Ich würde kein halbes Jahr in Miami bleiben wollen
Torsten Katzschner
Macher der Woche vom 16. Juli 2014
Torsten Katzschner ist ein ruhiger Zeitgenosse. Das ist ungewöhnlich, denn die Chemnitzer Macher zeichnet vor allem ihre Umtriebigkeit aus. Dabei ist auch der Produzent, DJ und Veranstalter aus Chemnitz umtriebig und hat nicht nur eine Radiosendung in Moskau, sondern entwickelt und begleitet Musikprojekte bis Israel. Trotzdem ruht er in sich und scheint doch ein Reisender zu sein, folgt man den Ortsangaben auf seinem Facebook-Profil sowie den Erzählungen zu seinen Projekten. Dabei ist er bodenständig, fühlt sich bei Temperaturen erst oberhalb der 30 Grad-Grenze wohl und macht kein großes Aufsehen um den Erfolg, den er mit seinem Label Tokabeatz hat. Das wirkt sympathisch und so ist auch das Gespräch mit ihm in einem Chemnitzer Bistro sehr angenehm und entspannt und entwickelt sich zu einem Austausch über das Chemnitzer Lebensgefühl sowie Musik hierzulande und andernorts.
Von Dirk Duske kennen wir den Spruch: „Chemnitz hat Beat. Man muss nur genau hinhören.“ Wie klingt für Dich der Beat von Chemnitz?
Torsten Katzschner: Dynamisch klingt der. Ich finde, Chemnitz ist eine sehr dynamische Stadt. Ich kenne hier viele Mittelständler. Das ist die Stärke der Stadt, die sie auf breiter Schulter trägt. Alles, was hier stattfindet und was an Wirtschaftsleistung kommt, kommt vom Mittelstand. Es gibt wenige Große, wie vielleicht das VW-Werk. Im Moment sehe ich an vielen Ecken Baustellen, es scheint wieder ein richtiger „Boom“ zu sein.
Ist Chemnitz eine „Boom-Stadt“?
Ja, wir wachsen wieder. Die Geburtsraten gehen nach oben und die Zahl der Studenten nimmt enorm zu und dadurch wird der Durchschnittseinwohner auch jünger. Das Pro-Kopf-Einkommen ist wohl das höchste in Sachsen. Wenn ich mir diese Kennzahlen ansehe, ist schon Dynamik in der Stadt. Das spiegelt sich im Stadtbild oft nicht wieder. Das liegt an der Struktur. Es wurde im Krieg ja alles zerschossen. So eine richtige Kneipenmeile zum Beispiel, wo sich junge Leute sammeln, die fehlt in der Stadt einfach, weil es derzeit baulich nicht möglich scheint. Ich habe mal geguckt, man könnte in der Innenstadt eine Kneipenmeile machen. Aber da sind so viele kleine Geschäfte dazwischen, da kann man nicht sagen: Komm, wir schubsen jemanden weg.
Du bist viel unterwegs, aber Du bist hier zuhause. Braucht man beides? Dass man etwas „von draußen“ sehen kann und trotzdem hier geerdet ist?
Ganz sicher. Chemnitz ist mein Zuhause, meine Heimat. Wenn ich zur Winter Music Konferenz jährlich in Miami bin, fühle ich mich durchaus auch wohl. Die Stadt ist toll, die liegt direkt am Meer. Wir haben hier keinen Ozean und auch keinen Golf von Mexiko. Wir haben keine weißen Strände, das geht hier nicht. Aber ich finde, wir brauchen auch keine Tower.
Wir haben einen „Tower“.
Ja, wir haben einen! Aber das Mercure geht dort nur als kleines Hochhaus durch. Wir haben nicht jeden Tag 30 Grad, aber dafür haben wir auch keine Hurricans. Ich möchte dort nicht leben. Man fährt gern hin, man ist gerne dort. Ich kenne die Stadt ja wie meine eigene. Aber es ist so: Heimat ist Heimat. Ich würde kein halbes Jahr in Miami bleiben wollen. Zuhause ist es besser. Hier fühlt man sich wohl, hier weiß man, wo man hingeht und man hat seine Freunde.
Welchen Moment genießt Du auf einem Gig besonders?
Der beste Moment ist immer der, wenn man auf die Bühne kommt. Ich hatte auf einem Festival in Katowice in Polen mal einen Auftritt vor 150.000 Leuten. Fünf Millionen Fernsehzuschauer, das haben sie uns auch noch vorher erzählt. Wir waren damals eine relativ frische Band und hatten in Polen einen Charts-Hit. Wir mussten dahin, um das Lied zu präsentieren. Ich habe es nicht gesungen, sondern eine Sängerin. Aber ich musste ja mit auf die Bühne!
Da standen wir an der Leiter zur Bühne und davor die 150.000 Menschen. Der Moderator kündigte uns an. Die Sängerin stand vor mir, weil ich natürlich wollte, dass sie als Erstes hochgeht. Und der Bühnenregisseur zählte runter: „10… 9… 8…“ Und dann schiebt die mich vor! Der Weg die Treppen hoch war für mich eine Ewigkeit. Und dann sehen die Zuschauer meinen Kopf und schreien los. Das war schon irre.
Muss man berühmt sein, wenn man sich im Musikgeschäft bewegt? Du bist zwar in Chemnitz selbst nicht so bekannt, aber in der Szene.
Ich muss nicht bekannt sein. Entscheidend ist, dass das Label und die Musik, die ich mache, bekannt sind. Wir haben in Deutschland strukturelle Probleme, was Radiosender angeht. Ich sage immer, die deutschen Radiosender spielen nur Mainstream. Und im Ausland ist das eben nicht so. Da gibt es wirklich Musikredakteure, die sich Musik anhören und wenn die den Titel gut finden, dann setzen die den ein. Das ist in Deutschland alles schwerer.
Warum ist das im deutschen Radiomarkt so schwierig?
Die Redakteure gucken nur nach den Airplay-Charts. Nur wie kommt ein Titel in die Airplay-Charts? Wenn er oft gespielt wird. Meistens ist es dann so, dass der Druck von unten kommt. Heutzutage kommt der Druck auch aus den sozialen Medien wie YouTube oder Soundcloud, wo die „Plays“ zu sehen sind und die großen Labels draufgehen. Für mich als kleines Label ist es in den USA, in Spanien und in Italien viel einfacher, ins Radio zu kommen. Ich habe sogar eine Radiosendung in Moskau.
Sprichst Du dort Russisch?
Nein. Ich spiele dort nur die Radiosets ab. Diesen Monat brauchen sie zum Beispiel vier Stunden von mir und dann habe ich dort als eine Art Gast eine Sendung. Ich war auch schon ein paar Mal in Moskau zu Auftritten. Da ist es viel einfacher. Und hier hat man es eben schwer.
Wenn Du sagst, dass es schwer ist, sich in der Musikbranche durchzusetzen: Welche Macherqualitäten muss man dafür mitbringen?
Um sich in der Musikszene durchzusetzen, sind Geduld und eiserner Wille das Wichtigste. Ohne das geht es nicht. Das sage ich auch vielen Künstlern, die bei mir eine Platte machen. Wir finden sie gut, sonst würden wir sie nicht machen. Wenn sie aber nichts wird: Schwamm drüber, weitermachen, neue Platte machen, weiterkämpfen. Das ist das Einzige, was geht. Es gibt auch mitunter Musik, die haben wir schon vor drei Jahren veröffentlicht und die wird jetzt erst plötzlich nachgefragt.
Warum?
Man ist als Independent dem Markt oft voraus, weil man einfach näher am Publikum dran ist. Wenn eine große Universal-Plattenfirma sagt: „Komm, die Menge hört Rock.“, dann hört die Menge für die eben Rock und das wird dann schwerpunktmäßig gemacht. Als kleines Label bist Du am Puls und merkst, was die Leute lieber hören, bei was sie mehr Emotionen entwickeln und was sie satt haben. Und das hören die Großen und sehen die Großen ja erst, wenn ihre Verkaufszahlen heruntergehen. Als kleines Label hat man natürlich den Vorteil, dass man bei Veranstaltungen, Events und Festivals ist – man sieht, was passiert und kann natürlich schneller reagieren. Und dann dauert es nur eine Weile, bis sich das Ganze durchsetzt. Das Erlebnis habe ich gerade. Ich habe in Frankreich und Spanien eine Mix-Compilation veröffentlicht. Und da ist Musik drauf, die wir hier vor drei Jahren herausgebracht haben.
Ist Chemnitz für Dich eine Musikstadt? Das Gefühl kann man ja mit dem Kosmonautfestival gerade wieder bekommen.
Musik wird prinzipiell überall gehört. Ich wüsste jetzt keine Spezifika einer Stadt, um zu sagen: Das ist eine Musikstadt und das ist keine. Dort wird Musik gehört und dort nicht. Unsere Schauspielhäuser und Opernhäuser sind gut besucht. Und in der Clubszene ist einiges da, gerade das Atomino, der Brauclub oder das Luxor mit den jeweiligen Events.
Die Gefahr des Clubsterbens siehst Du in Chemnitz nicht?
Ich habe letzte Woche in einem großen Zeitungsartikel gelesen, dass in Bayern gerade ein riesengroßes Club-Sterben stattfindet und jede Woche zwei Clubs zumachen. Ich habe in Chemnitz nichts von Clubs gehört, die zumachen. Die Clubs haben alle ihre Probleme, aber das hat überhaupt nichts mit Chemnitz zu tun. Wer sagt, Chemnitz sei eine Stadt, wo nichts los ist, der müsste mal rausfahren und gucken, was woanders los ist.
Ich war vor kurzem unterwegs und hatte ein tolles Wochenende: Ich war am Freitag in Augsburg, am Samstag bei Lübeck und hatte am Sonntag südlich von Schwerin noch ein Holi-Festival zu spielen. An dem Wochenende war die Fiesta in Chemnitz super besucht. Aber die Veranstaltung bei Lübeck war nicht wirklich voll. Und das Holi-Festival war auch nicht so toll. Und da frage ich mich: Wo geht was? Ich würde sagen, am meisten ging wohl hier.
Die obligatorische Frage: Muss man den Chemnitzern Mut machen?
Man könnte vermuten, dass der Chemnitzer sich neben Leipzig und Dresden ein bisschen wie das dritte Rad am Wagen fühlt. Wir brauchen das gar nicht. Mir muss man keinen Mut machen. Und den anderen, die ich kenne, muss man auch keinen Mut machen. Die leben hier, die sind gerne hier und die wollen auch nicht weg. Es gibt natürlich überall Pessimisten. Vielleicht ist es auch so, dass die Stimmen der Pessimisten immer am lautesten sind oder dass man die zuerst schreien hört. Ich habe keine Zeit zum Jammern. Ich muss arbeiten.