"Die geilste Stadt der Welt"
Die arbeitslosen Bauarbeiter
Macher der Woche vom 26. August 2015
Sie sind eine, vielleicht sogar die, am längsten existierende Band in Chemnitz. Die Arbeitslosen Bauarbeiter sind Kult, nicht nur bei Punkrockern, auch die Fans des Chemnitzer FC kennen sie durch Auftritte beim Aufstieg und Mannschaftspräsentationen. Am kommenden Samstag spielen Matthias Markus Brückner, Künstlername MMB Friedhelm, René Clausnitzer, alias René Furtiká und André Hansch, alias Hanscher, zum ersten Mal beim Stadtfest. Auf der Bühne Am Wall zur Mopo-Sport-Party geben die Drei ab 21 Uhr ihre Lieder für Jung und Alt zum Besten. Im Vorfeld sprechen sie über Nervosität, ihre Bandgeschichte und die Liebe zu Chemnitz.
Nach 17 Jahren Bandbestehen der erste Auftritt beim Stadtfest. Warum so spät?
MMB Friedhelm: Das wundert uns auch (lacht). Wir haben uns seit mehreren Jahren beworben, aber zu einem Auftritt ist es aus unterschiedlichen Gründen nie gekommen. Umso mehr freuten wir uns über den Anruf in diesem Jahr und unsere Premiere beim Stadtfest.
Das Chemnitzer Publikum gilt ja als besonders kritisch. Wie überzeugt Ihr es?
MMB Friedhelm: Das ist eine spannende Frage: Ist Chemnitz rockbar? Und das bei allen Altersschichten. Ich denke schon! Die Altersstruktur der Besucher bei unseren Konzerten ist auch völlig breitgefächert: von 16 bis 66 Jahren. Wir schaffen es jedes Mal, sie von unserer Musik zu überzeugen und zum Tanzen zu bewegen. Entsprechend wird auch das Stadtfest gerockt.
Seid Ihr vor dem Auftritt am Samstag aufgeregt?
MMB Friedhelm: Ich glaube Udo Jürgens hat mal gesagt: Wer nicht aufgeregt ist, bescheißt sein Publikum. So sehen wir das auch. Man weiß zwar, was man macht, wenn man auf der Bühne steht. Das sind Erfahrungswerte. Aber Vorfreude und Aufregung sind fürs Stadtfest schon mehr vorhanden als normalerweise.
Wie hat sich Eure Musik in den vergangenen 17 Jahren weiterentwickelt? Zu Beginn war es sicherlich härterer Punk?
MMB Friedhelm: Das ist richtig. Am Anfang war es richtiger Garagenpunk. Wir haben uns hingestellt, waren froh über drei zu spielende Akkorde, schrieben irgendeinen Text und sangen die Lieder nacheinander runter. Weiter gekümmert haben wir uns nicht. Hauptsache es war laut, schnell und irgendwas zum Singen. In den Jahren haben wir uns natürlich weiterentwickelt. (lacht) Wir haben bisher 12 Tonträger veröffentlicht, und natürlich hat man immer den Anspruch mit jedem neuen Werk irgendwie besser zu sein, einen Schritt weiter zu gehen. Mittlerweile ist es nicht mehr der Garagenpunkt, sondern eher Rockmusik mit verschiedenen Einflüssen – ansprechend für ein breiter gefächertes Publikum.
Nicht nur in Chemnitz kennt man euch, sondern bundesweit: Von der Ostseeküste bis in den Bayrischen Wald. Würdet Ihr euch selber als erfolgreich bezeichnen?
MMB Friedhelm: Wo wir gebucht werden, fahren wir hin. Aber was heißt erfolgreich? Wir sind jetzt nicht die Chartstürmer. Das ist auch gar nicht unser Anspruch. Wir freuen uns auf verschiedene Städte und sind jedes Mal überrascht, dass auch außerhalb von Chemnitz unsere Lieder mitgesungen werden. Das ist schon cool.
Wie viele Auftritte spielt Ihr im Jahr?
MMB Friedhelm: Das ist unterschiedlich, zwischen 30 und 60.
Welches Konzert ist Euch besonders in Erinnerung geblieben?
Hanscher: Mein großer Favorit ist der Auftritt im K17 in Berlin vergangenes Jahr zu Ostern. Das war mein Highlight: eine Mega-Stimmung, eine Menge Leute und der Anlass, das zehnjährige Jubiläum unseres Platten-Labels, waren toll.
MMB Friedhelm: Bei mir steht ganz oben auf der Liste die Aufstiegsfeier des Chemnitzer FC 2008: 3.500 Menschen hinter dem Stadion, das war richtig geil.
Die Gründung der Band klingt eher wie eine Schnapsidee, als ein ernstzunehmendes Projekt: 1998 kaufte sich Hendrik Herrbach, alias Hank, ohne jemals einen Drumstick in der Hand gehalten zu haben - ein Schlagzeugset, klingelte an der Haustür seines besten Freundes Friedhelm und verkündete, dass es an der Zeit sei, den langgehegten Traum einer eigenen Band zu verwirklichen. Gesagt – Getan. Bevor es 2001 in die Schönherrfabrik ging, diente für die anfängliche Zwei-Mann-Band eine Garage in Chemnitz Altendorf als Proberaum.
Im Gründerjahr 1998 war Deutscher HipHop in Chemnitz im Kommen. Hatte man es als Punkband da schwer?
MMB Friedhelm: Vielleicht haben wir es auch deshalb gemacht. Weil wir nicht so für die HipHop-Fraktion waren. Unsere Vorbilder waren die Toten Hosen und Die Ärzte. Wir dachten, das können wir auch. Probieren wir es einfach mal.
Seid Ihr überrascht, so lange erfolgreich Musik zu machen?
MMB Friedhelm: Darüber haben wir uns nie wirklich Gedanken gemacht. Das ist halt das, was uns Spaß macht und wo wir über die Jahre so viel Energie reingesteckt haben. Ich könnte mir es ohne die Band nicht vorstellen. Deshalb bin ich froh darüber, dass es uns so lange gibt.
Hanscher: Das ist auch eher eine Ausnahme und deshalb etwas Besonderes. Ich habe schon in einigen Bands gespielt, die haben nicht so lange durchgehalten.
Die Arbeitslosen Bauarbeiter verzeichnen in 17 Jahren einige Personalwechsel. Den schmerzvollsten sicherlich, als 2009 das Gründungsmitglied und Drummer Hank wegen Handproblemen passen musste. Ans Aufhören wurde trotzdem (fast) kein Gedanke verschwendet. „Nur einmal, bei Hanks Abschied“, gibt Friedhelm zu. Beide kennen sich seit der Grundschule und die Band war ihr „gemeinsames Baby“. „Aber Hank haben wir es dann zu verdanken, dass es uns noch gibt. Er hat uns einen Arschtritt gegeben und gesagt: ihr macht weiter.“ Seinen Platz am Schlagzeug hat er notgedrungen gegen einen am Schreibtisch getauscht. „Er ist weiter ein Bandmitglied, organisiert für uns Konzerte und macht das Management.“ Sein Nachfolger wurde nach langer Suche Hanscher.
War für Dich, Hanscher, 2012 der Eintritt in die Band ein schweres Erbe?
Hanscher: Als Sie einen neuen Drummer suchten, habe ich mich auf Initiative einer Arbeitskollegin beworben. Beim Lesen der Bandhistorie dachte ich dann: oh mein Gott, die sind aber erfolgreich und spielen regelmäßig Auftritte. Das kannte ich so vorher nicht und bin dementsprechend aufgeregt zum Gespräch mit der Band gegangen. Das Gespräch verlief gut und auch die an ihn gestellten Aufgabe, das Album in zwei Wochen mit seinen Schlagzeuger-Fähigkeiten musikalisch zu begleiten, überzeugte den Rest der Band. Innerhalb von zwei Tagen spielte Hanscher das komplette Album herunter. „Er hatte dafür eigentlich zwei Wochen Zeit“, lacht MMB Friedhelm. Eine längere Schlagzeugersuche fand nun ein glückliches Ende und seitdem spielen die drei zusammen.
Gibt es nach 17 Jahren noch Ziele bei Euch?
MMB Friedhelm: Ja, na klar. Immer wieder neues Zeug aufnehmen. Wir haben so vieles im Kopf, das wir auf CD bringen wollen. Im Sommer kommt unsere neue Fußball-EP (Anmerk. Variante zwischen Album und Single), unser nächstes Album haben wir bereits größtenteils aufgenommen, und auch darüber hinaus haben wir schon wieder jede Menge Ideen für neue Songs... ja, und natürlich wollen wir so viel wie möglich live spielen!
In welchem Club in Chemnitz spielen Die Arbeitslosen Bauarbeiter am liebsten?
Hanscher: Definitiv im ehemaligen Flowerpower, jetzt Flowpo. Das ist unser Stammladen und unser Wohnzimmer.
MMB Friedhelm: Ansonsten haben wir schon überall gespielt, wo man in Chemnitz spielen kann. Auf dem Brühl im Sommer, im AJZ, im Subway to Peter, in der Sanitätsstelle, im Roten Turm zur Mannschaftspräsentation des Chemnitzer FC. Außer vor dem Kopp, da haben wir noch nicht gespielt. (lacht) Aber man soll niemals nie sagen.
Kommt ihr alle ursprünglich aus Chemnitz?
MMB Friedhelm: Unser Bassist, der René, und ich sind hier geboren.
Hanscher: Ich bin seit acht Jahren Wahl-Chemnitzer. Komme ursprünglich aus Schneeberg im Erzgebirge.
2008 veröffentlichen Die Arbeitslosen Bauarbeiter mit „09113“ (Die Postleitzahl des Bezirks, in dem ihr Proberaum steht) ihr drittes Studioalbum: Mit Liedern über das Leben, die Liebe, Politik, Fußball, die Straßenverkehrsordnung und die „geilste Stadt der Welt“.
In Eurem Album „09113“ bezeichnet Ihr Chemnitz als „die geilste Stadt der Welt“. Was mögt Ihr an ihr so?
Hanscher: Ich muss zur meiner Verteidigung sagen, dass das Album vor meiner Zeit heraus kam. (lacht) Ich finde Chemnitz hat einen viel zu schlechten Ruf. Ich bin auch hier her gekommen, null Ahnung über die Stadt und mit dem was man so hört: hoher Altersdurchschnitt, dreckig, nichts los. Ich konnte mich gut vom Gegenteil überzeugen. Chemnitz ist nach außen definitiv unter Wert verkauft. „Geilste Stadt der Welt“ ist natürlich eine riesige Umschreibung. Es ist eine geile Stadt, ich bin gerne hier und bleibe auch.
MMB Friedhelm: „Geilste Stadt der Welt“ ist mit einem Augenzwinkern zu verstehen. Aber ein verbaler Arschtritt sollte es schon sein. Chemnitz, und da ziehe ich die Bevölkerung mit ein, braucht ein bisschen mehr Selbstvertrauen. Es gibt viele Leute, die was machen, verändern, verbessern wollen, aber auch viele Meckerer. Ich bin ein Mensch mit positiver Lebenseinstellung, ich möchte nach vorne schauen und auch mal was besser machen. Dieses Gefühl wollte ich mit dem Lied herauskitzeln. Ich wünsche Chemnitz mehr Machen statt Meckern.
Die Frage nach dem Bandnamen, kommt bei den Dreien übrigens nicht so gut an. „Die steht auf dem Index“, sagen sie schmunzelnd. Denn in jedem Interview, das sie geben, stellt der Journalist diese Frage. Für alle, die es nicht wissen, hier die Antwort: Beim Entrümpeln der Räumlichkeiten des ersten Proberaumes wurde u.a. ein Verkehrsschild (Zeichen 123 der STVO) gefunden, welches Friedhelm und Hank zum Bandnamen inspirierte. „In unserer damals jugendlichen Euphorie reichte das Schild als Anstoß für unseren Bandnamen. Wir haben über die Jahre in Interviews ständig neue Geschichten dazu erfunden, waren Bauarbeiter, die auf Grund von Arbeitslosigkeit eine Band gründeten. Die Sache mit dem Verkehrsschild ist die schlichte Wahrheit.“, so Friedhelm.
Ist Chemnitz besonders musikalisch?
MMB Friedhelm: Das denke ich schon. Es gibt hier so viele tolle Bands. Es gab mal einen Umfrage im Internet, wer die Lieblings-Chemnitz-Band ist. Da gab es, glaub ich, 150 Band-Vorschläge! Daran sieht man mal wie vielfältig die Szene in der Stadt ist. Das ist richtig geil. Wer gewonnen hat, kann ich nicht mehr sagen. Wir waren es leider nicht. (lacht)
Muss man den Chemnitzern Mut machen?
Hanscher: Ja, ich denke schon. Wie Friedhelm bereits erwähnt hat, braucht Chemnitz mehr Selbstvertrauen. Dem stimme ich zu. Die Chemnitzer dürfen ruhig etwas mehr zu ihrer Stadt stehen, und auch nach außen wäre es schön, wenn das Bild von Chemnitz positiver gezeichnet werden würde.
MMB Friedhelm: Ob man Mut machen muss, weiß ich nicht genau. Aber mehr Selbstvertrauen kann nicht schaden... Wir haben eine sehr schöne Stadt, auch wenn man seine Highlights vielleicht suchen muss, hier kann man sich wohl fühlen. Wir lernen mit unserer Musik so viele Menschen kennen, die in ihren Ecken von Chemnitz was machen, weil sie ihren Beitrag für die Stadt leisten wollen. Vielleicht ist das auch ein Vorteil, dass Chemnitz eine unfertige Stadt ist und wer möchte, der kann seinen Einsatz zur weiteren Verschönerung und Verbesserung bringen. Wer sich wohl fühlen will, findet hier bestimmt sein Fleckchen.