Zirkus macht es möglich, sich ohne Sprache zu verstehen
Frank Jahnsmüller & Susann Vogel
Macher der Woche vom 9. Dezember 2015
Am Rande des Sonnenberges, von der Augustusburger Straße sichtbar, erhebt sich ein rot-blaues Zirkuszelt. Der Kinder- und Jugendzirkus Birikino ist ein Projekt des Don Bosco Hauses Chemnitz, wurde 2003 gegründet. Seitdem nutzen die Kinder und Jugendlichen das offene Angebot der beiden Zirkuspädagogen Frank Jahnsmüller und Susann Vogel. Auch Stephan Gottwald, die gute Seele des Zirkus, ist bei den Workshops und Trainings dabei und unterstützt wo es nur geht. Wir haben uns zusammen ins Zirkuszelt gesetzt und miteinander gesprochen.
Seit über zwölf Jahren gibt es jetzt den Zirkus Birikino. Was für ein Ziel habt ihr mit diesem Projekt?
Frank Jahnsmüller: Wir wollen damit erreichen, dass Kinder eben nicht nur zu Hause sind und Fernsehen oder Konsole spielen, sondern dass sie mal raus kommen und etwas sinnvolles machen. Wir sind eine Alternative zu Sportangeboten, die Geld kosten. Wir verfolgen verschiedene pädagogische Hintergründe. Durch das Training wird die Koordination verbessert. Kinder und Jugendlichen lernen, gemeinsam an einer Show zu arbeiten. Hier wird das Selbstbewusst gestärkt. Die Kinder lernen ihre Stärken und Schwächen kennen, erkennen, was sie schaffen können.
Susann Vogel: Das Schöne ist eben, dass die Kinder hier wirklich kein Geld bezahlen müssen. Wir bekommen über den Verein Zirkus macht stark e. V. eine Förderung vom Bund. Dadurch haben wir Honorarkräfte, die uns beim Training tatkräftig unterstützen und wir hatten sogar die Möglichkeit, unser Angebot zu erweitern. Darüber sind wir sehr dankbar.
Arbeitet ihr ausschließlich mit Kindern vom Sonnenberg, oder habt ihr auch Kinder aus anderen Stadtteilen?
Frank Jahnsmüller: Unsere wichtigste Zielgruppe sind natürlich die Kinder und Jugendlichen vom Sonnenberg. Aber wir haben unser Angebot auch geöffnet, weil bei vielen Interesse besteht, gerade von Kindern aus Gablenz oder dem Lutherviertel. Die es möchten, dürfen auch gern kommen. Das ist ja auch das wunderschöne am Zirkus. Es ist offen für alle und schränkt eben nicht ein. Zirkus kann jeder machen.
Wie alt sind eure jüngsten Teilnehmer?
Frank Jahnsmüller: Die, die regelmäßig zu uns kommen, sollen eigentlich mindestens acht Jahre alt sein. Aber es gibt auch einige, die schon mit sechs oder sieben angefangen haben. Manche bringen eben ihre Geschwister mit, oder die Eltern sind dabei.
Susann Vogel: Eigentlich haben wir als Mindestalter die erste Klasse festgelegt. Weil die Kinder dann motorisch und geistig soweit sind, die Zirkusdisziplin einzuhalten. Bei den Kindern im Kindergartenalter funktioniert die Arbeit vor allem im Fantasiebereich. Das heißt, dass sie Zirkus spielen. Ab der ersten Klasse können wir anfangen den Kindern Disziplin beizubringen. Ich kann ein Kindergartenkind einfach nicht auf eine Laufkugel stellen oder an ein Trapez hängen.
Frank Jahnsmüller: Möglich ist das theoretisch schon. Das Problem ist nur, dass Kinder ab der ersten Klasse einfach selbständiger sind. Sie können dann auch mal allein her kommen und allein hier bleiben und sind eben nicht mehr auf eine elterliche Betreuung angewiesen. Und hinzukommt, dass die Aufmerksamkeitsspanne bei Kindergartenkindern auch noch gar nicht so groß ist, wie es dann eben bei Schulkindern der Fall ist.
Mit wie vielen Kindern arbeitet ihr zurzeit?
Frank Jahnsmüller: Im offenen Training kommen zirka 15 bis 25 Kinder, die regelmäßig kommen. Grundlegend angemeldet sind 30 bis 35. Wir haben hier ein offenes Angebot, es gibt also keine Anwesenheitspflicht, wie das vielleicht bei anderen Freizeitangeboten der Fall ist.
Ihr arbeitet auch mit Flüchtlingskindern zusammen? Wie kam es dazu?
Susann Vogel: Ganz genau! Das hat wieder etwas mit „Zirkus macht stark“ zu tun. Wir hatten die Idee mit den Flüchtlingskindern zu arbeiten, weil wir ihnen eine unbeschwerte Zeit ermöglichen wollen. Wenigstens für ein paar Stunden. Dafür haben wir Fördergelder beantragt und auch bekommen. Jetzt trainieren wir zweimal die Woche mit 16 Kindern aus der Erstaufnahmeeinrichtung in Ebersdorf. Wir holen die Kinder ab und bringen sie auch wieder hin. Nächste Woche beginnen wir mit einem Hip-Hop- und Breakdance-Kurs. Dabei arbeiten wir mit der Georg-Werth-Oberschule zusammen, die die Kinder in den Deutschkursen betreuen. Das wird von den Kindern auch wirklich sehr dankbar angenommen. Wir merken natürlich die Sprachbarriere, aber Zirkus macht es eben möglich, sich ohne Sprache zu verstehen.
Was machen die Kinder dann hier genau?
Frank Jahnsmüller: Wir sind ein reiner Artistenzirkus. Wir machen mit den Kindern Akrobatik, Jonglage, Diabolo, Pois, Balance, Drahtseil, Slackline, Kugellaufen, Einrad fahren, Trapez, Tuchakrobatik, im Sommer bieten wir noch Clownerie an. Also wir haben wirklich ein breites Angebot. Wenn ein Trainer kommt, der etwas Besonderes kann, Hula hoop oder ähnliches, dann bieten wir das natürlich auch an.
Habt ihr auch ein Angebot für Erwachsene?
Frank Jahnsmüller: Wir haben eine Trainingseinheit mit Erwachsenen eingeführt. Wenn das Zelt steht, können abends ein- oder zweimal die Woche Erwachsene kommen. Wir begleiten das, aber es soll eigentlich von den Interessenten selbst organisiert werden. Es ist so angelegt, dass sie sich gegenseitig Dinge beibringen sollen. Ein großes Highlight im nächsten Jahr ist der Katholikentag im Mai in Leipzig. Dafür wird das Zirkuszelt in der Tschaikowskistraße extra abgebaut und in Leipzig wieder aufgebaut. Zwei feste Termine stehen jedes Jahr für den Zirkus Birikino fest. Im Frühling gibt es eine Show zur Zelteröffnung, im Herbst eine Abschlussveranstaltung.
Wie groß ist das Interesse der Anwohner? Kommen zu euren Aufführungen viele Zuschauer?
Frank Jahnsmüller: Also zu einem großen Teil besteht das Publikum natürlich aus den Eltern, Großeltern und Verwandten der Kinder. Wenn wir Werbung machen, ist das Zelt schon mit 150 bis 200 Leuten gut besucht. Von den Anwohnern wird es zum größten Teil angenommen und akzeptiert. Wir bekommen überwiegend positive Rückmeldungen.
Ist der Standort hier bewusst gewählt? Immerhin hat die Tschaikowskistraße nicht den allerbesten Ruf.
Frank Jahnsmüller: Wir haben uns ganz bewusst für diesen Standort hier entschieden. Wir kennen natürlich die Klischees, aber deswegen arbeiten wir eben auch genau hier. Der Sonnenberg ist nun mal ein sozialer Brennpunkt, hier haben die bedürftigen Kinder ihren Lebensmittelpunkt und wir sind vor Ort, um hier mit den Kindern zu arbeiten. Der Platz ist gewählt, um auf dem Sonnenberg zu bleiben. Wir hatten drei Möglichkeiten und hier hat alles gepasst. Wir haben die Nähe zum Don Bosco Haus, die Kinder haben kurze Wege. Wir sind mit öffentlichen Verkehrsmitteln sehr gut erreichbar, so können uns auch Kinder aus anderen Stadtteilen erreichen. Die Stadt hat uns das Gelände hier zur Verfügung gestellt.
Seid ihr mit anderen Initiativen auf dem Sonnenberg vernetzt?
Frank Jahnsmüller: Ja, grundlegend mit den Schulen in denen wir auch mit Schulsozialarbeit vor Ort sind: das heißt mit der Georg-Werth-Oberschule, die Pestalozzi Schule, die beiden Grundschulen Lessing und Sonnenberg Grundschule. Viel Unterstützung bekommen wir von der Stadtteilgenossenschaft. Mit den Kindergärten arbeiten wir eng zusammen und mit dem neuen Theater auf der Zietenstraße KOMPLEX. Also der Sonnenberg hat einen schlechteren Ruf, als er wirklich ist.
Wie empfindet ihr die Entwicklung auf dem Sonnenberg in den letzten Jahren?
Susann Vogel: Im kulturellen Bereich passiert gerade unglaublich viel. Es ziehen immer mehr Studenten auf den Sonnenberg. Ich habe ein Jahr in Berlin gewohnt und ich habe das Gefühl, dass der Sonnenberg das „Klein-Kreuzberg“ ist. Selbst auf der Zietenstraße sind inzwischen viele Künstler eingezogen. Das Theater passt dort super hin, es entstehen immer mehr kleine Cafés. Leider schließen manche auch wieder, was sehr traurig ist. Da merkt man, dass da doch noch das Publikum fehlt. Aber ich glaube allgemein passiert in Chemnitz gerade sehr viel. Und das merkt man auch auf dem Sonnenberg.
Ihr seid beide Chemnitzer, bzw. Karl-Marx-Städter. Habt ihr schon mal mit dem Gedanken gespielt, die Stadt zu verlassen oder wollt ihr immer hier bleiben?
Susann Vogel: Ich bin sehr dankbar, dass es den Zirkus hier gibt und das ist das, was ich gerne mache. Der Zirkus hält mich hier in Chemnitz. Nachdem was in Chemnitz passiert, kann ich nicht sagen, dass ich unbedingt weg müsste! Chemnitz vernetzt sich auch immer mehr. Es kennt jeder jemanden, mit dem man auch zu tun hat. Die Leute kommen enger zusammen und können sehr gut zusammen arbeiten.
Frank Jahnsmüller: Für mich ist es Heimat! Ich bin hier geboren, bin hier immer geblieben. Kurzzeitig war ich mal außerhalb und war dankbar, dass ich nicht dort bleiben musste. Ich habe das Projekt hier aufgebaut. Für mich ist es genau das!
Wie bewertet ihr die Stadtentwicklung der letzten Jahre?
Frank Jahnsmüller: Ich lebe auf dem Brühl und natürlich ist viel passiert und passiert weiterhin. Was ich schade finde: Immer wieder gibt es Leute denen diese Entwicklung nicht gefällt und die lieber ihr Ruhe hätten. Aber ich denke der Weg, der eingeschlagen wird, ist gut! Und wir müssen einfach weiter daran arbeiten.
Susann Vogel: Ich war 2010/11 in Berlin und habe an den Wochenenden, an denen ich hier war, mitbekommen, dass unglaublich viel gebaut wird. Ich habe gehört, dass hier, da und dort Studenten ein Café aufmachen. Auf dem Brühl wurde viel versucht und ich war sehr gespannt, wie die Entwicklung weiter geht. Und das ist auch immer noch so. Die Leute haben einfach mehr Lust, was Eigenes aufzubauen und zu machen. Dadurch bleiben die jungen Leute natürlich auch in der Stadt, die hier ihre Visionen verwirklichen können.
Muss man den Chemnitzern Mut machen?
Susann Vogel: Ja, das würde ich schon sagen. Vor allem auch der älteren Generation. Die Jungen haben Mut und auch Lust, etwas zu tun. Aber die Älteren haben viel Angst, weil sich gerade auch viel verändert. Auch da muss man einfach Mut machen, dass das Neue gut ist und sagen „Kommt vorbei, schaut es euch an!“.
Frank Jahnsmüller: Es besteht immer die Angst vor Veränderungen. Das sieht man ja gerade sehr deutlich bei dem Flüchtlingsthema. Natürlich bedarf das Mut. Aber man muss auch einfach offen sein. Ich denke schon, dass Viele mutig sind und für die Stadt etwas bewegen wollen. Der vermehrte Zuzug kommt ja auch nicht grundlos. Die Möglichkeiten sind hier einfach mehr gegeben, weil es mehr Freiraum gibt!