Man merkt, dass sich was dreht

Eva Öhmichen

Macherin der Woche vom 20. August 2014

Eva Öhmichen ist ein bisschen verwundert. „Wie seid ihr denn überhaupt auf mich gekommen?“ Wir wollten die Lauf-KulTour und die Leute, die dahinter stecken würdigen und haben einen Tipp bekommen: Redet doch mal mit Eva. Sie war 2013 schon bei dem Staffellauf-Event dabei und will auch dieses Jahr wieder antreten, wenn 12 Läufer am 3. September von Chemnitz auf ihre Strecke rund um Deutschland starten und damit nicht nur die Stadt bekannter machen, sondern auch Geld für einen caritativen Zweck sammeln.


Kannst du kurz beschreiben, was die Lauf-KulTour ist, welche Ziele und welche Motivation damit verbunden sind?
Eva Öhmichen:
Da muss ich erstmal überlegen, das ist schwer in Worte zu fassen. Man kann das mit nichts vergleichen, weil es das, außer an der TU Chemnitz, nirgends gibt. Das muss man eigentlich selbst erlebt haben: Wir sind insgesamt zwölf Läufer und haben das Ziel, in 16 Tagen einmal Deutschland zu umrunden. Das sind ca. 4.000 km. Jeder Läufer rennt zweimal am Tag, jeweils eine Stunde. Es gibt insgesamt drei Teams mit jeweils vier Läufern. Team eins hat Schicht von 2.00 Uhr bis 6.00 Uhr und nochmal von 14.00 Uhr bis 18.00 Uhr. Team zwei geht von 6.00 Uhr bis 10.00 Uhr auf die Strecke usw. Hinzu kommen noch acht Radbegleiter, die uns auf der gesamten Strecke navigieren. Ein riesengroßes Projekt, das von Studenten auf die Beine gestellt wird.
Wir sind als gemeinnütziger Verein organisiert, der das Ziel hat, während der 16 Tage Spenden für einen guten Zweck zu sammeln. Letztes Jahr zum Beispiel für die Deutsche Krebsgesellschaft. Dieses Jahr sammeln wir für die aktion benni & co. e.V., ein Verein, der sich für muskelkranke Kinder engagiert.

Was steckt bei der Lauf-KulTour für ein Anspruch dahinter?
Es gibt da viele Herausforderungen, die alle gemeistert werden wollen. Zunächst mal die Organisation. Wir müssen schauen, wo wir unsere Wohnmobile herbekommen, wie wir Geld sammeln, wie wir die richtigen Läufer und Radbegleiter finden. Bekommen wir die Laufausrüstung und evtl. noch ein paar Fahrräder für die Begleiter gesponsert? Das sind die Organisationsstrukturen.
Dann zu den Läufern: Die müssen auch einen gewissen Aufwand betreiben, damit sie, so gut es geht, die 16 Tage verletzungsfrei überstehen. Insgesamt sollte man so zehn bis elf km pro Stunde laufen. Sonst schaffen wir die 4.000 km nicht in der geplanten Zeit. Da lernt man seine Grenzen kennen und muss dann auch darüber hinaus gehen.

Würdest du sagen, dass viele Menschen rund um die Strecke etwas von euch mitbekommen?
Wer das wirklich alles mitbekommt ist immer wieder überraschend. Da kommen Menschen an die Strecke, weil sie im Radio von uns gehört haben und rennen dann teilweise sogar ein Stück mit. Letztes Jahr sind ein paar Schweizer sogar extra über den Bodensee gekommen, um uns zu treffen. Dabei merkt man zwar, dass es die Klischees vom grauen, industriellen Chemnitz gibt. Aber das ändert sich oft im Gespräch. Auch durch die Anerkennung, dass so ein tolles Projekt hier entstanden ist.

Kann bei euch jeder mitmachen, der Spaß am Laufen hat?
Da muss man unterscheiden. Es gibt zunächst mal einen Lauftreff jeden Montagabend ab 19.00 Uhr, der über die TU organisiert wird. Das ist wie ein normaler Uni-Sportkurs, der extra für Nicht-Studenten geöffnet wurde. Dort wird den Läufern dann auch die Lauf-KulTour schmackhaft gemacht: „Wie wär´s, seid ihr abenteuerlustig, wollt ihr mal bei sowas mitmachen?“ Und manche entscheiden sich dann, weil sie einfach Bock drauf haben. Der Treff baut sich trainingstechnisch hin zur Lauf-KulTour auf. Für diejenigen, die wirklich Interesse haben, kommt ein zweiter Lauftreff hinzu, wobei der Trainingsinhalt Intervall-, Berg- und Treppenläufe beinhaltet. Da schaffen es dann sogar einige Leute, die vorher noch nie Laufen waren und keine große Ausdauer haben, am Ende die Tour mitzumachen. Als Teammitglieder können wir letztlich trotzdem nur zwölf Studenten der TU Chemnitz mitnehmen. Die, die am fittesten sind und am besten ins Team passen. Dafür sind wir ein Studentenprojekt.

Wie sieht dein Trainingsplan aktuell aus?
Es gibt das Gruppentraining immer montags und mittwochs und alles andere ist jedem selbst überlassen. Ich versuche oft in der Gruppe zu trainieren, aber ich bin auch der Typ, der gerne mal alleine laufen geht. Um für mich zu sein und vom Uni-Stress abzuschalten. Es kommt jetzt die Phase, in der man schon ein paar Kilometer mehr in der Woche rennen muss. Ich sag mal zwischen 70 und 80 km. Unser Trainer Manuel Eberhardt schreibt uns jeden Montagfrüh eine Rundmail mit Trainingsterminen und dem Wochenziel. Da haben wir etwas, woran wir uns orientieren können. Dann gibt es noch eine spezielle Einheit, in der wir drei Simulationstrainings haben. Das heißt, wir laufen morgens um 7.00 Uhr eine Stunde und abends nochmal. Und das drei Tage hintereinander, damit der Körper die Belastung kennenlernt und sich auch anpasst.

Hast du schon vorher Sport gemacht?
Ich war im Alter von neun bis 14 Jahren schwimmen. Von den fünf Jahren waren drei leistungssportlich orientiert. Aufgehört habe ich wegen Überbelastung. Da wurde ich mehrfach krank, hatte Fieber aus unerklärlichen Gründen und die Zensuren gingen in den Keller. Da dachte ich mir: Schule ist wichtiger. Anschließend habe ich drei Jahre Leichtathletik gemacht. Das hat mir aber auch nicht so viel Spaß bereitet. Die wollten mich immer alle über Hürden schicken, aber ich bin kein Koordinations-Freak. Nebenbei bin ich für mich alleine zu Hause immer mal rennen gewesen bzw. mit meiner Mutti. Familiär haben wir im Sommer schon immer Aktivurlaub gemacht. Wir haben die Räder mitgenommen und sind dann in den Alpen gefahren. Als Jugendlicher hast du da nicht immer Bock drauf gehabt, aber Sport nimmt inzwischen schon einen großen Teil meines Lebens ein.
Als ich angefangen habe hier zu studieren, habe ich auch begonnen Mountainbike zu fahren und war auch ganz gut. 2012 belegte ich bei den Sächsischen Hochschulmeisterschaften den zweiten Platz. Bei der Deutschen Hochschulmeisterschaft bin ich Dritte geworden. Die Ziele, die ich mir gesteckt hatte, hab ich auch erreicht. Danach kam mit meiner Abschlussarbeit 2013 ein Cut.

Und wie bist du dann zum Laufen gekommen?
Im Endeffekt hatte ich irgendwann einfach die Nase voll, immer nur Rad zu fahren. Das sind so Momente, da fühlt man sich, als hätte man ein Brett vorm Kopf. Und dann dachte ich mir: „Machste einfach mal was anderes.“ Ich bin dann zu der Infoveranstaltung der Lauf-KulTour gegangen und hab einen Einblick bekommen, wie das Ganze abläuft und fand das schon sehr, sehr cool. Die Herausforderung hat mich gereizt. Eigentlich bin ich vorher nie gerne Laufen gewesen. Erst bei der Lauf-KulTour habe ich gelernt, das Laufen zu lieben.

Und da wird dir nicht langweilig während des Laufens?
Dein Radbegleiter navigiert dich nicht nur, er motiviert dich auch. Er quatscht dich an, du quatschst ihn an – das geht ganz automatisch. Außerdem siehst du immer was Neues. Nachts ist sowieso vieles anders. Da siehst du nicht viel und dann kommen unerwartete Momente. Letztes Jahr war es zum Beispiel irgendwann nachts stachelig am Fuß. Da war ich gegen einen Igel gerannt - keine Angst, der hat überlebt. Oder um 4.00 Uhr in der Früh an der Nordsee durch einen Herde mit 300 Schafen zu rennen und du siehst überall leuchtende Augenpaare - langweilig wird dir da nie.

Was macht ihr auf der Tour, wenn ihr gerade nicht rennt?
Wenn wir nicht gerade laufen, fahren wir zwischen 80 und 90 km mit dem Wohnmobil vor, damit wir schon in der Nähe des neuen Treffpunkts sind. Außerdem müssen wir die Zeit nutzen, um einzukaufen, viel zu essen und zu schlafen. Anders stehst du die 16 Tage gar nicht durch. Und vielleicht mal ein bisschen in der Weltgeschichte umher schauen, wenn mal eine freie Minute ist.

Inwiefern sind die letzten Tage besonders schwierig? Weil dir die Strecke dann schon in den Beinen steckt?
Zum einen das, auf der anderen Seite hast du einfach einen extremen Schlafmangel. Ich hatte letztes Jahr an einigen Tagen wirklich fast einen Filmriss, weil sich der Kopf einfach ausgeschaltet hat und nur der Körper arbeitet. Und dann wird man auch launisch. Und das zu viert in einem kleinen Wohnmobil. Da muss man sich schon zusammenreißen.

Ist es manchmal schwierig, sich zu motivieren, wenn du weißt: Um 3 Uhr nachts muss ich wieder ran?
Das schwierigste für mich ist, wach zu werden. Rennen ist kein Problem, aber im Kopf klare Gedanken zu fassen – daran muss ich manchmal arbeiten. Das ist wie morgens aufzustehen. Morgenmuffel – ja oder nein. Dafür brauche ich meine Zeit.

Was tut nach diesen ganzen Strapazen am meisten weh?
Ich hatte letztes Jahr keine großen muskulären Probleme. Nur ein paar Knieprobleme und Wadenkrämpfe, aber das war nach ein-zwei Wochen dann auch wieder weg.

Eva, du bist dieses Jahr schon zum zweiten Mal dabei. Wie bist du denn damals dazu gekommen?
Zwei von meinen drei Brüdern studieren auch in Chemnitz – schon ein Jahr länger als ich. Matthias ist schon 2010 mitgerannt und da hab ich das schon alles ansatzweise mitbekommen. Was die so machen und was so grob der Inhalt ist. Ich hatte unwahrscheinlichen Respekt davor, dachte aber auch, dass die ein bisschen einen an der Waffel haben, sich das anzutun. Aber mein Bruder fand es genial und wollte sogar gerne weitermachen. Danach war die Lauf-KulTour an der Uni weiterhin präsent und 2013 stand nach der Infoveranstaltung für mich auch fest, dass ich dabei sein wollte.
Das Lustige ist, dass 2013 beide Brüder mitgekommen sind. Die habe ich eher so scherzhaft gefragt. „Steffen, uns werden gerade die Läufer knapp. Sag mal hättest du nicht Lust?“ Und dann fehlte uns noch ein Radbegleiter. Am Tag der Abfahrt, als wir Steffen abgeholt haben, hab ich dann noch Matthias gefragt. „Hey Matti, hast du hier irgendwie mal mit Lust, Radbegleiter zu machen – du weißt doch sogar schon wie es war zu laufen.“ Und dann ist er auch mitgekommen.

Der Sport ist ja ein Ausgleich, sagst du. Wie ist es nach der Bachelorarbeit für dich im Studium weiter gegangen?
Ich wurde dann für den Masterstudiengang Präventions-, Rehabilitations- und Fitnesssport nachträglich immatrikuliert und studiere jetzt halt zwei Studiengänge. Den Bachelor in Medical Engineering hatte ich ja schon angefangen.

Wie bekommst du das denn alles unter einen Hut: Zwei Studiengänge und das regelmäßige Training?
Das ist manchmal wirklich ein Spagat, jedes Semester die Stundenpläne zusammenzubasteln. Da muss man Prioritäten setzen und auch mal Abstriche machen. Für mich ist es einfach Normalität geworden.

Und wo machst du Abstriche?
Im Bachelor sind viel mehr Seminare, Übungen und Vorlesungen, als im Masterstudiengang vorgesehen. Da gibt es manchmal zeitliche Überschneidungen. Dann überlege ich, was mich jetzt im Moment weiter bringt. Das eine Seminar jetzt – dann werde ich mit dem Master schneller fertig und kann mich dann später besser auf das Bachelor-Studium konzentrieren. Da kann man nicht alles machen, was angeboten wird und muss dann auch einfach mal was auf die nächsten Semester verteilen.

Du selbst kommst ja, wie viele deiner Teamkollegen, gar nicht aus Chemnitz. Fühlst du dich der Stadt in besonderer Weise verbunden? Mit eurer Aktion seid ihr ja schon ein Aushängeschild für die Uni und die Stadt.
Viele reden die Stadt immer wieder runter: Industriestadt, hässliche Esse, leerstehende Häuser… Aber man merkt doch, dass sich hier was dreht! Ich bin in Riesa mit der Natur aufgewachsen und entsprechend schätze ich auch die vielen Grünanlagen in der Stadt und die Umgebung mit dem Vor-Erzgebirge und den Wäldern. Zum Beispiel im Zeisigwald gehe ich gerne laufen und es ist auch ideal zum Radfahren. Besonders fürs Mountainbike fahren mit ziemlich viel Abwechslung. Wir haben hier vielleicht keine große Seenlandschaft, sondern „nur“ den Stausee Rabenstein und die Freibäder. Aber ich mag diese Einfachheit. Es fehlt mir an nichts. Und dann bin ich auch jemand, der ein klar strukturiertes Stadtzentrum mag, weil ich mich da einfach zurechtfinde. Ich kenne Chemnitz sicher nicht komplett, aber es ist ein Teil von mir geworden. Wenn ich bei meinen Eltern in Riesa bin und wieder nach Chemnitz fahre, sag ich auch: „Ich fahr wieder nach Hause.“

Warum bist du denn gerade nach Chemnitz zum Studieren gekommen?
Ich wollte nie einen Beruf haben, wo man den ganzen Tag im Büro sitzt und schreibt. Das ist nicht mein Ding, das kann ich mir schlecht vorstellen. Und dann habe ich mir eben Studiengänge rausgesucht, die etwas mit Sportwissenschaften zu tun haben, weil im Endeffekt auch noch ein Teil Medizin mit behandelt wird. Das fand ich interessant. Dann standen für mich Leipzig und Chemnitz zur Auswahl. In Leipzig habe ich mich nicht wirklich zurechtgefunden. Und dann hat man es auch an den Leuten gemerkt, dass man eher kühl begrüßt und aufgenommen wurde, als ich zum Sporteignungstest war. Da habe ich mich in Chemnitz einfach wohler gefühlt. Und das muss man auch, wenn man sich für einen Studienort entscheidet. Man verbringt ja einen gewissen Teil seines Lebens dort.

Die Chemnitzer sprechen oft zurückhaltend von ihrer Stadt. Muss man den Chemnitzern Mut machen?
Ich bekomme das, wenn, dann nur von außen mit, dass jemand sagt „Chemnitz ist nicht schön.“ Jede Stadt hat ihre Ecken, in denen es vielleicht auch wirklich nicht schön ist. Auch Leipzig und Dresden. Und da sagt man dann: „Der Stadtteil is ne so de Wonne“ und es ist nicht so toll, dort durch die Straßen zu gehen. Aber man sollte auch wirklich einfach mal die Augen aufmachen, wenn man durch Chemnitz geht. Auch die, die immer so negativ eingestellt sind gegenüber der Stadt: Sie hat auch schöne Seiten.

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