"Schau, die Chemnitzer kommen"

DJ Ron

Macher der Woche vom 22. Juli 2015

Als vor fast 20 Jahren die HipHop-Kultur in Deutschland boomte, war Ron Schindler „mittendrin statt nur dabei“. Der heute 38-Jährige ist ein Multitalent. Seit fast zwanzig Jahren national und später international als DJ aktiv, Radiomoderator bei dem Chemnitzer Sender Radio T mit seiner Sendung Uptowns Finest.  Früher: Produzent des sehr erfolgreichen Chemnitzer HipHop-Duos Tefla und Jaleel, Geschäftsführer eines beachtlichen Labels, Phlatline Records, in Ostdeutschland und Mitorganisator in den Anfangsjahren des damals größten HipHop-Festivals in Europa, dem Splash am Stausee Rabenstein.


Du kommst gerade vom Splash, das bis einschließlich 2006 in Chemnitz am Stausee Rabenstein zuhause war. Mittlerweile ist das Festival nach Ferropolis bei Gräfenhainichen  gezogen. Aber die Verbindung von Splash und Chemnitz ist immer noch in den  Köpfen: Sprechen dich die Leute bei Auftritten außerhalb von Chemnitz noch auf das Splash Festival an?
Ron Schindler: Klar, sprechen mich die Leute immer noch drauf an. Früher als ich selbst noch einige Aufgaben für’s Festvial übernommen habe, war die Bindung natürlich ein bisschen enger. Aber schön zu sehen, wie es wieder gewachsen ist und immer professioneller geworden ist.

Ihr seid auch maßgeblich daran beteiligt gewesen, dass man von Chemnitz zu der Zeit als HipHop-Hauptstadt gesprochen hat.
Das hat sich dann so ergeben, dass alle HipHop-Leute einmal im Jahr zum Splash-Wochenende nach Chemnitz gepilgert sind und man von einer HipHop-Hochburg sprach.

Würdest du sagen, dass im Nachhinein betrachtet, der Umzug nach Ferropolis nicht die schlechtes Lösung ist?
Auf alle Fälle. Das Gelände mit seiner Infrastruktur ist toll und bestens geeignet für Festivals. Für Alle, die traurig sind, dass das Festival weggegangen ist: Mit dem Kosmonaut Festival, das mit viel Liebe und Engagement organisiert wird, kommt was nach. Und das profitiert von den Erfahrungen des Splashs seit 1999. Die Leute, ob Organisatoren oder die Stadt, wissen, wie man ein Festival veranstaltet und was es zu beachten gilt. Das Splash und auch die Stadt haben das in den Anfangsjahren erst lernen müssen.

1999 beim ersten OpenAir Splash (Anmerk. d. Red. Das erste fand 1998 im Kraftwerk auf der Zwickauer Straße statt) mit dem Blick nach vorn auf 10.000 Menschen und den Gedanken zurück an die harte Arbeit, hast du von einem Gänsehautmoment gesprochen. Gab es diesen Moment in deiner Karriere noch einmal?
Ja, doch. Bei verschiedenen Sachen. Z.B. bei gewissen Acts. Mir ging es vergangenes Jahr so. Da haben „A Tribe Called Quest“(Anmerk. d. Red. eine US-amerikanische Hip-Hop-Gruppe), eine meiner Jugendhelden, die ich früher rauf und runter gehört habe, gespielt. Als deren Musik durch die Boxen kam, hatte ich Gänsehaut. 

Wie viele Shows spielst du im Jahr?
So ca. 100 im Jahr. Natürlich beschränken sich die Auftritte zu 95 Prozent auf Deutschland, aber man hat auch ab und an ein paar Gigs im Ausland: Ob in Shanghai, Moskau oder London.

Variieren deine Sets zwischen Shanghai, Moskau, London und Chemnitz? Bereitest du dich vor?
Ein Gig ist eine Interaktion zwischen dem Publikum und mir. Über gewisse Songs versuche ich herauszufinden, was die Leute hören wollen und zu welchen Titeln die meiste Stimmung ist bzw. bei denen getanzt wird. Ich versuche das Publikum zu lesen und sie auf eine musikalische Reise mitzunehmen. So richtig vorbereiten tue ich mich nur in seltenen Fällen. Es kommt auch immer auf den Club an. Ob du in einem Schicki-Micki-Club spielst oder in einem, nicht abwertend gemeint, abgeranzten Club. In dem einen läuft mehr RnB und in dem anderen kannst du damit nichts gewinnen. Sondern du spielst harte HipHop-Tracks.

Was ist dir lieber? 
Ich mag mittlerweile den coolen HipHop-Club. Wo du ein fachkundiges Publikum hast, die auch die neuen Stücke kennen. Ich mag nicht gern nur alte Sachen spielen, sondern auch viel Neues. Und du merkst, wenn Leute tief drin in der Musik stecken. Vor zehn Jahren hätte ich wahrscheinlich den schicken RnB-Club favorisiert. Wir waren oft in Moskau. Das hatte seinen eigenen Reiz, als Außenstehender am DJ-Pult, die Oligarchen-Söhne und Töchter zu beobachten. Wie die teuersten Getränke durch den Club getragen werden. Das war schon interessant.

Stammgast als DJ in vielen Clubs der Republik, bei Festivals vor tausenden von Leuten und dieses Jahr das erste Mal beim Rock am Kopp, wo er das Warm-Up für den Künstler Denyo spielt. „Trotz, dass ich in Chemnitz wohne, ist es mein erster Rock am Kopp und ich bin gespannt, wie viele Leute kommen werden.“ DJ Ron kennt sich mit Menschenmassen, vor denen er spielt, aus. Ende der 90iger war er als Produzent und DJ viel auf Tour unterwegs mit Tefla & Jaleel.

Ist der Musikgeschmack in den Ländern ähnlich?
Durch das Internet haben die Leute die gleiche Chance, das zu hören, was sie wollen. Vor fünfzehn Jahren war es noch nicht so krass. Ende der 90iger habe ich vielleicht mal in Russland und Slowenien gespielt. Da merkte man, dass die Musik ein Stück weit hinterher ist. Aber das ist jetzt nicht mehr gegeben.

2005 mit dem Karriereende von Tefla und Jaleel entschied sich auch Ron, sein Hauptaugenmerk weg vom Produzenten, sondern ganz auf seine DJ-Tätigkeit zu richten. Eine Entscheidung, die er bis heute nicht bereut. „Ich musste mich entscheiden, womit ich Geld verdiene. Das war nicht das Produzieren, sondern das Auflegen. Darauf wollte ich mich konzentrieren. Produzieren war mehr für den Ruhm, wenn andere die Beats in ihre Stücke eingebaut haben.“

Auffällig ist, dass Chemnitz ein gutes Pflaster für DJ Kultur ist: DJ Shusta, DJ Maxxx, DJ Little T, DJ Tereza, DJ Jaleel und dich, nur um einige zu nennen.
Absolut. Ich finde das auch erstaunlich. Ich kann nur über die HipHop-DJ-Szene in Deutschland sprechen, aber da sind Chemnitzer gut präsent. Im Vergleich zu anderen bzw. viel größeren Städten sind das überproportional viele, die national einen gewissen Ruf genießen.

Gibt es für die DJs noch Chemnitzer Locations, in denen ihr auflegen könnt?
Die gibt es schon noch, werden aber weniger. Zumindest was meinen Musikgeschmack betrifft. Mir fehlt dann eine Art „Cube Club“, der früher an der Straße der Nationen, neben dem alten Postgebäude, stand. Und das ist sehr schade.

Du bist in Chemnitz zuhause, warum, wenn du dich in ganz Deutschland/Europa bewegst. Du wolltest 2007 mal wegziehen, nicht innerhalb Deutschlands sondern Ausland. Was hat dich zum Hierbleiben überzeugt?
Das Statement habe ich kurz nach meinem Asien-Trip abgegeben. In Deutschland haben mich, außer Berlin, andere Städte nie gereizt. Die Hauptstadt stand immer mal im Raum: Zieht man dahin oder nicht. Aber am Ende ist man da einer unter vielen. Hier hat man eine regionale Bindung. Unser Schaffen, sei es das Splash Festival, die Arbeit bei Phlatline, Tefla und Jaleel, man selbst als DJ, wurden immer mit Chemnitz in Verbindung gebracht. Das schuf eine Identifikation auch mit der Stadt und es hieß in der HipHop-Szene immer nur: „Schau, die Chemnitzer kommen“ und jeder hatte ein Bild vor Augen und wusste wer gemeint war. In Berlin würde das nicht funktionieren: „Schau, die Berliner kommen“. Und alle fragen sich, wer denn. In der Hauptstadt bist du einer unter tausend. 

In den Videos von Tefla & Jaleel habt ihr viel Lokalpatriotismus gezeigt. Einige Videos, wie „Helden weinen nicht“ oder „Hör auf deine Stimme“, wurden in Chemnitz gedreht.
Es geht im HipHop auch um Authentizität. Und wir haben darauf geachtet, besonders am Ende, dass die Videos in Chemnitz spielten und Leute, die wir kennen, dort auftauchen. Es war bzw. ist ja auch noch die Stadt von Tefla & Jaleel. Warum sollte man sich, außer es passt thematisch, eine andere suchen?

Würde das, was du dir hier aufgebaut hast, auch in einer anderen Stadt funktionieren?
Das weiß ich halt nicht. Da spielen einige Faktoren eine Rolle. Wenn ich mir die Freundschaften anschaue, mit denen man das geschaffen hat, denke ich es fast nicht.

Warum bist du von Lichtenwalde nach Chemnitz gezogen?
Ich habe immer ein Bild vor meinen Augen. Ein Klassenfoto von 1993: Alle in der Klasse waren Metaller und du warst HipHopper. Und dann gibt es das Klassenfoto von 2003: Alle waren HipHopper und nur ein Metaller. Ich bin 1993 zur Schule gegangen (lacht). Irgendwo warst du ein Außenseiter. Es zog mich also in die Gegend, in der es HipHop gab. Ich wollte ein Teil davon sein und andere Leute treffen, die ähnliche Ansichten und Interessen hatten. Also bin ich mit dem Fahrrad von Lichtenwalde ins AJZ Talschock zu Partys, Jams oder DJ-Workshops gefahren. Das fand ich dann so geil, dass ich regelmäßig dorthin gefahren bin.

Wenn Du jetzt ein Set über Chemnitz auflegen würdest. Wie wäre das?
Man müsste es wahrscheinlich leise machen, damit sich keiner beschwert (lacht). Das ist jetzt blöderweise meine erste Assoziation. Beim genaueren Überlegen wäre das Set wohl vielseitig und bunt gemischt, weil die Einflüsse in Chemnitz so sind.

Auf der ersten Tefla und Jaleel Platte „Interview“ gibt es ein Lied über die Stadt. „Tefla & Jaleel feat. Youdon – „Chemnitz“. „Das war schon eher eine Hymne an Chemnitz“, sagt Ron Schindler. Irgendwie passend zu seiner Heimat,. „Wenn ich jetzt nur hier leben würde und nicht ständig unterwegs wäre, dann würde es mich vielleicht doch woanders hinziehen. Weil man sich die Frage stellt: Hat man hier alle Möglichkeiten, die man gern hätte? Oder zieht man nicht in die vermeintlich reizvollere Stadt. So ist Chemnitz für mich optimal. Es hat mehrere Facetten: Sie kann Großstadt, aber auch Provinzstädtchen, das dir Ruhe spendet, sein. Du hast hier einfach alles: Freundin, Familie, Freunde und es ist deine Heimat, bei der du fast jede Ecke kennst.“ 

Was würdest du Freunden von außerhalb in der Stadt zeigen?
Der Klassiker ist der Karl-Marx-Kopf. Und dann war ich immer stolz auf den Kaßberg, mein damaliges Wohnviertel. Den fand ich, wegen seiner Jugendlichkeit und der schönen Cafés sehr wohnenswert. Und mit der Charakteristik „größtes zusammenhängendes Jugendstilviertel in Europa“, konnte man sehr gut prahlen. Mittlerweile wohne ich in Rottluff, aber am Kaßberg dürfte sich ja nicht viel geändert haben.

Unsere Standardfrage zum Abschluss: Muss man den Chemnitzern Mut machen?
Ja, dem stimme ich zu. Wobei ich mich da gar nicht raus nehmen möchte, dass ich den Mut auch manchmal brauche (lacht). Ich liebe meine Stadt. Es ist wie eine Beziehung, in der man die Gepflogenheiten des Partners kennt und man sich an kleinen marginalen Dingen aufreibt, die völlig unnötig bzw. in dem Augenblick nicht wichtig sind. Z.B. die Jugendkultur, die mit der von früher aus meiner Sicht nicht vergleichbar ist. Aber augenscheinlich ist der Bedarf an gewissen Dingen nicht da und daher braucht es wohl kein Angebot. Chemnitzer haben eine Understatement-Mentalität, die ich persönlich sehr sympathisch finde, aber mit der man halt nicht immer vorne weg marschiert.

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