„Als Chemnitzer kann man eine breite Brust haben“

Tino Utassy

Macher der Woche vom 9. Juli 2014

Tino Utassy kann nicht ruhig sitzen. Es ist vielleicht das auffallendste Merkmal eines Machers von seinem Format in einer Branche, die davon lebt, jeden Tag neu die Menschen zu unterhalten und zu informieren. Tino ist Radio-Macher im besten Sinn und das bereits seit Anfang der neunziger Jahre, als er mit Radio Chemnitz an den Start ging. Damals saß er mitunter auch noch selbst an der Technik, um Moderatoren anzulernen. Heute ist er Chef der überregionalen BCS Broadcast Sachsen, die neben den Lokalradios wie Radio Chemnitz oder Radio Dresden auch Hitradio RTL betreibt. Dass er bereits seit über 20 Jahren Radio macht, merkt man dem Fußball-Fan nicht an und auch wenn er immer mal wieder im Spaß mit seinem Alter kokettiert, ist er ein aktiver Mensch, den es wann immer es geht, nach Südtirol zieht. Bevorzugt mit einem Wohnanhänger. Das ist übrigens ein Thema, über das man mit ihm ebenso lange fachsimpeln kann wie über Fußball. Dabei hat er nach der Wiedervereinigung seine Chance auf dem Radiomarkt erkannt und genutzt. Insofern ist er ein typischer Chemnitzer Macher, den wir in seinem Chemnitzer Studio zum Gespräch treffen konnten.


Für viele Bürger ist dein Radio ein Teil ihres Alltags, es ist seit Jahren „ihr“ Stadtradio. Seit wann gibt es denn Radio Chemnitz?
Tino Utassy:
Die Idee zu Radio Chemnitz gibt es seit unmittelbar nach der Wende. „In natura“ gibt es das seit dem 23. Mai 1993. Aber der Weg bis dahin war nicht ganz einfach, das war schon eine schwierige Nummer.

Warum?
Man kann ja nicht einfach eine Lizenz für eine Frequenz bekommen, sondern man muss das beantragen. Da kann man sich vorstellen, dass wir da nicht die Einzigen waren. Alle aus den alten Bundesländern wollten natürlich in Sachsen Radio machen, weil die Wahrscheinlichkeit hoch war, dass Sachsen ein blühendes Bundesland im Osten wird – was aus meiner Sicht ja auch der Fall ist. Und daran hatten natürlich viele Interesse.

Warum hast Du das gerade in Chemnitz gemacht?
Ich bin ja von hier. Vor der Wende habe ich sehr viel mit Kultur, insbesondere mit Disko, zu tun gehabt – also mit dem „Musik für andere Leute machen“. Und ich war da immer ein bisschen traurig. Es gab damals zwar DT64, aber das war nicht das, was ich mir so dachte. Das waren eher RIAS 2 oder Bayern 3, die mir gefallen haben. RIAS 2 war eher für die Jüngeren, Bayern 3 eher für die Älteren und ich dachte mir einfach: „Mensch, das muss es doch hier auch geben! Das kann doch nicht sein.“ Dann kam die Wende und ich habe mir gedacht: „Jetzt muss es irgendwie gehen.“ Das klingt heute einfach, war es aber nicht.

Wenn es nicht einfach war, musstest Du ja bestimmte Qualitäten mitbringen. Was sind denn Deine Macherqualitäten?
Also erst einmal habe ich einen Dickschädel, das ist schon so. Wenn ich irgendetwas im Kopf habe, was ich will und was sein muss, dann muss das auch sein. Und ich glaube, dass es eine ganz große Sache ist, Entscheidungen zu fällen. Ich glaube auch, dass Führungskräfte im Sekundentakt Entscheidungen fällen können müssen und so fühle ich mich auch manchmal. Da muss man dann auch durch, das nützt nichts. Das ist eine Qualität, die nicht jeder hat. Viele brauchen sehr, sehr lange Zeit, um bestimmte Dinge zu entscheiden und haben auch eine große Angst, Fehlentscheidungen zu treffen. Aber es ist eine Summe von guten Entscheidungen, die dazu führt, dass man erfolgreich ist.

Brauchen das Radioleute besonders? Ist der Radiomarkt so eng, dass man da besondere Macherqualitäten mitbringen muss?
Nein. Ich denke, egal, welches Business das ist – am Ende brauchst du Macherqualitäten. Die, die erfolgreich sind, folgen so gewissen „Gen-Strukturen“, das ist zumindest mein Eindruck. Ich habe auch viele Leute in der langen Zeit kennengelernt, bei denen ich dachte: „Mensch, die oder der könnten jemand sein.“ Und das ist dann doch nicht ganz so gewesen. Oder man hat Leute entdeckt, die dann eben durchgestartet sind und jetzt in ganz anderen Bereichen tätig sind und Führungsqualitäten haben.

21 Jahre Radio Chemnitz – wie hat sich die Chemnitzer Medienlandschaft in den letzten Jahren entwickelt?
Die hat sich gewaltig verändert. Zu dem Zeitpunkt, als wir die Idee geboren hatten, Radio zu machen, war die Situation für das Medium Radio sehr ähnlich dem, wie sie heute ist. Wenn man sich überlegt, was es mittlerweile alles im Onlinebereich gibt und was Zeitungen widerfahren ist, die ihre Leser in dieser Zeit halbiert haben! Wenn das überhaupt reicht, das kann ich jetzt so nicht genau sagen. Das ist für die Zeitungen und Zeitschriften schon eine ganz schwierige Zeit. Fernsehen, Online haben wahnsinnig dazu gewonnen und Radio ist sehr, sehr stabil geblieben. Nicht nur bei uns, sondern generell in Deutschland.

Sind die Chemnitzer besonders anspruchsvolle Hörer?
Jein. Sie sind nicht anspruchsvoller oder anspruchsloser als andere Städte. Was sicherlich für die Chemnitzer spricht, ist, dass sie es honorieren, regionale und lokale Informationen jedweder Art zu bekommen: unterhaltend, informativ, servicetechnisch. Das belohnen sie mit einer wirklichen Liebe zum Sender, das merkt man.

Sind Lokalität und Regionalität ein Zukunftsmodell?
Ja, unbedingt. Alles, was wir im Internet erfahren, ist internationaler. So international, wie es nur irgendwie sein kann. Wir merken, dass die lokalsten Informationen bis hin zum Stadtteilinteresse unglaublich wichtig geworden sind. Und das ist immer so: Wenn sich etwas in die Größe entwickelt, hat der kleine Teil davon auch eine Entwicklung. Meistens bleibt das in der Mitte auf der Strecke. Und genauso ist es beim Radio festzustellen.

Jetzt ist Chemnitz ja der „Heimatplanet“ von Radio Chemnitz. Aus der Industriestadt sind ja schon viele erfolgreiche Unternehmen hervorgegangen. Meinst Du, die Chemnitzer sind besonders selbstkritische Macher? Haben sie einen besonderen Anspruch an sich und das, was sie tun?
Nein, sie sind vielleicht in der großen Gemengelage, bleiben wir nur in Sachsen, besonders angestachelt. Mir ist das auch beim Beginn des Radios direkt begegnet. Da hat der Geschäftsführer der Dresdner Nachrichten, der jetzt natürlich kein Geschäftsführer der Dresdner Nachrichten mehr ist, zu mir gesagt: „Na, Tino, was wird denn mit Radio Chemnitz wohl werden?“ Das klang so bemitleidend, so: „Wird’s denn gehen? Soll ich Dir irgendwie helfen?“ Das hat schlussendlich bei mir dazu geführt, dass ich eine zusätzliche Motivation hatte, um zu zeigen: „So, jetzt pass mal auf, mein Guter. Jetzt werde ich Dir mal zeigen, wo der Hammer hängt.“ Und das ist letztlich auch gelungen!
Wir waren über lange, lange Zeit mit Radio Chemnitz und ab 1994 mit Radio Zwickau die Quotenbringer. Besser als Radio Leipzig, Radio Dresden und Radio Lausitz zusammen, was schlussendlich natürlich auch in Umsatz gemündet hat. Da muss man dann nicht nachschlagen oder nachsticheln, aber das hat dazu geführt, dass du auch als Chemnitzer eine breite Brust hast und sagst: „Ich bin der Einzige, der heute aus der damaligen Führungsriege übrig geblieben ist. Und der, der das ganze jetzige, sächsische Konstrukt verantworten darf.“

Kann man diesen Anspruch auf die Chemnitzer verallgemeinern? Fühlen sie sich immer besonders angespornt?
Wenn du den Chemnitzer einmal von außen betrachtest: Wenn er irgendwo ist, sagen die Leute: „Ach, der kommt aus Chemnitz.“ So nach dem Motto: „Das tut mir aber leid.“ Der Chemnitzer selbst hat aber ein anderes Selbstverständnis. Ich bin hier geboren, ich bin zwar in Karl-Marx-Stadt geboren, aber das ist meine Stadt und ich freue mich über jede Ecke, die schöner wird. Ich freue mich auch über jeden Effekt, der nach außen dringt und die Leute sagen: „Ach, die Chemnitzer wieder.“Die Chemnitzer trauen sich zwar im Urlaub nicht laut zu sagen „ich bin aus Chemnitz“ und ihren Dialekt preiszugeben. Aber ich glaube schon, dass das die jüngere Generation mittelfristig breiter machen wird und man muss dauerhaft daran arbeiten, dass das besser wird.

Warum müssen sich die Chemnitzer nicht mit Dresden oder Leipzig vergleichen?
Na, weil man es nicht muss! Ich könnte mich, was ich sehr gerne tun würde, mit Özil vergleichen und würde gerne sagen: „Or, ich kann so gut wie er Fußball spielen!“ Aber die Grundvoraussetzungen sind eben andere. Und es muss kein Chemnitzer einen Dresdner nachmachen und umgedreht. Jede ist für sich als Stadt etwas Besonderes. Und wir haben etwas, was die anderen überhaupt nicht haben und das muss man einfach herausstellen. Und deshalb finde ich es immer etwas hässlich, wenn man sagt: „Ja, die haben das noch und die das noch und wir haben das nun gerade nicht.“ Es gibt in Dresden wunderschöne Ecken, wie es in Leipzig schöne Ecken gibt. Aber es gibt auch immer noch Sauecken, wie es auch in Chemnitz welche gibt. Und die muss man wegräumen, so einfach ist das.

Muss man den Chemnitzern Mut machen?
Ich glaube, dass man weniger den Chemnitzern Mut machen muss, sondern man muss denen, die nicht aus Chemnitz kommen und Chemnitz beurteilen, sagen: „Jetzt passt auf. Das, was ihr da so seht, das ist so nicht.“ Ich weiß von einigen Firmen, die hier ansässig sind, dass sie händeringend Fachleute suchen. Die würden aber eher nach Leipzig oder Dresden gehen und eben nicht nach Chemnitz, weil sie eine völlig falsche Belichtung von Chemnitz haben. Und das ist das Problem, das muss man anfassen und relativieren.

 

 

 

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