In Chemnitz ist noch vieles möglich, was in anderen großen Städten schon erledigt ist

Mario Forberg

Macher der Woche vom 30. April 2014

Mario Forberg ist ein Macher-Urgestein in Chemnitz. Seit 19 Jahren betreibt er auf dem Sonnenberg ein Musikpub, welches sich einen internationalen Ruf als Musik-Location erarbeitet hat. Hier spielen Bands aus New York und Manchester, aus Italien oder Irland. Wir treffen ihn an einem sonnigen Nachmittag zwar in einem Café der Landeshauptstadt, wohin er aus privaten Gründen seinen Lebensmittelpunkt verlegte, entdecken aber so ein weiteres Markenzeichen der Chemnitzer Macher: Man trifft sie überall in diesem Land. Das kann der Inhaber des „Subway to Peter“ bestätigen. Auch er selbst habe schon überall gearbeitet, sogar als Fahrer bei den Kastelruther Spatzen, wie er später zugeben wird. Es sei nicht schwer gewesen, hier wie da Chemnitzer zu treffen, die ihre Herkunft nicht verleugnen, wie oft behauptet wird.
Ein gutes Gefühl stellt sich nun ein, denn mit dem „Everybodys Subway to Peter“, so der komplette Name dieser Chemnitzer Musikinstitution bewegt Mario Forberg nach wie vor Dinge in Chemnitz und ist nebenher auch jemand, der erzählen kann und Geschichten zu erzählen hat, wie alles begann vor nun 19 Jahren, als er seinen Job bei der Stadtverwaltung Chemnitz an den Nagel hängte, um Musikgeschichte in Chemnitz zu schreiben.


Was hast Du damals gemacht?
Mario Forberg:
Ich war KFZ-Mechaniker bei der Stadtverwaltung. Zehn Jahre lang, aber umtriebig war ich da schon. Man kannte die Leute aus der Filmwerkstatt zum Beispiel, ist mit denen weggegangen. Dabei ist „Wirt“ nie mein Traumberuf gewesen. Aber ich war immer so: Ich musste was machen, ich muss mit Leuten irgendwas tun und in der Szene.

Hattest du zur DDR-Musikszene einen besonderen Zugang? Wie war das nach der Wende, in diesen berühmten Anfängen?
Ja unbedingt! Ein Beispiel ist „Skeptiker“, diese geförderte FDJ-Punk-Band. Die hatten aber für die damalige Zeit wirklich schon so Texte! Ich bin mit Eugen [gemeint ist Eugen Balanskat Anm. d. Red.] befreundet gewesen. „Skeptiker“ haben sich viel später aufgelöst und Eugen hat dann andere Projekte gemacht, seine Bands unterstützt und in Chemnitz veranstaltet. Das ging weiter mit Makarius, Sänger von „Die Art“, oder mit „Freygang“. Man kannte sich und dadurch, dass man in dem Business gewesen ist, haben sich einige Freundschaften entwickelt. Dann haben wir Konzerte gemacht und so hat sich das aufgebaut. Begonnen hat das mit dem „Subway“ - dort haben wir angefangen zu sagen, wir machen mal am Wochenende Live-Musik.

Wart ihr schon immer in der Peterstraße?
Ja, schon immer dort.

Das Haus gehörte mal dem „Selbsthilfe 91 e.V.“.
Das Haus gehört denen immer noch. Die „Selbsthilfe 91 e.V.“ hat sich ja aus Teilen der Hausbesetzerszene in Chemnitz gegründet. Denen wurde damals angeboten, sie könnten sich ein Haus raussuchen und sich da mit Fördermitteln und ABM, und was es alles gab, verwirklichen. Dadurch ist das Haus entstanden und ich bin dann auch mit eingezogen. Ich hatte zwar diesen sicheren Job und ich gehörte nicht zu den Leuten, die in besetzten Häusern gewohnt haben - ich hatte eine Wohnung -, aber ich hatte Kontakt zu dieser Szene. Und dann war da eine Wohnung frei, ein WG-Zimmer, und ich bin eingezogen und unten war der Keller. Da hieß es: „Na, schreib mal ein Konzept.“
Damals nach der Wende war diese Energie da, nach dem Motto: „Was machen wir jetzt zusammen?“ Da hatte ich schon mit Freunden überlegt und das ging so ein bisschen in diese Richtung Kneipe, Pub und Live-Musik.

War das das Grobkonzept?
Genau. Man hatte selbst immer gesagt, die haben unten den Keller und man würde den gern vermieten und dazu ein Konzept schreiben. Damals kannte ich schon mit Bea von der Filmwerkstatt eine gute Freundin.

Beate Kunath, die Filmemacherin?
Ja. Sie hat in der Zeit ihren ersten Film gedreht, „Manchester Chemnitz“. Manchester ist ja die Twintown von Chemnitz und Bea musste nochmal rüber nach England, um dort noch ein paar Kameraeinstellungen zu drehen. Sie hat gefragt, ob ich Lust hab, mitzukommen. Dann hab ich in Manchester in einem Pub gesessen, das hieß „Subway“. Das war irgendein normales Pub in einem Keller, naja ein bisschen deftiger. Dort hab ich überlegt: Der Name in Chemnitz, also „Subway“? Unser Keller ist ja gegenüber vom Bahnhof. Die Verbindung hat eben gepasst. Und dann haben wir der Vollständigkeit halber das Ganze „Everybody’s Subway to Peter“ genannt. Aus Manchester hab ich sozusagen den Namen mitgebracht und in der Partnerstadt das Konzept noch ein bisschen geschrieben.

Wie ging es weiter?
Ich hab gekündigt in der Firma, hab zwei Freunde, die damals auch mit im Haus gewohnt haben, dazu gewinnen können. Wir haben das sozusagen zu dritt begonnen. So ging das einfach los. Am Anfang, am Wochenende mal eine Live-Band, meistens etwas aus der Umgebung. Aber dadurch, dass wir schon Kontakte hatten zu anderen Bands, hat dann irgendwann mal die erste Band aus New York gespielt, die einen Namen hatte, und dann ist das wie ein Schneeball-Effekt. Als es mit dem Internet – am Anfang ist alles telefonisch geblieben und wurde so klar gemacht –dann verschärft vorwärts ging, war das dieser Effekt. Das ging voll los und wurde von Jahr zu Jahr mehr, dass Bands aus aller Welt kamen. Man hat natürlich immer mehr kennengelernt dadurch.
Das war wirklich ein guter Zeitpunkt. Zu der Zeit gab es auf dem Kassberg noch die ganzen WG’s und es gab das „VOXXX“. Da war, im Vergleich zu heute, vom bunten Szeneleben mehr zu spüren.

Diese Aufbruchstimmung?
Ja. Da waren die Leute da. So nach 19 Jahren hab ich bemerkt, dass viele Freunde aus meiner Generation, die, sagen wir irgendwas gemacht haben in dem Business, weggegangen sind. Die leben jetzt in Berlin, Hamburg, Malmö, London. Irgendwo haben die sich in diesem Business, in diesen Jobs, ob die nun Roadies sind, ob die auf Tour sind oder bei „Die Toten Hosen“ in der Crew – die sind alle weg. Das waren alles Chemnitzer. Wenn man irgendwo in diesem Geschäft unterwegs ist, trifft man überall Chemnitzer. Das ist wirklich der Hammer. Du kannst bei irgendeiner Produktion sein, auf irgendeinem Festival und irgendjemand fragt: „Wo kommst du denn ursprünglich her?“ Und man sagt: „Chemnitz.“

Was macht Chemnitz heute noch für Dich aus?
Das Schöne in Chemnitz ist, das hat uns damals schon geholfen, dass am Ende jeder jeden kennt. Es gibt trotz der Großstadt das Feeling einer Kleinstadt. Hier sind alle befreundet miteinander, wir kennen uns alle; alle, die mit der Stadt irgendwas zu tun haben oder machen. Selbst Barbara Ludwig habe ich schon kennengelernt.

Wie klingt denn der Sound von Chemnitz?
Musikalisch? Wenn man genau hinhört oder eben mal unter die Decke guckt, ist es sehr vielfältig. Klar, Kraftklub ist jetzt das Ding, was in aller Munde war. Aber wenn man die Musik von Kraftklub vergleicht, was sie ja auch selber zugeben: Die haben sich aus allen möglichen Musikstilen, die denen gefallen, irgendwas genommen. Du erkennst dort „The Hives“, du erkennst dort Rap. Wenn man jetzt die ganzen Bands, die es in Chemnitz gibt, und da gibt es ja immer noch genug, betrachtet, da bewegt sich was. Ich sag immer: In Chemnitz ist es durchwachsen. Du hast dort sehr gute Punk-Bands, du hast zum Beispiel, die Band „Lousy“, die es schon ewig gibt, und die es auch schon zu Europa-Touren geschafft hat und auf Festivals. Dann hast du die Schülerbands am anderen Ende, die proben und machen.

Andere Frage, die im Raum steht: Was macht dann Chemnitz zu dieser berühmten Volksmusik-Stadt? Warum haben die Volksmusiker die Ambition immer nach Chemnitz zu kommen?
Da kann ich nicht mit reden, weil ich zwei Jahre für die „Kastelruther Spatzen“ unterwegs war. (Lacht.) Während der „Kraftwerk“-Zeit und der „Subway“-Zeit. Also ich bin durch Zufall rein geraten, über ehemalige Chemnitzer, die in dem Business unterwegs sind und ich hab noch aus DDR-Zeiten den Führerschein und wurde gefragt, ob ich den Truck, den 40-Tonner, fahren kann für die Jungs. Abgesehen davon, dass man dort Geld verdient, hab’ ich das gemacht und fand das auch ganz witzig und am Ende bin ich da zwei Jahre hängen geblieben. So hab ich vier Tage den Job gemacht und am Wochenende war ich in der Kneipe. Wir hatten damals das „Subway“ und das „Kraftwerk gemeinsam. Und wenn die „Kastelruther Spatzen“ in Chemnitz waren, dann haben die zwei Tage gespielt. Das liegt daran, dass einfach der Altersdurchschnitt sehr hoch ist und das betrifft ja nicht nur Chemnitz, das betrifft ja das ganze Erzgebirge. Man muss das ganze Umland sehen und wenn du so ein dicht besiedeltes Umland hast wie Chemnitz mit einem hohen Altersdurchschnitt, wo dann auch Busunternehmen einfach die Leute in die Stadthalle bringen, dann funktioniert das.

Die Begriffe „Musikkneipe“ oder „Musikpub“ werden dem „Subway to Peter“ eigentlich nicht gerecht. Es ist ja vielmehr eine international anerkannte Location für Bands. Also aus den unterschiedlichsten Richtung von Metal über Hardcore bis Punk. Die kommen alle kostenlos zu dir - wie machst du das?
Das Schöne ist, wir haben damals das Konzept einfach so geschrieben und gesagt: Wir bieten das Podium, wir haben eine Kneipe, das ist keine Konzert-Location. Die Bands können da spielen, wenn sie Lust haben, wir lassen den Hut rumgehen und das, was die Menschen freiwillig geben, kriegt die Band. Es ist natürlich erstmal für Nachwuchsbands. Aber es ist natürlich auch super für Bands, die auf Tour sind und an einem Dienstag zum Beispiel einen Off-Day haben. So ein Off-Day kostet Geld: Du hast ein Auto, du musst ein Hotel bezahlen und ein Off-Date [Anm. d. Red.: ein Off-Date ist ein Auftrittstermin außerhalb des offiziellen Tourablaufs] zu spielen in einem Laden, in dem du Essen, Trinken, eine Übernachtung kriegst und vielleicht kommt noch ein „Fuffi“ rumkommt an Spenden, das ist klasse. So ist das dann entstanden. Hinzu kommt noch, dass wir irgendwie größere Bands kennen, mit denen befreundet sind und die dann einfach mal sagen: Wir spielen dort. Da stehe ich dann und hab’ Gänsehaut: Dass mir das mal passiert, dass da wirklich die Großen kommen. Die haben 1977 in England Platten gemacht, die ersten Platten, und spielen jetzt einmal im Jahr im „Subway“. Einen Tag vorher hatten sie einen Vertrag mit irgendeinem Veranstalter in Dresden oder Leipzig, wo sie einen „Tausi“ kriegen. Da hat Chemnitz schon eine bestimmte Außenwirkung. Viele Bands zum Beispiel sagen: „In Chemnitz, da gibt’s das ‚Subway’, da haben wir schon gespielt, da sind nette Leute“. An der Stelle ist es erstmal egal, wie viele Leute da waren.

Schließt sich die Frage an, wie wichtig ist der Standort einer Kneipe, einer Musik-Location wie dem „Subway to Peter“, in Chemnitz?
Wenn ich jetzt genau das Konzept und das Projekt „Subway to Peter“ neu aufmachen würde, mit einem Teil der Erfahrungen, die ich gesammelt habe in der Zeit, würde ich mir sagen: Ich geh’ in die Innenstadt. Allerdings liegt das „Subway“ so wie es liegt, super. Wir haben kaum Anwohner, du hast Parkplätze, du liegst trotzdem zentral und letztendlich ist es eine Art von alternativer Underground-Leitkultur, Feeling eben. Wenn du mit so einem Ding in die Fußgängerpassage gehst - da wäre der Alarm vorprogrammiert.

Ist das Chemnitz-typisch?
Hab ich das Gefühl, ja. Oder anders ausgedrückt: Vielleicht fällt es in Chemnitz mehr auf, es nicht so boomt, dass man trotzdem noch um jeden Gast kämpft. Das Nachtleben ist nicht so intensiv. Mittlerweile haben ja auch viele Läden zugemacht. Du kannst eben nicht eine Location aufmachen, wo du zweimal im Monat ausverkauftes Haus hast und die restliche Zeit probierst du mit kleineren Bands etwas und da kommt keiner. Da sind die Kosten zu hoch.

Wie kannst Du den Chemnitzern Mut machen?
In Chemnitz ist noch vieles möglich, was in anderen großen Städten schon erledigt ist. Du hast dort noch Nischen, genug Nischen! Du kannst Ideen einbringen - im Nachtleben, in der Gastronomie, im Veranstaltungswesen. Das ist noch nicht alles abgesteckt. Es ist noch nicht, wie sagt man, gesättigt. Dort ist noch etwas möglich. Es ist noch so vieles machbar. Aber es müssen Leute sein, die Energie und Lust haben und dahinter stehen. Und über Durchhaltevermögen verfügen. Klar, es fällt niemandem irgendwo vor die Füße und dann alles ist super. Sondern man muss sich wirklich damit beschäftigen und dann einfach sagen: „Ich mach das jetzt.“ Aber es ist noch alles offen.

 

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