Wir haben es relativ cool hier

Andreas Marschner

Macher der Woche vom 11. Juni 2014

„Du musst noch fahren“, sagt der Kollege, als wir von Andreas Marschner unser Eis bekommen. Zugegeben, ein etwas unüblicher Hinweis in Zusammenhang mit diesem Sommerklassiker der Naschereien. Dabei ist die Experimentierfreude der aus Auerbach im Erzgebirge stammenden Eis-Familie Marschner in der Stadt durchaus bekannt und man weiß, was auf einen zukommt. Ein Bier-Eis allerdings ist neu und gehört zu den jüngsten Spontan-Kreationen der Eis-Menschen an der Zwickauer Straße. Im Gespräch über die Stadt Chemnitz und das Leben mit ihr und hier, merkt man Andreas Marschner an, wie gern er Dinge entwickelt, gestaltet, vorantreibt und dabei nicht stehenbleiben will. Gewöhnlich sind seine Ideen nicht, weil er der Meinung ist, dass man gerade in Chemnitz mit Schoko-, Vanille- oder Fruchteis allein schon lange nicht mehr punkten kann. Dabei kann er die Leistungen anderer durchaus anerkennen und erklärt Chemnitz kurzerhand zur Eishauptstadt, weil man sich hier besondere Mühe geben müsse, um den besonderen Anspruch der Chemnitzer zu erfüllen. Der verheiratete Vater eines fast zweijährigen Sohnes brütet aber nicht im dunklen Kämmerlein über neuen Einfällen. Die kommen ihm einfach, wie er zugibt, und notfalls wird eine Idee dann auf die Fliesen neben den Eis-Maschinen skizziert. Und so bekommen wir eine weitere Kostprobe aus der Ideenwelt von Andreas Marschner. Gefragt nach einem typischen Eis für die Stadt, ein Chemnitz-Eis, hat er sofort eine Idee. Es müsse eine Verbindung sein zwischen der Tradition der Stadt und dem Blick auf das Moderne, das Dynamische, die Energie von Chemnitz. Was er plant, bleibt bis auf Weiteres sein Geheimnis. Sicher ist aber: Es wird ein Eis für Chemnitz!


Es gibt ja immer lange Schlangen vor Eurem Laden. Insbesondere wenn es schön ist und die Leute auch mit dem Fahrrad vorbeikommen können. Wie kommt das? Was macht Ihr Besonderes in Euer Eis?
Andreas Marschner:
Wir sind bei den Zutaten nicht sparsam. In das Eis kommen wirklich nur wertige Sachen. Das ist dann auch das, was man herausschmeckt. Wir lassen uns da immer viel einfallen. Damit wir in die Breite kommen, gibt es auch ein bisschen was ausgefallenes. Kürzlich haben wir zum Vatertag zusammen mit Kay-Uwe Jüttner von der Braustolz-Brauerei ein Bier-Eis gemacht. Das ist natürlich nicht jedermanns Geschmack, aber dieses Spezielle bringt immer mal wieder einen frischen Aspekt hinein und das wollen die Leute auch. Schoko gibt es überall.
Chemnitz ist für mich ohnehin die geheime „Eis-Hauptstadt“. Gerade in diesem Sektor gibt es hier unglaublich viele kreative Köpfe, die sich immer wieder etwas Neues einfallen lassen. Ich habe den Eindruck, dass die Mehrheit der Eis-Hersteller in Chemnitz das Produkt so wie wir machen: Ein bisschen mit Liebe! Wir haben hier schon eine Reihe sehr guter Eis-Hersteller in Chemnitz und ich denke, das bringt für das ganze Produkt etwas und davon profitieren alle.

Das heißt, man muss sich in Chemnitz schon Mühe geben, wenn man Eis macht?
Das ist jetzt nicht allein auf Chemnitz bezogen. Wenn Du etwas machen willst, dann solltest Du das generell richtig und nicht nur nebenher machen. Selbst wenn ich an der Ostsee irgendwo an der Promenade eine Eisdiele betreiben würde, würde ich mir trotzdem Mühe geben. Es ist einfach so: Wenn Du etwas machst, was die Menschen verzehren, was der Mensch in sich aufnimmt, dann musst Du auch den Anspruch haben, dass das eine Qualität hat.

Ist dieses „Sich Mühe geben für das eigene Produkt“ eine Chemnitzer Spezialität?
Das könnte schon sein. Es wird zwar gerade daran gearbeitet, aber Chemnitz ist ja vom Image her nicht ganz so verwöhnt. Es gibt viele Sachen, auf die die Chemnitzer stolz sein können. Aber man muss sich bei dem, was man tut, auch Mühe geben, damit es wahrgenommen wird, vielleicht auch überregional. Es gibt ja Unternehmen in Chemnitz, die international tätig sind und wenn die sich als Chemnitzer Unternehmen nicht anstrengen würden, würden sie nach außen vielleicht nicht wahrgenommen werden. Du kannst eben hier mit keinem Namen punkten wie „Münchner Bier“ oder „Handelsstadt Leipzig“ oder so was - Du bist halt aus Chemnitz und wenn Du etwas sein willst, musst Du eben etwas Gutes machen.

Dann ist das also sogar eine Chance, dass man sich in Chemnitz so viel Mühe gibt, was dazu führt, dass das auch überregional eine Wirkung erzielt?
Es ist vor allem eine Chance. Wenn Du die begreifst und wahrnimmst, dann hat das ja einen nachhaltigen Effekt. Wenn Du mit Qualität punktest, anstatt nur mit Geschrei oder mit irgendwelchen Aussagen, wenn Du eine Botschaft über Dein Produkt herüber bringst und sich Deine Botschaft bestätigt beim Verbraucher, ist das natürlich nachhaltiger, als wenn Du nur etwas versprichst mit einer großen Ankündigung. Dann hast Du vielleicht einmal Erfolg – aber dann nie wieder. Wenn man sich das als Chemnitzer Anspruch hernimmt, als „Quality made in Chemnitz“, dann ist das auf jeden Fall sehr nachhaltig.

Wo kommen denn Eure Ideen her?
Das kommt zufällig.

Du stehst also unter der Dusche und denkst Dir: „Man könnte heute mal ein Bier-Eis machen.“?
Ja. Ich stehe an der Eismaschine, habe so drei Minuten zwischen Abwiegen, Eisform füllen und Verzieren und noch ein bisschen Luft, weil die Eismaschine gerade noch nicht richtig fertig ist und dann schießt das irgendwie so durch den Kopf. Manchmal habe ich auch gerade keine Zeit, dann schreibe ich mir das schnell irgendwo hin, meistens irgendwo an die Wand, damit der Gedanke nicht verloren geht. Es ist ja alles gefliest bei uns. Später wird der Gedanke wieder aufgegriffen. Wie bei dem Bier-Eis! Da ist mir am Tag zuvor eingefallen, dass ja Vatertag ist und das Bier-Eis eben cool wäre. Dann lässt sich das gerade in Chemnitz auf kurzem Wege umsetzen. Dann ist der Kay-Uwe Jüttner von der Braustolz-Brauerei gekommen, mit dem ich ein bisschen verkostet habe. Das finde ich in Chemnitz auch vorteilhaft. Wir sind ja keine Kleinstadt, wir sind ja schon eine größere Stadt, aber es ist so ein enges, man könnte auch sagen ländliches Gefüge der Menschen untereinander. Man kennt sich, man kann sich aber auch aus dem Weg gehen, wenn man will. Aber man kann auch einfach mal schnell telefonieren und fragen, wie es aussieht: „Ich habe hier eine Idee – wollen wir das machen? Ja oder nein? Okay, ja, klappt.“ So hat das auch bei dem Bier-Eis funktioniert und das mit den anderen Ideen ist so ähnlich.

Gibt es eine Sorte, die besonders gut läuft? Bei der ihr sagt: Das ist ein Kracher.
Ja, das sind die Klassiker. Vanille, Schoko, Joghurt und die ganzen Milchprodukte wie Buttermilch und Quark, weil das noch so einen gesunden Aspekt hat. Das wird zurzeit unheimlich viel gegessen. Bei dem Wetter natürlich auch Fruchteis. Das hast Du auch in der kalten Jahreszeit und im Frühjahr oder Herbst nicht ganz so. Was sich auch zu einem absoluten Renner herauskristallisiert, ist Stracciatella. Es sind schon so die klassischen Sachen, die anderen sind Beiwerk. Bei den anderen Sorten, die auch etwas außergewöhnlicher sind, da wird auch viel gemischt. Zum Beispiel Vanille mit so einer verrückten Sorte dazu. Vanille geht zum größten Teil immer irgendwie mit.

Ist das eine Macherqualität, dass man immer nach etwas Neuem sucht?
Du musst nicht. Es ist immer eine Frage des eigenen Anspruchs. Mein Urgroßvater hat immer gesagt: Stillstand ist Rückgang. Das schwebt bei mir auch immer noch ein bisschen mit. Meine Großmutter hat es dann an mich weitergetragen und wahrscheinlich werde ich es an meinen Sohn weitertragen. Wenn Du Dir ein gewisses Niveau erarbeitet hast, musst Du irgendwie versuchen, das Niveau zu halten. Und je höher die Niveaustufen sind, umso schwieriger wird es. Und da sind wir wieder dabei, dass Du Dir Mühe geben musst, wenn Du Dich verbessern willst. Ohne, dass Du Dich engagierst, ohne dass Du Dich einsetzt, wird es nicht funktionieren. Du musst grundsätzlich am Ball bleiben, aber ich denke, das geht jedem so.

Wie würde denn „Chemnitzer Eis“ bei Euch schmecken?
Das ist eine gute Frage. Da habe ich mir noch keine Gedanken dazu gemacht. Aber wahrscheinlich würde es eine Mischung werden aus irgendetwas Klassischem, weil wir ja auch eine große Tradition in der Stadt haben. Vielleicht ein Vanille-Eis. Und ich würde irgendetwas Junges, etwas Verrücktes da mit reinbringen. Oder vielleicht auch andersherum: Irgendetwas Verrücktes mit einer klassischen Note. Aber eben eine Mischung aus, sagen wir mal, Vanille und wir machen da noch irgendeine verrückte Fruchtsoße rein. Ich habe da gerade noch keine klare Idee. Aber so in die Richtung würde es gehen.
Es wäre also eine Synergie zwischen dem Jungen, Spritzigen und der großen Tradition, die ja auch ein Teil der Stadt ist. Aber eben so, dass es geschmacklich eine gute Symbiose gibt. Das ist ja auch das Ziel einer funktionierenden Stadt: eine Symbiose zwischen jung und alt, die allen schmeckt.

Chemnitz ist eine Industriestadt, in der auch viel gearbeitet wird. Das war auch schon immer so und soll auch so sein. Können die Chemnitzer trotzdem genießen?
Ja, klar. Wenn Du am Wochenende hier herein schaust, wenn hier alles voll ist – dieses Menschengemurmel, jeder hat etwas zu erzählen, dieses Geschirrgeklapper. Ich denke schon, dass die Menschen das genießen, hier zu sitzen. Manchmal müssen sie auch ein bisschen länger warten, aber es gibt ja kaum Leute, die daran Anstoß nehmen. Es ist ja hier auch niemand in Eile. Von daher denke ich schon, dass die Chemnitzer Genießer sind, ja.

Ich habe eine Standardfrage, die ich immer stelle: Muss man den Chemnitzern Mut machen?
Nein, wir müssen den Chemnitzern keinen Mut machen. Wir müssen einfach das Positive mehr in den Vordergrund bringen und das Negative ein bisschen ausblenden. In der allgemeinen Wahrnehmung und in der Berichterstattung. Aber die Frage ist ja, wozu soll man denn Mut machen? Wozu wollen wir die Leute ermutigen? Ich denke, die Leute, die hier sind, sind mutig. Das zeigt ja auch ein sehr starkes Wirtschaftswachstum, gerade im mittelständischen Bereich in den letzten Jahren oder auch im letzten Jahrzehnt. Wenn die Leute keinen Mut dazu hätten, ein Risiko zu wagen, wären auch ganz viele Sachen so gar nicht entstanden. Ich denke, Mut ist ausreichend da. Wir müssen bloß die Ergebnisse, mehr in die Öffentlichkeit bringen. Bessere Botschafter für die Stadt als lächelnde Bürger gibt es nicht.
Wir brauchen uns nicht zu verstecken, sage ich immer wieder. Wir sind ja schließlich wer. Einfach mal Kopf hoch, nach draußen gehen und sagen: „Wir haben es ja relativ cool hier, ihr könnt euch das ruhig mal angucken.“

Ist das ein Merkmal von Chemnitz, dass es hier noch so viele Freiräume gibt? Dass man es hier irgendwie alles ausprobieren kann?
Ich denke, Chemnitz ist in einer Entwicklung. Das bietet natürlich auch die Chance für die Menschen, die da sind, sich mitzuentwickeln. Die Strukturen sind noch nicht endgültig und eine Stadt ist nie fertig. Der Imagewandel, der gerade stattfindet und hoffentlich auch wahrgenommen wird, ist ja auch noch eine Entwicklung. Da hast Du auch noch die Chance, ein bisschen mitzugehen und für Dich selbst etwas mitzunehmen. Ich denke, dass Freiräume da sind, aber man muss die auch mit Leben füllen. Man muss es passieren lassen.

Ich habe noch eine schöne aktuelle Frage. Mit dem Blick auf das vergangene Wochenende, an dem wirklich viel los war. Muss es jetzt heißen: Jetzt geht endlich etwas los in Chemnitz? Oder ist in Chemnitz schon immer etwas los, man muss es bloß entdecken?
Eher zweitens. Ich habe mich in Chemnitz nie gelangweilt. Ich lebe an sich seit jeher hier und bin auch relativ unternehmungslustig. Aktuell haben sich die Prioritäten durch die Familie etwas verschoben. Aber ich habe mich nie gelangweilt. Ich denke, es war schon immer etwas da, es war auch immer ein ausreichendes Angebot da. Es wurde nur vielleicht nicht ausreichend transportiert oder die Wahrnehmung war nicht ausreichend. Ich bin mir nicht ganz schlüssig, wo es herkommt. Aber „Endlich was los“ würde ich nicht sagen. Es wird endlich wahrgenommen, dass was los ist.

 

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