Mut haben und einfach machen

Christoph Igel

Macher der Woche vom 23. Juli 2014

Mensch. Bildung. Technologie. Für Christoph Igel sind das die Themen seines Lebens. Egal wann. Und egal wo. Diese Fragen haben ihn um die halbe Welt geführt. Und vor einem Jahr nach Chemnitz, wo er sich als Direktor und Geschäftsführer der TUCed, dem An-Institut für Weiterbildung an der Technischen Universität Chemnitz, dem lebenslangen Lernen und der technologieunterstützen Qualifizierung und Bildung widmet. Sehr vereinfach gesagt. Aber das ist ein Talent des gebürtigen Saarländers, der schnell redet und, das ist nach wenigen Minuten klar, noch schneller denkt: Komplexe Zusammenhänge einfach machen – das kann er. Vielleicht, weil in der Informatik am Ende alles Null oder Eins sein muss? In unserem Alltag, sagt Christoph Igel, gibt es zwei Tendenzen: Komplexe Dinge sind am Ende immer irgendwann binär – also Null und Eins. Oder die Fragen sind so komplex, dass es keine einfachen Antworten mehr gibt. Ein weites Feld für Technik und Philosophie.


Ich habe vor kurzem einen Vortrag von Dir gehört. Es ging darum, wie sich Technologien weiter entwickeln werden. Wie sie unser Leben prägen. Und sich all unsere Geräte vernetzen, um unsere Bedürfnisse noch genauer zu erfüllen. Dauert nicht mehr lange. Das Publikum war gespalten: Eine Hälfte war fasziniert, die andere schockiert. Findest Du das gut?
Christoph Igel: Das ist gar nicht entscheidend, obwohl die Reaktion nicht ungewöhnlich ist. Technologien bestimmen unser Leben schon heute. Das wird noch zunehmen. Wer sagt, ich halte mich von Computern fern und steigt dann in sein Auto, in dem zahlreiche Computer und technische Systeme zusammen arbeiten, hat das vielleicht nicht im Blick. Wir nehmen Technologien immer weniger wahr, aber sie sind fester Bestandteil unseres Lebens. Die spannende Frage ist: Was macht das mit uns? Und die nächste: Wie können wird diese effektiv nutzen? Vor allem, wenn es ums Lernen, um Bildung und Qualifizierung, geht. Es geht immer darum, was mit den Menschen passiert, wenn wir Technologien nutzen und dabei über die Methoden nachdenken, die beides verbinden können.

Wie kommt man auf dieses Thema?
Ich bin seit meinem Studium beseelt von einer Frage: Wie lernt der Mensch? Im Kern beschäftige ich mich seit nunmehr 17 Jahren damit und suche Antworten. Mit Technologien hatte ich zum ersten Mal während meiner Zeit als Doktorand zu tun: Es ging um die Frage, wie Spitzensportler neue, höchst komplizierte Bewegungen lernen. Damals hat man das mit Videoanalyse gemacht, analog, ganz klassisch. Die Technologien und die Möglichkeiten des Internets rückten für mich in den Fokus – parallel zum Internetboom der 90er Jahre und der Dot.com-Blase. Und egal, was ich später gemacht habe, es ging stets um diese eine Frage – nur eben aus unterschiedlichen Perspektiven. Heute ist es wieder sehr viel stärker die Bildung an der Schnittstelle von Mensch, Organisation und Technologie. Deshalb bin ich hierher nach Chemnitz gekommen, um das Institut für Weiterbildung zu profilieren. Hier habe ich hervorragende Bedingungen vorgefunden, um meine Schwerpunkte, die sich mit Qualifizierung und Bildung von Menschen und der Nutzung innovativer Technologien und dem Internet beschäftigen, zu gestalten und für den Standort, für Chemnitz und Sachsen, einzubringen.

Die TUCed widmet sich der berufsbegleitenden akademischen Weiterbildung, die sich durch ihre enge Verbindung mit der Technischen Universität Chemnitz sowie zahlreichen Partnerinstitutionen aus Wirtschaft, öffentlicher Hand und Wissenschaft direkt aus der Forschung sowie verschiedenen Anwendungs- und Nutzungsfeldern speist. Die Teilnehmer der Studiengänge kommen aus Deutschland, Europa und der ganzen Welt.

Lebenslanges Lernen – für die meisten klingt das eher abschreckend.
Weil Lernen für viele Menschen aufgrund eigener Erfahrungen aus der Schulzeit oder auch dem Studium leider nur selten positiv besetzt ist. Es wird als anstrengend wahrgenommen, oft weiß man nicht, wofür man das Gelernte nutzen kann, und die Vermittlungsmethoden sind nicht selten traditionell und wenig zeitgemäß. Deshalb haben viele keine Lust darauf. Lernen auf Vorrat, wie früher in Schule und Hochschule vermittelt, geht aber nicht mehr, das Wissen heute ist schnelllebig und hat immer kürzere Halbwertszeiten. Was in Schule und Hochschule gelernt wird, ist die Basis. Nach wenigen Jahren muss man sein Wissen aktualisieren, weiter lernen, eben lebenslang. Es geht darum, motivierende Varianten zu finden, andere Rahmenbedingungen, einen neuen Zugang. Technologie als Methode der Wissensvermittlung kann eine Möglichkeit hierbei sein. Grundlegend ist jedoch immer die Lust am Entdecken und am Erlernen neuer Dinge.

Lässt sich Lernen lernen? Und wie sieht die ideale Umgebung dafür aus?
Noch vor wenigen Jahren hätte ich jetzt eine komplette Vision für innovative Bildungs- und Qualifizierungsszenarien entworfen, heute bin ich zurückhaltender. Ideale Lernräume sollten mit dem wirklichen Leben zu tun haben, nahe an der Realität sein und Nutzen für den Einzelnen stiften. In Forschung und Innovation fokussieren wir eben diese Aspekte, um Instrumente und Unterrichtsmethoden zu entwickeln, die den Menschen helfen. Das kann Technologie und das Internet sein – aber sie allein werden einen guten Lehrenden auch auf absehbare Zeit nicht ersetzen. Die Faszination für Inhalte in allen Facetten kann nur ein Mensch vermitteln. Und natürlich muss auch der Inhalt selbst spannend und faszinierend sein. In der beruflichen Weiterbildung kommen weitere Argumente hinzu, wie der Nutzen von Bildung und Qualifizierung für die eigene Karriere und die persönliche Entwicklung.

Christoph Igel ist mehrfach ausgezeichnet. Für sein bürgerschaftliches Engagement. 2009 wurde er als „Chief Learning Officer“ in Deutschland geehrt für seine Forschungs- und Innovationsleistungen in der digitalen Bildung an der Schnittstelle von Wirtschaft und Wissenschaft. Er engagierte sich in Arbeitsgruppen der Forschungsunion Wirtschaft – Wissenschaft zur begleitenden Umsetzung und Weiterentwicklung der Hightech-Strategie in Deutschland. Ganz praktisches Beispiel ansonsten vor Ort: sein Institut begleitet derzeit ein Pilotprojekt des sächsische Kultusministeriums zum Einsatz von Tablets und innovativen Bildungstechnologien in sächsischen Schulen.

Du als Experte fürs Thema: Lernst Du noch? Und wie machst Du das?
Immer. Jeden Tag. Ganz wichtig sind für mich meine Netzwerke aus Menschen und Institutionen. Ich lerne durch Dialog und Erfahrungen. Das macht sicher 80 bis 90 Prozent aus. Und ich lese. Soviel wie möglich. Gerade auch Themen, die ich noch nicht kenne und die neu für mich sind.

Buch oder mobil?
Papier ist eher die Ausnahme, wenn ich recht überlege, eigentlich gar nicht mehr. Das hat einerseits etwas mit der Möglichkeit des permanenten Zugangs zu tun, wenn ich in Chemnitz bin oder auch unterwegs und trotzdem auf alles zugreifen kann. Und es hat etwas mit der Vielfalt an Medien zu tun, die uns die Digitalisierung von Inhalten anbietet: Videos können Prozesse sehr viel anschaulicher abbilden. Und Bilder können einfach mehr sagen als tausend einzelne Worte.

Unterwegs ist ein gutes Stichwort. Du bist Direktor und Geschäftsführer des Instituts für Weiterbildung in Chemnitz und Direktor am Deutschen Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz in Berlin für Bildungstechnologien und Wissensdienste. Du lehrst an der TU Chemnitz, bist assoziierter Wissenschaftler an der Shanghai Jiao Tong University in China und hast schon Forschungsprojekte in den USA und China verantwortet. Du engagierst Dich im Nationalen IT-Gipfel der Bundesregierung und für die Deutsche Akademie für Technikwissenschaften. Die Liste der nationalen und internationalen Forschungsprojekte ist lang. Wie schaffst Du das?
Ich mache es einfach. Und schreibe und lese eben früh um fünf, weil ich sonst leider zu wenig Zeit dafür habe.

Christoph Igel ist organisiert. Er hatte zwar angekündigt, zum Treffen bestimmt das akademische Viertel zu spät zu kommen – ist ihm aber natürlich nicht passiert. Er war sogar als Erster da. "Was mich antreibt, ist die Begeisterung für meine Themen und Fragen. Und, zugegebenermaßen: Ich liebe Technologie und das Internet mit all seinen Möglichkeiten. Als jemand, der aus den Humanwissenschaften kommt, bin ich noch immer sehr begeistert davon, was Technologien heute schon ermöglichen. Außerdem habe ich in meinem Umfeld mit Menschen zu tun, die offen sind, bereit, Veränderungen anzustoßen und zu gestalten. Und dies gilt in besonderer Weise hier für den Standort Chemnitz und für Sachsen. Ich bin nach nunmehr einem Jahr hier wirklich angekommen, fühle mich sehr wohl und möchte hier nun wirken, gestalten, einfach bestmöglich meinen Job am Standort tun."

 

Wie das?
Ich wollte wieder näher an das Bildungsthema, wollte mich mit Qualifizierung und beruflicher Bildung an der Schnittstelle von Wirtschaft, Wissenschaft und öffentlicher Hand beschäftigen – und dann bot sich die einmalige Chance, hierher zu kommen. Die Technische Universität Chemnitz, der Standort und die Region sind hierfür seit Jahren hervorragend aufgestellt und nehmen eine Vorreiterrolle in Deutschland ein. Dies hat mich gereizt, und jetzt bin ich hier und werde gerne hier bleiben. Das ist schon einzigartig hier.

Und was hast Du vorgefunden?
Optimale Rahmenbedingungen für wissenschaftliches Unternehmertum. Die Menschen hier sind begeisterungsfähig, offen und herzlich. Und es gibt ein wirtschaftliches und industrielles Umfeld, das in der Lage ist, etwas zu bewegen. Was ich klasse finde, ist die große Bereitschaft, Dinge zu verändern. Woanders wird oftmals zuerst gesehen, was nicht geht. Oder wie lange vieles dauert. Also die Barrieren, die Hemmnisse. Hier wird nachgedacht und gemacht. Ich habe eine große Leidenschaft für Schnittstellen zwischen Themen, zwischen Institutionen, zwischen Menschen, sie erzeugen Reibung und treiben Innovation. Damit stößt man auf Fragen, auf die kommt man einfach nicht, wenn man nur im Büro sitzt. Das ist übrigens auch ein Vorteil einer vermeintlich kleinen Stadt wie Chemnitz: Die Wege zu Partnern und Entscheidern in Politik, Wirtschaft und Wissenschaft sind kurz. Menschen, die etwas tun wollen, treffen sich fast automatisch. Chemnitz ist in Wirklichkeit ganz groß.

Sehen wir Chemnitzer das auch?
Menschen, die in Chemnitz aufgewachsen sind, haben sicherlich ein gänzlich anderes Bild von ihrer Stadt als ich dies nach nur einem Jahr hier habe. Ich habe den Eindruck, dass die Chemnitzer ihre Stadt sehr mögen, sie sind sehr bodenständig, ehrlich, geerdet. Das gefällt mir sehr gut.

Unsere obligatorische Frage daher: Muss man den Chemnitzern Mut machen?
Ich will mir nicht anmaßen hier Ratschläge zu geben. Die Chemnitzer können stolz auf sich und ihre Stadt, ihre Region sein. Ich nehme wahr, dass die Menschen hier in sich selbst ruhen, und die Gelassenheit haben, Dinge einfach zu tun. Darin würde ich gerne die Chemnitzer bestärken: Mut haben und machen, der Rest kommt von selbst und kann gestaltet werden. Neugierig sein. Und auch mal scheitern dürfen. Was mir noch auffällt: Die Stadt hat in Teilen eine unglaubliche Lebensfreude, wenn die Leute einen Brunnen zum Freibad umfunktionieren oder auf dem Rasen in der City Fußball spielen. Was ich auch sehr schätze: Wenn ich hier am Sonntagmorgen in ein Café gehe, sitzen Familien mit zwei, drei Generationen am Tisch. Überall sieht man Kinder, ganz selbstverständlich. Das kenne ich von meinen früheren Standorten auch anders. Aber das sind Werte, die ich schätze.

Werte in einer technologischen, einer virtuellen Welt – wie passt das zusammen?
Wir sind ein globales Dorf und mit dem Internet werden plötzlich Dinge machbar, die wir früher nie für möglich gehalten hätten. Wir dürfen dabei aber eins nicht vergessen: Menschen machen und nutzen Technologien. Und Technologien prägen Menschen und verändern diese. Wir brauchen sicherlich eine sehr viel ausgeprägtere Wertediskussion um diese Wechselbeziehung, müssen die Folgen besser abschätzen lernen und umfassender verstehen. Und dies nicht nur, weil gerade die Datenschutzdiskussion oder die NSA-Affäre  in allen Medien öffentlichkeitswirksam diskutiert wird. Wir müssen besser verstehen und entscheiden, welche Dinge wir wollen und welche nicht. Wenn immer alles schneller wird, gefühlt und tatsächlich, ist die Wertefrage umso wichtiger. Und die ist eben auch kultur- und standortspezifisch. Weniger die Technologien, die sind in Chemnitz und Berlin, China oder in den USA sehr ähnlich.

Ganz ehrlich: Bist du eigentlich ab und an noch offline?
Nein, nicht mal, wenn ich schlafe. Okay, das war ein Scherz. Aber ernsthaft: ich nehme das Internet nicht als Belastung wahr. Nicht die Technologie selbst ist entscheidend, sondern unser Umgang damit und das, was wir daraus machen.

Stimmt. Während des Gesprächs liegt sein Mobiltelefon auf dem Tisch, man sieht, dass neue Nachrichten eingehen, aber er schaut nicht einmal drauf.

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