Nachhaltigkeit wird in Chemnitz immer größer geschrieben

Sandra & Ralf Renner

Macher der Woche vom 12. August 2015

Es herrscht buntes Treiben in der Schönherrfabrik. Bei schönstem Wetter wird der Hof hinter dem Restaurant max louis zu einem kleinen Marktplatz. Bauern aus der Region richten ihren Stand ein, tragen Eier, Käse, Honig und jede Menge Gemüse über den Hof und bereiten sich auf das inzwischen sechste Food Assembly in Chemnitz vor. Bei einem Food Assembly bieten mehrere Händler ihre Produkte im Internet an. Die Kunden können ihre Ware direkt im Internet bestellen. Jeden Donnerstag ab 17 Uhr wird die Ware dann in die Schönherrfabrik gebracht und die Käufer können sich ihre im Vorfeld bestellten Produkte abholen. Diese Form des Einkaufens ist bis jetzt einmalig in Sachsen. Sandra und Ralf Renner haben das Food Assembly in Chemnitz gestartet. Während Sandra Renner sich um die Kunden und Händler kümmert, hatten wir Zeit, uns ein bisschen mit Ralf Renner über die Idee Food Assembly und Chemnitz zu unterhalten.


Wie wichtig sind Ihnen saisonale und regionale Produkte?
Ralf Renner:
Das ist uns beiden sehr wichtig und deswegen machen wir das Ganze auch. Wir haben über Food Assembly eine Dokumentation im Fernsehen gesehen und haben festgestellt, dass wir genau so gern einkaufen möchten: Nämlich saisonal und regional und das trotzdem an einem Ort.

Seit einem Jahr gibt es Food Assembly in Deutschland, ursprünglich kommt diese Form aus Frankreich. Wie sind Sie auf Food Assembly aufmerksam geworden?
Es gab einen Themenabend auf dem Fernsehsender arte. Dort wurde das Food Assembly vorgestellt. In Paris gibt es zum Beispiel eine große Markthalle mit vielen regionalen Bauern. Das hat uns beeindruckt. Dann habe ich lange danach im Internet gesucht. Ich spreche überhaupt kein Französisch, ich komme ja quasi aus der Russisch-Generation. Irgendwann habe ich rausgefunden, dass Food Assembly inzwischen auch in Deutschland gestartet ist. Ich habe mit den Veranstaltern Kontakt aufgenommen. Wir haben lange miteinander gesprochen. Food Assembly ist ein solidarisches System, was eben nicht auf Profit orientiert ist, sondern wo es mehr um solidarische Effekte geht. Die Werte: keine Gentechnik, regional, möglichst ökologischer Anbau der Produkte, sodass wir gesagt haben, wenn es das hier nicht gibt, dann machen wir es eben einfach selbst.

Die ersten deutschen Food Assemblys sind im Juni 2014 in Berlin und Köln gestartet. Das System ist einfach: Regionale Bauern können ihre Produkte im Internet anbieten. Die registrierten Mitglieder können sich durch die Produkte klicken und einkaufen. Quasi wie in einem Online-Shop. Der Vorteil ist, dass man sich nicht auf einen Händler beschränken muss, sondern bei allen Bauern bestellen kann. Beim Vergabetag, in Chemnitz ist das jeden Donnerstag von 17 bis 19 Uhr, kann man sich dann seine gekaufte Ware direkt beim Erzeuger abholen.

Was für Menschen kommen denn hier her?
Die ganze Bandbreite. Von Studenten über Familien mit Kindern bis hin zu Senioren. Viele, die hier in der Schönherrfabrik arbeiten oder in der Nähe wohnen. Ganz viel junge Leute. Bei der Eröffnung am 25. Juni waren ungefähr 500 Gäste da. Die Produzenten, die da waren, haben dann auch gesagt, dass sie es ganz toll finden. Denn gerade die jungen Leute sind eine Zielgruppe, die sie normalerweise nicht erreichen. Diese Generation nimmt entweder den Markt nicht so wahr, oder sie schaffen es zeitlich nicht dort einzukaufen. Der Markt in der Stadt macht 17 Uhr zu, viele müssen lange arbeiten und können so keine frischen Produkte vom Markt kaufen.

Das System der Assembly besteht darin, dass regionale Bauernhöfe hier mitmachen können. Wie viele Bauernhöfe beteiligen sich an der Food Assembly? Und wie schwierig war es, die Unternehmen für das Projekt zu gewinnen?
Derzeit sind es elf Betriebe, die hier mitmachen. Die Akquise der Höfe war deutlich schwerer, als ich mir das vorgestellt habe. In meinem jugendlichen Leichtsinn habe ich gedacht: Ich rufe die Bauernhöfe an, gebe denen eine direkte Vermarktungsmöglichkeit, wo sie ihre Produkte nicht an einen Großhändler verkaufen müssen, sondern direkt vermarkten können und deutlich mehr Ertrag haben und dann finden die Höfe das super und machen mit. So war es leider nicht ganz. Viele haben gesagt, dass sie ihre Produkte eigentlich schon verkaufen und waren skeptisch. Wir haben dann sicher ein halbes Jahr gebraucht, bis wir eine Bandbreite hatten, die die  Grundversorgung abdeckt. Nach der Eröffnung sehe ich schon, dass jetzt viele Erzeuger nachfragen. Es braucht eben den ersten Impuls und jetzt wollen die, die vorher skeptisch waren, eigentlich doch mitmachen. Wir müssen nun darauf achten, dass wir die Waage halten zwischen der Anzahl der Mitglieder, die bestellen und die Anzahl der Erzeuger. Für die Produzenten muss sich die Teilnahme hier auch lohnen.

Kannten die Erzeuger, die Sie angesprochen haben, das System des Food Assembly?
Nein, gar nicht. Ich musste das System von vornherein erklären. Was es ist, wie es funktioniert. Viele waren wie schon gesagt erst skeptisch, wollten es aber trotzdem ausprobieren. Die Meisten waren von unserer Eröffnungsveranstaltung wirklich überrascht. Dass 500 Leute da waren, die sich dafür interessieren. Wir sind jetzt in der sechsten Woche und die Umsätze sind jede Woche wachsend. Die Bauern stellen jetzt auch immer mehr Produkte ein, die man kaufen kann. Inzwischen schätzen die Bauern das hier schon als wichtigen Absatzkanal. Wir bieten die Plattform und die regionale Vermittlung. Alles Weitere machen die Bauern selbst. Sie stellen ihre Produkte, Bilder und Texte auf die Internetseite und machen ihre Preise. Bei Bedarf geben wir da natürlich auch Hilfestellung.

Während unseres Gesprächs füllt sich so langsam der kleine Markt. Die Kunden kommen mit Körbchen und freuen sich, ihre Bestellung abzuholen. Die, die zum ersten Mal da sind, werden herzlich von Sandra Renner begrüßt. Sie ist ständig im Gespräch mit den Händlern und den Kunden und freut sich über jeden Gast. Und auch an den Ständen herrscht reges Treiben. Das Food Assembly bietet eine tolle Möglichkeit, mit den Erzeugern ins Gespräch zu kommen und über Anbaubedingungen und die Haltung der Tiere zu sprechen. Manche haben sogar Kostproben von ihren Produkten dabei.

Wie viele Besucher haben sie dann hier wöchentlich?
Besteller haben wir momentan so 40 bis 45 jede Woche. Es sind zwar nicht immer die Gleichen, aber doch viele „Wiederholungstäter“ dabei. Im Internet haben sich bis jetzt über 600 Interessierte bei uns registriert. Sicherlich müssen viele auch erst mal gucken, wie das Ganze funktioniert. Wir haben auch noch ein paar kleine Baustellen, die wir in den nächsten Wochen beseitigen. Das Zahlungssystem ist zum Beispiel. Bis jetzt haben wir nur die Möglichkeit der Sofortüberweisung und Kreditkarte. Uns fehlt noch PayPal und Lastschrift. Das werden wir aber in den nächsten Wochen noch mit einbauen und da glaube ich, wird die Zahl der aktiven Nutzer noch nach oben gehen. Das sind eben die Zahlungsmethoden, die wir in Deutschland brauchen. Wir müssen also dafür sorgen, dass das französische System auf die deutschen Bedürfnisse zugeschnitten wird.

Warum veranstalten Sie den Markt denn ausgerechnet in Chemnitz? 
Weil wir Chemnitzer sind. Wir kommen beide aus Chemnitz und es war für uns gar keine Frage, das irgendwo anders zu machen. Hier haben wir auch die sozialen Kontakte und die zur Schönherrfabrik. Wir kennen ganz viele Leute, die wir zum Start schon mal aktivieren konnten. Letztlich wollen wir ja auch so einkaufen und damit wollen wir auch Chemnitz etwas zurückgeben.

Sie haben hier das erste Food Assembly in Sachsen gestartet. Jetzt kommen demnächst Annaberg-Buchholz und Leipzig dazu. Sind sie vernetzt?
Mit Annaberg-Buchholz haben wir schon mehrmals Kontakt gehabt. Die bessere Vernetzung untereinander ist auf jeden Fall ein Thema, an dem wir noch arbeiten wollen. In Berlin klappt das sehr gut. Dort gibt es 14 oder 15 Food Assemblys und wir werden uns dann auch hier in Sachsen besser vernetzen müssen. Uns austauschen, wie man voneinander profitieren kann usw.

Sie sind beide Chemnitzer, was macht für Sie denn die Stadt interessant?
Ich finde in den letzten 15 Jahren ist die Stadt sehr schön geworden. Wir haben eine sehr schöne und moderne Innenstadt. Das finde ich toll. Auch das Flair in Chemnitz ist sehr angenehm. Ich merke es immer, wenn wir Gäste aus den „gebrauchten“ Bundesländern haben. Die finden Chemnitz immer unheimlich schön. Leute aus Saarbrücken, wo es einfach anders ist, sind von der Innenstadt hier total begeistert. Ich finde es toll, dass so eine Entwicklung da ist. Es gibt zum Beispiel einige vegetarische oder vegane Bistros. Es passiert viel in Richtung Nachhaltigkeit. Dazu haben wir viele grüne Flächen, wo man auch mal raus gehen kann, Sport machen kann oder ähnliches. Und Chemnitz hat eine sehr schöne Größe, finde ich. Berlin ist für meinen Geschmack viel zu groß und zu zerklüftet. Hier ist es zentral und kompakt.

Zentral und kompakt ist auch die Verteilung der bestellten Produkte im Hof der Schönherrfabrik. Die Erzeuger müssen nur so viel Ware mitbringen, wie auch bestellt wurde. Damit gibt es keinen Zwischenhandel, kurze Transportwege und faire Preise.

Wie sind denn die Bedingungen in Chemnitz, sich etwas Eigenes aufzubauen?
Viele sagen ja, Chemnitzer sind etwas störrisch und mürrisch. Und wir haben vorher auch darüber diskutiert, ob das hier in Chemnitz funktioniert oder nicht. Aber ich war von Anfang an davon überzeugt und hab auch gesehen, dass es wirklich gut angenommen wird und das über alle Generationen hinweg. Also ich finde die Bedingungen sind gut und man kann in Chemnitz mit seinen Ideen Erfolg haben.

Muss man den Chemnitzern Mut machen?
Ich denke ja, nämlich mehr zu ihrer Stadt zu stehen. Ich glaube, es gibt einige, die denken, Chemnitz sei ein kleines, unscheinbares und graues Städtchen. Das stimmt aber überhaupt nicht. Chemnitz ist eine sehr schöne Stadt. Wir können sie präsentieren und vorweisen. Wir haben viele schöne Sachen hier. Also, Chemnitzer sollen mehr zu ihrer Stadt stehen und die Vorzüge der Stadt genießen.

Was sind denn Vorzüge Ihrer Meinung nach?
Zum einen die neue, schöne, moderne Innenstadt. Zum anderen die ganzen Grünflächen, wie der Stadtpark, der Küchwald oder der Crimmitschauer Wald. Wo man eben auch mal laufen gehen kann oder so. Wir haben tolle kulturelle Einrichtungen. Der Kaßberg ist wunderschön. Das sind die Dinge, die ich Leuten gerne zeige.

Eine Anmeldung zum Food Assembly ist unter www.foodassembly.de möglich.

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