Eine Oase mitten in der Stadt
Timo Stocker, Thomas Rebsch und Frank Schönfeld
Macher der Woche vom 19. August 2015
Dass in der Altchemnitzer Straße in der Vergangenheit große Maschinen brummten und viele Menschen arbeiteten, kann man sich bei dem imposanten Gebäude des Spinnereimaschinenbaus gut vorstellen. Große Fensterfronten und der geradlinige Bau über mehrere Etagen zeugen vom Stolz, der Betriebsamkeit und enormen Arbeitskraft von einst. Dass heute hier gefeiert und entspannt wird, ist nur mit einem Blick hinter die Fassade zu erahnen. Erst nach dem Passieren der Einfahrt, mehrerer Parkplätze und Nebengebäude offenbart sich hinter einem massiven Holztor das Gelände der Spinnerei: Sand, ein Pool, Bars, Hütten. Timo Stocker, Thomas Rebsch und Frank Schönfeld und unzählig viele Helfer haben sich hier ihr eigenes Paradies geschaffen. In diesem Jahr wird das Areal auch Austragungsort des Kunstfestivals Begehungen.
Das Kunstfestival Begehungen entdeckt die Spinnerei. Bringt ihr euch als Spinnerei e. V. selbst bei den Begehungen ein? Öffnet Ihr die Türen oder was ist geplant?
Frank Schönfeld: Die Begehungen finden direkt vor unserer Tür statt. Wir als Spinnerei e. V. hatten selbst mal ein Kunstfestival, das Into Openair, auf die Beine gestellt. Es gab das MS Beat, das vom Wesen her unserem sehr ähnlich war. Wir kennen uns alle untereinander und haben beschlossen, uns zusammenzuschließen unter dem Thema Wolkenkuckucksheim. Das wird also ein großes Gemeinschaftsprojekt zwischen dem Begehungen e. V., dem Huhlern e. V., dem Lokomov und Spinnerei e. V. Die Begehungen übernehmen den Bereich Kunst. Der musikalische Teil findet hier auf dem Gelände der Spinnerei statt.
Warum passt ihr gut zusammen?
Frank Schönfeld: Wir hier in der Spinnerei freuen uns über das Festival, dass alternative Kunst und Subkultur präsentiert. Es ist etwas Besonderes, abseits des alltäglichen Eventgeschäfts. Als Musiker und kreativer Kopf habe ich seit drei Jahren für den Spinnerei e. V. beim MS Beat einen Floor ausgestaltet. Man kennt sich halt in Chemnitz und findet schnell diejenigen, mit denen man etwas machen will. Unser Ziel ist es, Alternativen zum Mainstream und zum bisher Erwartbaren zu bieten.
Gibt es schon Pläne für weitere gemeinsame Projekte?
Frank Schönfeld: Von außen betrachtet sind wir eigentlich alle Konkurrenten. Aber das ist das Einzigartige dieses Jahr, dass sich viele, die eigentlich immer ihr eigenes machen, zusammenschließen. Mal sehen, wie das in Chemnitz angenommen wird. Davon werden auch die weiteren Projekte abhängen.
Frank Schönfeld hat gemeinsam mit Thomas Rebsch die Technoparty Treibsand ins Leben gerufen, bei der man auch an verschiedenen Orten der Stadt Sonntagnachmittag feiern kann. Als Felde steht Frank des Öfteren an den Plattentellern und engagiert sich im Verein Spinnerei e. V. Die Spinnerei selbst wird von Thomas Rebsch und Timo Stocker als Rebsch & Stocker GbR betrieben. Die drei Kollegen, die gleichzeitig drei Freunde sind, sitzen entspannt vor ihrer Bar, die Donnerstag und Freitag ab 17 Uhr und am Wochenende ab 16 Uhr geöffnet ist.
Wie seid ihr hier auf dieses Fleckchen aufmerksam geworden?
Timo Stocker: Ich habe eigentlich privat einen Ort gesucht – fürs Grillen, private Feiern und zum Entspannen. Da hab ich mir das Gelände hier gemietet. Nebenan war eh schon mein Club Sanitätsstelle.
Wie sah das Gelände damals aus?
Timo Stocker: Zugemüllt und zugewachsen. Es war eigentlich ein richtiger Birkenwald, plus Schrott.
Thomas Rebsch: Als wir das erste Mal hier waren, gab es nur die kleine Bar, keine Bühne, keine Treppen. Alles was hier jetzt Sand ist, war früher mal Wald.
Frank Schönfeld: Mittlerweile haben wir den Schrott und die Birken verbaut. Timo plante vor vier Jahren hier ein Festival, Spinback. Thomas und ich wollten mit Treibsand hier was machen. Wir fanden das Gelände perfekt und wollten uns gemeinsam uns die Infrastruktur aufbauen. An einem Wochenende für das Spinback und an dem anderen Wochenende für das Treibsand. Wir haben dann in Timos Garten ganz viel Sand verteilt. Beide Veranstaltungen waren erfolgreich und wir haben sukzessive das Gelände ausgebaut, mehr Sand, mehr Bars. Wir haben uns hier unseren eigenen Platz geschaffen.
Was ist das Besondere an der Spinnerei?
Frank Schönfeld: Wenn man von der Straße durch das Tor geht, vermutet man eine Industriebrache und rechnet nicht damit. Eine kleine Oase mitten in der Stadt. Es reizt uns hier, das immer weiter auszubauen. Die Ideen gehen nicht aus. Und es steckt viel Liebe im Detail. Alle Leute, die hierherkommen, sind begeistert. Wir können hier im Kunst- und Kulturbetrieb unser Ding machen.
Thomas Rebsch: Für uns ist das hier wie Urlaub. Das ist schon ein wirklich besonderer Arbeitsplatz.
Timo Stocker: Es ist auch diese Abgeschiedenheit. Man hört hier die Vögel, keine Autos. Mitten im Industriegebiet sitzen wir in einer totalen Naturoase.
Frank Schönfeld: Toll ist auch, dass viele, die hierherkommen, mitwirken wollen. Und es gibt hier auch die Möglichkeiten, kreativ zu sein und mitanzupacken.
Neben dem öffentlichen Barbetrieb gibt es vor allem an den Wochenenden Open-Air-Partys. „Natürlich kommen zu uns vor allem junge Leute“, erzählt Frank. Eltern, Oma und Opa seien aber auch schon mitgekommen. Und man kann die Spinnerei auch zu privaten Anlässen mieten. Auch zu Aktionen wie dem Fashion-Basar, Benefizkonzerte oder Open-Air-Kino lädt das Strand-Idyll gern ein.
Finden euch alle?
Frank Schönfeld: Der Weg hierher ist knifflig, aber gehört mit zum Konzept. Die meisten haben keine Ahnung, was hier geboten wird. Der Überraschungseffekt ist schon schön.
Hätte man so eine Naturoase auch in anderen Industriegebieten finden können? Warum habt ihr das gerade in Chemnitz umgesetzt?
Timo Stocker: Wir wohnen alle in Chemnitz, kommen zwar ursprünglich von woanders her, aber sind hier in Chemnitz aktiv. Wir haben das hier einfach gemacht. Wir haben eine Location für unsere Veranstaltung gesucht.
Frank Schönfeld: Es gab keinen Masterplan, sondern das ist so gewachsen. Und der Prozess ist immer noch offen.
Thomas Rebsch: Wir erweitern uns ja auch gerade wieder. Wir haben hier immer eine Baustelle am Laufen. Ich kann mich nicht erinnern, dass wir mal über einen längeren Zeitraum nicht gebaut hätten.
Ist die Nachfrage nach solchen Orten in Chemnitz auch da?
Frank Schönfeld: Für dieses Jahr können wir sagen: wir sind angekommen in der Stadt. Gut angekommen. Die Jahre zuvor wurden wir noch als Geheimtipp gehandelt.
Thomas Rebsch: Dieses Jahr ist es wirklich häufig so, dass es funktioniert und wir öfter ausverkauft sind. Die Nachfrage ist auf jeden Fall da. Aber wir sind natürlich auch sehr vom Wetter abhängig.
Thomas Rebsch kommt aus der Nähe von Stuttgart. Timo Stocker kommt ursprünglich aus Augsburg. Trotzdem haben die beiden schnell Chemnitz in ihr Herz geschlossen. Die Spinnerei ist innerhalb von wenigen Jahren zu einer der angesagtesten Partylocations geworden. Das wissen auch die zwei Geschäftsführer. „Das Gelände hier hat schon so ein bisschen Großstadt-Feeling. Hier kommen viele her und denken: Mensch, in Chemnitz passiert was“, erzählt Timo. Auch er würde sich wünschen, dass die Menschen sich noch mehr mit Chemnitz beschäftigen und dorthin gehen, wo etwas angeboten wird. „Die Leute müssten halt selbst mehr schätzen, was es in der Stadt gibt. Viele fahren weg, um was zu erleben“, stellt Thomas fest.
Wo hat Chemnitz aus eurer Sicht noch Potenzial?
Thomas Rebsch: Das kulturelle Nachtleben in der Stadt ist auf alle Fälle noch ausbaufähig.
Timo Stocker: Wir brauchen halt auch die Leute, die rausgehen, was erleben wollen. Nur so entsteht Vielfalt. Die Chemnitzer schimpfen schon viel. Aber sind dann nicht bereit, das zu konsumieren und zu tolerieren.
Frank Schönfeld: Es kommt aber auch viel aus Chemnitz. Und es passiert hier viel. Ich hab schon oft gehört, dass Chemnitz das neue Ding in Sachsen wird. Nach dem Hype um Leipzig entdecken viele die Vorteile unserer Stadt. Auch unabhängig von der Location betrachtet, haben wir drei unsere Projekte in der Stadt, legen auf, laden zu Veranstaltungen ein. Wir strahlen schon in die Stadt und ins Umland aus.
Muss man den Chemnitzer Mut machen?
Thomas Rebsch: In den Köpfen der Menschen ist das Bild von Chemnitz teilweise noch sehr schlecht. Wer sich das tausend Mal sagt, für den bewahrheitet sich das. Wenn Timo und ich Besuch von unserer Bekanntschaft und Verwandtschaft bekommen, sind die von Chemnitz hellauf begeistert.
Timo Stocker: Die Leute sollten wirklich mehr stolz auf diese Stadt sein. Chemnitz ist echt schön. Ich weiß gar nicht, warum hier immer geschimpft wird. Ich fühle mich persönlich pudelwohl in Chemnitz. Für mich ist die Spinnerei ein absoluter Glücksgriff und genau das, was ich machen wollte.
Thomas Rebsch: Wer in Chemnitz was machen möchte, hat so viele Möglichkeiten. Die Mieten sind so günstig. Man kann verrückte Deals mit Verwaltern eingehen. Für alle Projekte und Visionen, die man so hat, hat man selten so gute Grundlagen, wie in Chemnitz.
Frank Schönfeld: Hier ist nicht alles fertig. Wenn wir mit unseren Plänen nach Leipzig oder Berlin gehen würden, muss man sich erst mal das Standing, was wir hier erreicht haben, erarbeiten. Gerade mit Treibsand haben wir ein echt gutes Niveau. Hier gibt’s einfach den Raum, was zu machen. Und alle Maßnahmen und Aktionen, die beispielsweise am Sonnenberg mit dem Lokomov oder der Brühl entstanden sind, die werden fruchten. Solche Möglichkeiten gibt es in anderen Städten gar nicht. So viel Potenzial. Die Spinnerei, so wie sie ist und gewachsen ist, gibt es nur in Chemnitz. Und es wäre in anderen Großstädten einfach nicht so gelungen.