatt für Elektromotoren am Fuß des Sonnenbergs. Das Nachfolgeunternehmen dieses Betriebes existiert noch in Chemnitz und ich habe hier auch Verwandtschaft.
Warum hast Du in Chemnitz studiert?
Ich habe nach einem BWL-Studienplatz gesucht mit einer Verknüpfung in die Informationstechnologie. Da war Chemnitz eine der wenigen Unis, die das angeboten haben. Mein Studienanfang war dann im Jahr 2000, am Ende der sogenannten dotcom-Phase.
Technologisch oder innovativ betrachtet, funktioniert also der Zuzug nach Chemnitz, wie man an Deinem Beispiel sieht. Du sagst, „Ich will mich entwickeln, ich will etwas vorantreiben, ich suche einen Innovationsstandort“ - man kann also die Stadt gut empfehlen?
Sicherlich! Ich habe nach meinem Abschluss drei Jahre in München gelebt und gearbeitet und bin mir ziemlich sicher, dass es dort nicht einfach wäre, diese ganze Unterstützung für ein eigenes Gründungsprojekt zu finden. Es ist alles viel größer und es sind mehr Leute involviert. Chemnitz ist eine Stadt der kurzen Wege und das ist sowohl örtlich zu sehen, als auch in Sachen Kontakte.
Dem Image nach soll Chemnitz auch eine Autostadt sein. In der Tat findet man im Stadtbild breite Schneisen im Straßenbild, viele stark ausgebaute Verkehrswege. Dieses Verkehrswegesystem, was manche sicher nicht schön finden, muss doch die ideale Spielwiese für Baselabs sein? Wenn ja, wie testet Ihr auf den Chemnitzer Straßen?
Also in Zusammenarbeit mit der Universität testen wir hier auf den Straßen, das ist richtig. Da wir als Baselabs die Software zur Entwicklung von Fahrerassistenzsystemen bereitstellen, nutzt auch die TU unsere Software für die Forschung. Die Universität ist mit einem Messfahrzeug auf den Chemnitzer Straßen unterwegs, in dem unsere Software läuft und mit der dann an den neuesten Systemen geforscht wird.
Angenommen, Ihr würdet beauftragt, ein Verkehrskonzept für Chemnitz zu entwickeln mit Blick auf Fahrerassistenzsysteme oder autonomes Fahren – wie würde Chemnitz denn in 20 Jahren aussehen?
Wir sehen in der Industrie zunehmend die Verknüpfung zwischen dem einzelnen Fahrzeug und der Infrastruktur. Es geht also darum, dass zum Beispiel die Ampel schon im Voraus meldet: „Ich schalte gleich auf Rot“. Wenn das flächendeckend eingeführt wird, wäre es möglich, Verkehrsspitzen deutlich besser zu steuern. Man könnte also einen Stau verhindern, bevor er überhaupt entsteht. Weiter gedacht bedeutet das, im Berufsverkehr, auch in Chemnitz, ist das Stauaufkommen niedriger, weil die existierenden Straßen besser ausgenutzt werden. Es würde auch möglich, dass jeder Autofahrer, der in die Innenstadt fährt, schon im Voraus weiß, wo er einen Parkplatz findet, weil zum Beispiel freie Parkplätze gemeldet werden können. Das Geheimnis liegt in der Verknüpfung vom individuellen Fahrzeug mit den anderen Fahrzeugen und der Infrastruktur.
Stichwort Sportstadt Chemnitz: Auf Eurer Website kann man lesen, dass Ihr regelmäßig Tischtennisturniere bei Baselabs veranstaltet. Das kennt man aus kalifornischen Entwicklerfarmen oder Kreativagenturen, wo unbedingt ein Kickertisch stehen muss.
Einen Kickertisch hat jeder. (Lacht.)
Die Abgrenzung ist also die Tischtennisplatte, aber die etwas doppelbödige Frage stellt sich trotzdem: Wie kreativ muss man als Software-Entwickler sein? Insbesondere mit Blick auf Fahrzeugassistenzsysteme, bei denen das Ziel eigentlich schon vorgegeben ist.
Ich denke, sehr kreativ. Weil das Ziel bekannt ist, aber der Weg dahin nicht. Man kann ja schon oft lesen, dass in dem Bereich vieles möglich ist. Aber es gibt noch sehr viele ungelöste Probleme bzw. sind die Problemlösungen, die es jetzt gibt, noch nicht alltagstauglich. Das Finden von neuen technischen Wegen, um dieses System zu ermöglichen, sie vor allem auch kostengünstig zu gestalten, das erfordert jede Menge Kreativität.
Du hast vorhin gesagt, Du fährst selbst Fahrrad, Mountainbike. Ganz klassisch oder autonomes E-Bike?
(Lacht.) Ganz klassisch. Ich fahr sowohl in der Stadt mit dem Mountainbike, aber auch außerhalb.
Zurück zu unserer Rubrik: Fühlst Du Dich selbst als „Macher“? Oder bist Du eher ein Team-Macher? Was muss ein Macher mitbringen? Über welche Qualitäten muss er verfügen?
Ich denke, wir als Team sind Macher und dadurch vielleicht jeder Einzelne auch ein bisschen. Man muss schon den Antrieb haben, sich nicht nur einen Job zu suchen, was vor allem meinen technischen Kollegen sicherlich sehr einfach gefallen wäre bei ihren Qualifikationen. Man muss sagen können: Ich gehe auch das Risiko ein, mir selber etwas aufzuziehen und dann davon zu profitieren, wenn es gut funktioniert, aber auch überhaupt nicht zu profitieren, wenn es nicht klappt. Es ist nicht ganz so weich abgefedert, wie eine Festanstellung in der Industrie. Um das zu machen und sich selbst und andere dafür motivieren zu können, die Mitarbeiter mitzunehmen auf diesem Weg und gemeinsam tolle Ergebnisse zu erzielen - dafür braucht es sicherlich Macherqualitäten, die in unserem Team vorhanden sind.
Für Dich spielt das Fahrrad eine große Rolle, wie zunehmend für viele Chemnitzer. Würdest Du sagen, dass es eine gewisse Subkultur der Fahrrad-Fahrer in Chemnitz gibt?
Die gibt es sicherlich, aber ich würde mich selbst nicht dazu zählen, dafür hänge ich nicht so tief drin. Aber wir haben zum Beispiel das HEAVY 24, das Mountainbike-Rennen, was ja vor Ort entstanden ist.
Fährst Du da mit?
Nee, so viel fahre ich dann doch nicht. (Lacht.) Ist vielleicht mal ein Ziel für später. Es gibt aber auch dieses Rennen, diese Ausfahrt zum Fichtelberg zum Beispiel. Es gibt schon eine sehr aktive Szene im Fahrradbereich.
Muss man das überhaupt, oder wenn man es müsste: Wir würdest Du den Chemnitzern mit einem Satz Mut machen wollen?
Auch wenn ich Marketingmann bin, glaube ich nicht, dass in einem Satz sagen zu können. Aber ich denke, es gibt vieles, worauf man hier in Chemnitz stolz sein kann. Darauf sollte man sich vielleicht ein bisschen mehr besinnen. Und vor allem auch auf die Entwicklung der letzten 15 Jahre, in denen sehr, sehr viel passiert ist. Ich denke, wir haben hier viel erreicht. Und ich denke auch, dass diese Stadt eine sehr, sehr gute Zukunft hat. Und da ist jeder Einzelne gefragt.
Fühlst Du Dich als Chemnitzer?
Ja.