Chemnitz auf dem Weg zum neuen „Hypezig“?
Frank Müller
Macher der Woche
„Immer wieder Aha-Erlebnisse, auch für mich.“ Frank Müller ist Mitbegründer des Branchennetzwerks „Kreatives Chemnitz“. Wir nehmen Platz in einer Büroküche. Über uns ein Heer von Lampen in Form von Blumenkelchen, unter uns eine bunte Plastiktischdecke, darauf Kaffee, Wasser. Frank Müller hat uns erwartet. Jahrgang 1978 und gebürtiger Dresdener, kam er über einen Umweg nach Chemnitz: Seine Bundeswehrzeit absolvierte er in Berlin, machte dann eine Banklehre in München.
„Mein damaliger Arbeitgeber hat mich anschließend zum Studium nach Chemnitz geschickt. BWL mit dem Schwerpunkt Investmentbanking gab es zu dieser Zeit nur in Chemnitz“, erzählt er. Dem Fach widmete er nur ein paar Monate, um dann auf Soziologie, Psychologie und Pädagogik umzuschwenken: „Um mein Studium zu finanzieren, bin ich in die Medienbranche hineingerutscht und hab mir mein Taschengeld mit der Programmierung von Webseiten verdient. Und bin deshalb in der Stadt geblieben.“
Die Branche beschäftigt ihn auch heute noch – als Geschäftsführer der Werbeagentur „Haus E“ ist er einer der Initiatoren des Branchennetzwerks „Kreatives Chemnitz“. Der Dachverband für die Kreativwirtschaft wurde im vergangenen Jahr gegründet und hat seitdem einiges an Aufmerksamkeit eingefahren. Frank Müller ist deshalb unser „Macher der Woche“.
Herr Müller, die Kreativbranche ist vielleicht nicht das erste, was man mit Chemnitz verbindet. Da liegt der Maschinen- oder der Fahrzeugbau näher. Gibt es denn in Chemnitz Kreativität?
Frank Müller: Natürlich. Und prinzipiell gibt es Kreativität auch ohne unseren Branchenverband. Menschen, die schöpferisch tätig sind, gibt es ja schon immer hier. Auch Maschinen- oder Fahrzeugbauer sind natürlich kreativ, und das schon seit Jahrhunderten in Chemnitz. Deswegen sind sie auch schon gut vernetzt. Das ging der Kreativwirtschaft bisher nicht so. Die Branche beschäftigt viele Menschen und generiert Umsätze, auch in Chemnitz, aber sie hat überwiegend eine kleinteilige Struktur, die man schwer greifen kann. Man könnte sagen: Die Branche ist überall und damit aber auch nirgends. So gehen die Akteure in der Öffentlichkeit manchmal ein wenig unter und erfahren nicht die Aufmerksamkeit, die sie verdienen.
Und das soll mit dem Verband geändert werden…
Wenn ein Künstler, ein Designer oder Architekt Aufträge bekommen will, dann muss er bekannt sein. Diesen Bekanntheitsgrad kann man erhöhen, zum Beispiel mit öffentlichen Veranstaltungen, die die Branche als Ganzes oder auch einzelne Köpfe vorstellen, oder auch mit einer Webseite, wo einfach mal die Kreativen der Stadt aufgelistet sind. Zum anderen geht es aber auch darum, in Gesprächen mit Ministerien oder der Stadtverwaltung dafür zu sorgen, dass Förderprogramme oder öffentliche Aufträge weniger weit an den Bedürfnissen der Kreativbranche vorbeischießen.
Über 40 Mitglieder hat der Branchenverband nach einem Jahr: Zeitungshäuser, Werbeagenturen, Marketinggesellschaften, Designer oder Fotografen gehören dazu. Doch Dresden hat die Neustadt und Leipzig ist „Hypezig“. Frank Müller kennt die Aktivitäten und auch das Image der Nachbarstädte, die lokalen Branchenverbände sind miteinander vernetzt. Neidisch blickt er nicht in die Nachbarschaft…
Ich glaube nicht, dass uns solche Vergleiche weiterbringen. Chemnitz hat seine Vorteile. Es ist groß und stark genug, dass es hier Aufträge für Kreative gibt, auch wenn ich mir manchmal mehr Verständnis – zum Beispiel für Werbung – wünschen würde. Da können und müssen wir als Kreative sicher auch öfter Nachhilfe leisten. Und dafür ist Chemnitz klein genug. Überschaubar. Zwischen Stadtverwaltung, Wirtschaftsverbänden, einzelnen Unternehmen oder kulturellen Institutionen sind die Wege kurz. Selbst, wenn es gelegentlich Befindlichkeiten zwischen einzelnen Akteuren gibt, kann man sich schnell verständigen und auch mal auf dem kurzen Weg etwas entscheiden. Und wenn es um Chemnitz geht, ist der Chemnitzer Patriot genug, um zusammenzuhalten.
Das gilt dann auch beim „Kreativen Chemnitz“?
Wenn ich mein Unternehmen anschaue, kann ich sagen, dass Chemnitz uns, aber auch vielen anderen Unternehmen der Branche die Chance gegeben hat, sich am Standort zu entwickeln und zu wachsen, sodass wir inzwischen gelegentlich Schwierigkeiten haben, hier vor Ort noch geeignete Fachkräfte zu finden. Da bietet das Netzwerk auch die Chance, sich vielleicht nicht gegenseitig die besten Mitarbeiter abspenstig zu machen, weil das ohnehin nur zwei-, dreimal gut geht, sondern sich gemeinsam weiterzuentwickeln, zusammen auch nach außen für die Stadt zu wirken und dann Aufträge in die Stadt zu holen. Und das Schöne ist: Ich dachte vor der Gründung des „Kreativen Chemnitz“, die Kreativen in der Stadt kennen sich alle schon – aber bei unseren Netzwerkveranstaltungen gibt es doch immer wieder Aha-Erlebnisse, auch für mich, wenn ich sehe, wer hier alles unterwegs ist in der Stadt.
Am Anfang hatte sich Frank Müller ein wenig gewehrt, der Macher der Woche zu sein. Es gäbe doch noch so viele andere, die im Verborgenen wirtschaften. Ist das die typische Chemnitzer Bescheidenheit?
Dem Chemnitzer fällt es manchmal ein bisschen schwer zu sagen: „Das gefällt mir“. Von Euphorie ist man hier weit entfernt. Es fehlt – als Dresdener darf ich das ja vielleicht sagen – etwas der Bürgerstolz auf die Stadt. Aber „Stadt“ ist ja ein Konstrukt, das für jeden etwas anderes ist. Für mich persönlich hängt es viel mit Arbeit in dieser Stadt zusammen, hängt auch viel mit Freunden zusammen. Es ist für mich weniger ein architektonisches Konstrukt, wo man sich freut, wenn es modern ist. Ich habe hier ein Angebot, wo mir vielleicht die kulturelle Tiefe manchmal fehlt, aber die Breite ist da. Aber es ist für mich auch legitim zu sagen: Mir fehlt hier etwas. Mir persönlich fehlte in dieser Stadt eben ein Fokus auf die Kreativbranche, weil ich merkte, das hindert mich oder meine Firma auch im persönlichen Fortkommen, und deshalb war ich dabei, als es hieß, wir stellen das stärker heraus. Da habe ich aber nicht daran gedacht, Macher zu sein oder so weit vorn dran zu stehen.