Chemnitz ist eine Stadt, in der urbanes Leben stattfindet
Jörg Kaufmann
Macher der Woche vom 7. Mai 2014
Wieder die TU in Chemnitz. Diesmal treffen wir den Macher der Woche direkt an der Reichenhainer Straße, in einem Gebäude, in dem schon immer an Materialien, Verbindungen oder deren Verwendung geforscht wurde und wird. Und Jörg Kaufmann ist ein Ingenieur, wie aus dem Lehrbuch. Bepackt mit Unterlagen und einer Fahrrad-Gabel stürmt er die Treppen hoch zu unserem Termin. Auf Kommando lächeln für den Fotografen ist seine Sache nicht.
Die Firma Silbærg, die die derzeit innovativsten Snowboards auf den Markt bringt, gibt es jetzt seit drei Jahren und ist für ihn noch immer mehr Liebhaberei als wirtschaftlicher Zweckbetrieb. Ein Ausgleich zu seiner derzeit vor der Verteidigung stehenden Promotion an der Chemnitzer Universität. Den Enthusiasmus für sein Produkt spürt man aber schon im ersten Augenblick und Innovationen für die Schublade sind seine Sache auch nicht. Statt sein Patent zu verkaufen, entwickelt er die entscheidende Komponente seiner Snowboards mit einigen Freunden selbst und lässt die Bretter bei einer renommierten Herstellerfirma in Österreich komplettieren. Und das in einer Branche, die nicht viel Platz für Versuche lässt. Aber Jörg Kaufmann ist ein Macher der, ganz Ingenieur, für seine Sache zwar brennt, aber nichts anbrennen lässt.
Silbærg - klingt ein bisschen nach „Silberberg“ und nach Erzgebirge. Seit wann gibt es Euch als Firma?
Jörg Kaufmann: Ja, der Name „Silbærg“ hat seinen Ursprung im Wort „Silberberg“, wir wollten einfach einen Namen habe, der eine Verknüpfung zum Snowboarden und zur Erzgebirgsregion hat. „Silberberg“ holpert etwas stark, weswegen wir zu „silbærg“ gekommen sind. Die silbaerg GmbH wurde dann im Januar 2011 aus dem Institut für Strukturleichtbau der TU Chemnitz ausgegründet, wo ich seit 2006 angestellt bin und derzeit an meiner Promotion arbeite. Neben dem normalen wissenschaftlichen Alltag habe ich mich mit einem Team von Studenten regelmäßig mit Snowboards und deren Verbesserung beschäftigt, sodass die Verknüpfung von Doktorarbeit und Snowboard-Entwicklung eine logische Schlussfolgerung war. So entstand dann auch die A.L.D.-Technologie für die Snowboards. Das Produktkonzept war so gut, dass wir 2010 einige Preise gewonnen haben und 2011 die GmbH gründen konnten.
Und wie heißt diese Technologie ausgesprochen?
A.L.D.-Tech. ist die Abkürzung des Anglizismus „anisotropic layer design“ und steht für den physikalischen Effekt der anisotropiebedingten Koppeleffekte von Faser-Kunststoff-Verbunden (FKV).
Das klingt ja nach einem ziemlichen wissenschaftlichen Ungetüm. Wie kann man das dem Nutzer ganz einfach erklären? Was hat man am Fuß mit Deinem Board?
Anisotropie bedeutet richtungsabhängig und sagt aus, dass Faserverbunde in die unterschiedlichen Richtungen auch unterschiedliche Eigenschaften haben. Dieser Effekt kann so genutzt werden, dass sich das Snowboard bei einer Durchbiegung auch wölbt. Bei der Kurvenfahrt z. B. biegt sich jedes Snowboard durch die Taillierung durch. Wir nutzen diese Durchbiegung im Gegensatz zu anderen Snowboards aber aus, um das Snowboard um die Längsachse zu wölben. Die Kanten werden also aktiv in den Schnee gedrückt und somit der Kantenhalt deutlich verbessert.
Das heißt, ich stehe besser im Schnee oder auf Eis?
Genau.
Funktioniert das genauso bei Carving-Ski? Und wollt Ihr in Zukunft auch solche produzieren?
Ja, der Effekt funktioniert auch bei Carving-Ski und wir haben sogar schon einen Prototyp gebaut und getestet. Aber Silbærg soll auf jeden Fall eine Snowbard-Marke bleiben.
Weil sich das Snowboard besser verkauft?
Nein, aus Marketinggründen. Skifahren und Snowboarden sind einfach zwei Welten. Was aus dem Ski wird ist noch Zukunftsmusik. Es nicht gerade einfach ist, so eine Produkteinführung zu stemmen, auch finanziell.
Verstehe ich das richtig - Ihr betreibt Silbærg neben Euren eigentlichen Berufen?
Ja, alle ca. 10 Freiberufler, die bei Silbærg dabei sind, arbeiten noch in „richtigen“ Berufen. Bei uns bringen sich alle aus Leidenschaft zum Snowboarden ein. Wir lieben es einfach, an so einem Projekt, das auch noch hier aus der Region kommt, zu arbeiten und zu sehen wie es sich entwickelt. Da tut es nicht weh, viel von seiner Freizeit für Silbærg zu „opfern“.
Baut ihr eure Boards selbst?
Wir stellen das wichtigste an unseren Snowboards, die so sogenannten A.L.D.-Halbzeuge selbst in Handarbeit in Chemnitz her. Diese Faserhalbzeuge sind sehr komplex aufgebaut, bestehen aus rund 40 Einzelteilen. Es braucht sehr viel Know-How und Erfahrung, um sie in sehr guter Qualität herzustellen. Die fertigen Halbzeuge schicken wir dann nach Österreich zu einem der führenden Produzenten in der Snowboard-Industrie, wo die Silbaerg-Snowboards dann hergestellt werden.
Ich habe das Gefühl, dass TU-Ausgründungen in den letzten Jahren aus dem Boden sprießen. Habt ihr nie darüber nachgedacht, dass Patent irgendeiner großen Firma anzubieten?
Oh ja, an der TU Chemnitz passiert in Sachen Ausgründungen sehr viel. Das Gründernetzwerk Saxeed ist äußerst aktiv und unterstützt die Ausgründungen sehr gut. Über eine Lizenzierung oder eine Belieferung anderer Snowboardhersteller mit unserer A.L.D.-Technologie haben wir oft nachgedacht und auch viele Gespräche geführt. Aber durch die hohe Qualität und die hohen Kosten durch die Handarbeit sind die Halbzeuge für andere Snowboardhersteller im Moment einfach zu teuer. Vor allem, da es der Branche aktuell nicht so gut geht.
Warum geht es der Branche nicht so gut?
Das Grundproblem ist, dass zu viel Ware im Handel ist und durch die schlechten Winter nicht genügend Snowboards abverkauft werden konnten. Dadurch wird dann ab Januar sehr viel über Rabatte verkauft, was aber weder für den Handel noch für die Marken gut ist. Die Kunden sind inzwischen auch schon darauf trainiert, dass sie ihre Snowboard-Ausrüstung im Frühjahr günstig bekommen und warten so lange mit dem Kaufen. Das Ergebnis ist dann, dass die Produkte auch in der Fertigung immer günstiger werden müssen und darunter leidet oft die Qualität. Es hat ja keiner was zu verschenken.
Spielt Ihr dieses Spiel mit?
Nein, wir versuchen uns aus diesen Rabattschlachten raus zu halten. Wir stellen hochwertige Produkte mit viel Handarbeit in Deutschland und Österreich her und haben einen Zwei-Jahres-Produktlebenszyklus. Da macht es einfach keinen Sinn, die Produkte Mitte Januar für den halben Preis in den Markt zu drücken. Wir wollen einfach eine höhere Wertigkeit und Stabilität erreichen. Wenn ich mir im November ein Snowboard für 900 EUR kaufe und im Januar ist es dann für 400 EUR im Handel zu finden, dann fühle ich mich als Kunde schon ein bisschen auf den Arm genommen. Das versuchen wir zu umgehen und zu vermeiden.
Du bist ja nach wie vor bei der Uni angestellt. Machst Du dort den ganzen Tag nichts anderes, als Snowboards zu entwickeln?
Ich mach den ganzen Tag andere Sachen in verschiedensten Projekte und für die unterschiedlichsten Branchen. Aber das eine ist die Arbeit als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Professur „Strukturleichtbau und Kunststoffverarbeitung“ und das andere ist Silbærg. Nach meinem „normalen“ Job an der Uni kommt mein Hobby eben und das ist auch klar getrennt. Wir haben ja auch eigene Räumlichkeiten angemietet.
Kommst Du aus Chemnitz?
Ich bin in Stollberg geboren und in Bayern groß geworden und zum Studieren bin ich dann an die TU Chemnitz zurückgekommen. Während des Studiums habe ich aber wieder in Stollberg gewohnt und bin jeden Tag in die Stadt gefahren. Nach dem Studium habe ich dann eine Promotionsstelle am Institut für Strukturleichtbau angeboten bekommen und bin hier geblieben.
Du bist in Bayern aufgewachsen - erklärt sich daher Deine Snowboard-Affinität?
Also ich bin in der Oberpfalz im Norden von Bayern groß geworden, somit ist die Fahrzeit in die Alpen auch nur eine dreiviertel Stunde weniger als von Chemnitz. Aber ich habe nebenbei viel in einem Snowboard- und Fahrradladen gearbeitet und war somit schon immer eng mit dem Sport verbunden, in den Alpen war ich aber auch sehr viel zum Snowboarden unterwegs – daher die Affinität.
Warum bist du dann nach Chemnitz und nicht beispielsweise nach München gegangen?
Ich bin in Waldsassen groß geworden, das liegt an der tschechischen Grenze. An Universitäten gibt es dort weit und breit nicht viel. Regensburg ist etwas weiter entfernt als Chemnitz und Bayreuth ist nur über die Landstraße zu erreichen. Da ist Chemnitz echt eine super Alternative gewesen. Da meine Eltern noch ein Haus in Stollberg haben, in dem ich umsonst wohnen konnte, war das die perfekte Kombination für mich als Studenten. Und nach dem Studium hat es mir hier so gut gefallen, dass ich einfach geblieben bin.
In Chemnitz wird ja angeblich viel gemeckert. Es gab Projekte wie diese Skihalle im Contiloch, die nie entstanden ist. Und es gibt die Nähe zum Fichtelberg, der aber viel zu klein zum Snowboarden sei. Wie würdest Du den Chemnitzern trotzdem Mut machen?
Die Nähe zu Oberwiesenthal ist für mich und Silbærg einer der wichtigsten und schönsten Punkte von Chemnitz. Wir sind im Winter in weniger als einer Stunde im Schnee und können Spaß haben. Am Abend kannst du dich mit Freunden wieder in der Stadt treffen. Das schaffe ich nicht, wenn ich in München Richtung Alpen starte.Das Thema „Contiloch“ ist auch ein spannendes und ich bin gespannt, was daraus wird. Mein Vorschlag wäre ja eine Wakeboard-Anlage, was mindestens genau so innovativ wie die Skihalle wäre!
Wie sieht denn urbanes Leben für dich in Chemnitz aus?
Ich kann in Chemnitz mit dem Fahrrad in die Innenstadt fahren und dort in einer Bar oder einem Biergarten freie Zeit mit Freunden genießen. Es gibt auch ein paar schöne Clubs mit guten Konzerten, nette und gute Restaurants und z. B. das Blume Open-Air sowie die ganze elektronische Szene die wieder auflebt, das finde ich richtig gut!
Das heißt, in Chemnitz findet schon urbanes Leben statt?
Ich bin jetzt fast Mitte 30, arbeite an der TU Chemnitz und habe ein zeitaufwendiges Hobby, da brauche ich das Wochenende zum Erholen von der Woche und nicht umgedreht. Aber für mich bietet Chemnitz genügen Alternativen für entsprechende Abendgestaltung, gelangweilt zu Hause sitze ich so gut wie nie.
Vergangene Woche gab es einen großen Fototermin vor dem Karl-Marx-Kopf. Worum ging es da?
Es war eine Promo-Aktion für die Chemnitzer Fachmessen, wo wir unsere Snowboards auch ausstellen werden. Wir wollten aber auch zeigen, welche Innovationen des Strukturleichtbaus und der Textiltechnik aus Chemnitz kommen. Chemnitz ist mit diesen Themen historisch unwahrscheinlich stark verbunden und es ist schön, das es hier wieder sehr viel Kompetenz in diesem Bereich gibt - vor allem mit dem Institut für Strukturleichtbau an der TU Chemnitz. Bei dem Shooting am Karl-Marx-Kopf waren auch noch Mr. Snow mit der textilen Skipiste und die Windenmanufaktur Felix, die Schleppanlagen für Segelflieger herstellt, dabei. Alle drei Produkte zusammen machen es möglich, Winterfeeling in die Innenstadt zu bringen. Die Aktion war super und die Fotos gingen auch gut durch die Presse und haben die Chemnitzer Fachmessen sehr gut beworben.
Bleibst du hier in Chemnitz?
Das Ziel ist es auf jeden Fall. Es ist ein schönes, entspanntes und gemütliches Leben in Chemnitz mit vielen Möglichkeiten, man muss sie nur ergreifen!