Der Reiz des Unfertigen

Gabi Reinhardt

Macherin der Woche vom 18. Februar 2015

Zum Friedenstag am 5. März werden Jugendliche aus dem tschechischen Ústí nad Labem und aus Chemnitz ein gemeinsames Theaterprojekt auf dem Neumarkt aufführen. Anleiten wird sie Theaterpädagogin Gabi Reinhardt, die sich immer wieder stark mit der Stadt Chemnitz in ihren Theaterprojekten beschäftigt hat. So hat sie zum Beispiel einen theatralen Stadtspaziergang „Chemnitz umgraben“ oder das „Balkonballett“ auf dem Chemnitzer Rosenhof in den vergangenen Jahren initiiert und umgesetzt. Wir treffen sie, unsere Macherin der Woche, in ihrem Studio auf der Augustusburger Straße, in dem nicht viel mehr als zwei blaue Stühle, ein paar Kisten und ein Tisch stehen sowie etliche Zettel an den Wänden hängen.


Warum engagierst Du Dich für den Friedenstag?
Gabi Reinhardt:
Ich finde es wichtig, auf eine angemessene Art und Weise, aktiv zu sein, und nicht denen den Tag zu überlassen, die ihre rechte Ideologie verbreiten. Ich wurde von der Stadt angefragt und wir haben das Thema ausgelotet. Meine Überlegung dazu war: Was haben Frieden und Krieg denn mit uns zu tun? Für mich besteht Gedenken auch immer darin, dass es etwas mit der Gegenwart und der Zukunft zu tun hat. Daraus entstand die Idee eines tschechisch-deutschen Projektes, wo sich junge Menschen mit diesem Thema auseinander setzen. Ich bin ganz gespannt, was dabei heraus kommen wird. Was Jugendliche zu dem Thema zu sagen haben, die ja Krieg hier in Mitteleuropa nie erlebt haben. Zum Glück.

Das Projekt heißt: „Stell dir vor es ist Krieg“. Wenn Jugendliche sich das Thema selbst erarbeiten, weißt Du also nicht, was am Ende herauskommt?
Nicht wirklich. Es ist ein kurz angelegtes Projekt. Insofern muss ich schon Rahmen vorgeben, in denen sie sich bewegen können, damit es nicht zu viel, aber auch nicht zu wenig Freiheit ist und wir das Ziel erreichen, etwas zu präsentieren. Es muss auf jeden Fall so viel Platz sein, dass sie sich selbst Gedanken machen. Was inhaltlich kommt – keine Ahnung.

Wie sehen diese Rahmen aus, die Du vorgibst?
Ich mache recherchebasiertes Theater. Das heißt, die Teilnehmerinnen und Teilnehmer steigen selbst in das Thema ein. Wir suchen Reibungsflächen. Recherche mit sich selbst. Und Recherche mit fremdem Material, weil das einen selbst weiterbringt. Es gibt dann zum Beispiel Schreibaufgaben zu einem Thema. Dabei kommen ganz unterschiedliche Texte und Textformate heraus. Manche schreiben einen Satz oder ganze Tagebuchseiten, poetische Gedankenreisen oder ganz alltägliche Dinge. Obwohl die Aufgabenstellung für alle die gleiche war. Und das ist genau der Punkt: Wie beantworten wir, mit dem was wir in uns tragen, eine Aufgabenstellung. Und aus diesen Texten, die da entstehen, werden Motive für Bilder, Szenen oder weitere Texte entwickelt. Ich gebe den Rahmen vor und schaue, wie er gefüllt wird . Ein ständiges Hingeben, gemeinsames Weiterentwickeln und eine Spirale aufbauen. Das ist schön, weil man da nicht so im Eigenen bleibt.

Was reizt Dich an Deiner Arbeit? Ist es dieses „Man weiß noch nicht, was am Ende rauskommt“?
Im besten Fall ist es bei Prozessen so, dass man nicht weiß, was rauskommt. Ich habe hier ein Zitat von Wolfgang Engler an der Wand hängen: „Gemeinsam in offener Landschaft unterwegs zu sein, anstatt alleine ans vorher festgelegte Ziel zu kommen.“ Das ist auch anstrengend, nicht zu wissen, wo man hingeht. Aber ja, das macht es auch schön. Man ist gezwungen, flexibel zu sein. (lacht) Man wird halt immer wieder überrascht. Natürlich kann ich mir einen Plan machen. Ich mag ja Pläne grundsätzlich sehr gern. Ich kann mir aber genauso sicher sein, dass dieser Plan wieder über den Haufen geworfen wird. Das ist was Gutes.

Im September 2013 stand ein Hochhaus am Rosenhof im ungewöhnlichen Rampenlicht. Ein halbes Jahr lang hatte Gabi Reinhardt mit den Bewohnerinnen und Bewohnern Geschichten rund ums Wohnen gesammelt und zu einer einmaligen Aufführung gebracht. Bis zum 28. Februar 2015 zeigt eine Ausstellung im Chemnitzer Schauspielhaus Fotos dieser einzigartigen Inszenierung.

Ging denn dein Plan zum Balkonballett auf?
Ich hatte eine Vorstellung, welche Elemente ich brauche: Video, Musik, Tanz. Die Geschichten, die da erzählt wurden, haben wir erst im Prozess rausgefunden.

Was hat dir das Balkonballett denn über die Liebe zur Stadt erzählt?
(überlegt) Es ging viel um das Wohnen in diesem Haus. Die Erzählung über Chemnitz war nur eine Metaebene. Ins Stück aufgenommen, haben wir die drohende Schließung des Atomino. Und das Thema Lärmbeschwerden erzeugte eine große Reaktion im Publikum. Was interessant ist: Alle haben gesagt, dass sie gern in diesem Haus wohnen. Dass sie auch bewusst dort wohnen. Diese Wohnform ist deshalb so toll, weil sie alles nah haben. Sie sind nicht aufs Auto angewiesen. Ein tolles Wohnen für verschiedene Generationen.

Spielte die Geschichte des Hauses eine Rolle?
Ja klar. Auch die DDR war Teil der Erzählungen. Das Haus wurde in den 60er Jahren gebaut und einige wohnen auch seitdem da. Das, was der Plattenbau in der DDR bedeutet hat, bedeutet er ja mittlerweile nicht mehr. Da findet eine Kodierung statt. Und wir haben es mit dem Balkonballett schon geschafft, das Bild wieder etwas anders zu verändern. Zu sagen: Die Leute leben gern drin.

Dir fehlt das Bekenntnis: Der Plattenbau gehört zu Chemnitz?
Hochhaussiedlungen haben selten einen guten Ruf. Das Haus war ja eigentlich verschrien, was mir gar nicht so bewusst war. Ich persönlich finde dieses Haus schön. Ich mag diese Architektur. Mich faszinieren diese Häuser. Natürlich scheint es belegt mit Tristesse und Plattenbau. Aber eigentlich waren wir mitten in der Innenstadt, ein Hochhaus im Rosenhof, das man gar nicht so sehr wahrnimmt. Und es ist kein ‚Problemviertel‘. Ich mache die Erfahrung, dass die Kodierung für Plattenbau in der DDR eine ganz andere ist als Plattenbau in anderen Städten, wie Köln. Obwohl es genau das gleiche ist. Das ist ziemlich absurd.

Im Mai 2015 ist das Balkonballett erstmals außerhalb von Chemnitz zu sehen. Auf dem Sommerblut Kulturfestival in Köln werden die Geschichten von drei Wohnblocks aus dem Stadtteil Bocklemünd erzählt. Seit Januar ist Gabi Reinhardt vor Ort und knüpft erste Kontakte zu den Bewohnerinnen und Bewohnern.

Mit welchen Erwartungen startet jetzt das Projekt in Köln?
Es ist die gleiche Idee, aber es ist ein anderes Projekt. Ich lasse mich jetzt wieder ganz neu drauf ein. Natürlich nehme ich die Sachen, die funktioniert haben, mit. Ich merke schon, dass ich von den Erfahrungen hier total zehre. Sowohl organisatorisch, als auch inhaltlich. Die Geschichten werden aber andere sein. Die Menschen sind anders. Der Menschenschlag ist anders. Und es sind andere Fragestellungen.

Kannst du jetzt schon einen Vergleich wagen zwischen den zwei Städten Köln und Chemnitz?
Ich war zweieinhalb Wochen in Köln und es gab eine ganz andere Erstreaktion. Den Chemnitzer habe ich am Anfang eher verschlossen und ein bisschen misstrauisch erlebt. In Köln ist das gerade anders. Eine große Neugier und großes Interesse. In Chemnitz waren dann aber die Leute sehr verlässlich. Das weiß ich für Köln natürlich noch nicht. In Chemnitz sind selbst zur Generalprobe und Premiere noch Leute dazu gekommen. Das war auch lustig. (lacht)

Gab es so etwas wie das Balkonballett schon mal woanders?
Wir haben recherchiert und es gab bisher nichts Vergleichbares. Das Chemnitzer Balkonballett ist ein absolutes Pilotprojekt. In der Schweiz gab es vielleicht ein ähnliches Projekt, aber mit anderen Zielen und anderer Vorgehensweise. Es ist eine Idee, die wir jetzt erstmalig in andere Städte exportieren und die dort gut ankommt.

Geht das denn in jeder Stadt?
Im Prinzip ja, aber das will ich nicht. Für mich ist wichtig, dass ich ein Interesse an diesem Stadtteil oder diesem Haus habe. Es muss einen Grund geben, warum man das erzählt.

Wenn du das Projekt in andere Städte bringst, bleibt Chemnitz trotzdem die Stadt, in die du immer wieder zurückkommst?
Ich habe in Berlin studiert. Viele haben mich belächelt, als ich nach dem Studium nach Chemnitz zurückging. Das wollte ich immer machen, weil das hier für mich ein guter Produktionsort ist. Und der Plan, den ich hatte, der geht jetzt so langsam auf. Chemnitz ist mein Basislager. Von hier aus gehe ich auch mal woanders hin und mache Projekte. Für mich ist es durchaus wichtig, mal rauszukommen, weil für mich als darstellende Künstlerin fremde Einflüsse total wichtig sind. Ich brauche Veränderung. Schade ist, dass der Fachaustausch für mich in der Stadt selbst schwer ist, weil es da in der Szene wenig gibt. Aber für Projekte raus zu gehen, macht eh Spaß. Ich lerne andere Gegenden und andere Leute kennen. Und trotzdem möchte ich hierher zurück. Ich lebe gerne hier. Und für mich hat es viel mit Lebensqualität zu tun, dass ich ganz schnell irgendwo bin. Ich mag die Größe der Stadt und dieses Netzwerk, das da ist. Wenn ich in Potsdam, Berlin oder sonst wo bin, klagen dort alle: sie teilen sich ihr Studio mit vier, fünf anderen. Wo ich mir sage, hier kann man recht einfach sein eigenes Atelier kriegen. Diese Bedingungen sind einfach gut.

Was macht für dich Chemnitz noch zum guten Produktionsort?
Es ist vielleicht verrückt, aber: Weil – bezogen auf Bundes- und Landesebene – aus Chemnitz selten Förderanträge kommen und die Konkurrenz überschaubar ist, ist Chemnitz auch ein Standortvorteil für mich. Außerdem weiß ich hier ganz schnell, wen ich anrufen muss, um bestimmte Dinge zu realisieren. Keine Ahnung, ob das auch in anderen Städten so ist. Aber mein Netzwerk ist hier.

Dein Studio liegt am Fuße des Sonnenbergs. Hast Du eine besondere Beziehung zu dem Haus und der Gegend?
Ich lebe in Chemnitz Mitte und brauche die Trennung von Arbeiten und Wohnen. Auch wenn ich selbstständig und Künstlerin bin. Ich finde diesen Raum total schön und mit jedem Projekt verändert er sich. Dieses Haus steht genau zwischen den Stadtteilen Sonnenberg, Gablenz und Lutherviertel. Ein kleines Nowhere-Land. Unten ist eine Druckwerkstatt, nebenan eine befreundete Band. Diese Idee, Räume und Synergien zu schaffen, funktioniert hier schon. Ich gehe lieber hierher, wo es unfertig ist. Und dieser Raum ist mein Denkraum. Hier ist Platz für die Projekte, an denen ich arbeite.

Du fühlst dich anscheinend sehr wohl hier. Muss man den Chemnitzern Mut machen?
(überlegt) Keine Ahnung. (überlegt noch mal) „Müssen“ würde ich nicht sagen. Alles kann, nichts muss. Ich denke da an einen Werbeslogan: „Spaß ist, was du draus machst.“ Das liegt an jedem selbst. Wenn ich Bock hab, zu Chemnitz zu stehen und etwas zu machen, dann mache ich das. Und dann fetzt das. Mir fetzt das. Ich habe Spaß an den Dingen, die ich tue und dass ich hierher komme. Wenn man das nicht kann, hat man grundsätzlich vielleicht etwas weniger Spaß im Leben.

 

Cookie Einstellungen

Wir verwenden auf dieser Website mehrere Arten von Cookies, um Ihnen ein optimales Online-Erlebnis zu ermöglichen, die Nutzerfreundlichkeit unseres Portals zu erhöhen und unsere Kommunikation mit Ihnen stetig zu verbessern. Sie können entscheiden, welche Kategorien Sie zulassen möchten und welche nicht (mehr dazu unter „Individuelle Einstellung“).
Name Verwendung Laufzeit
privacylayer Statusvereinbarung Cookie-Hinweis 1 Jahr
cc_accessibility Kontrasteinstellungen Ende der Session
cc_attention_notice Optionale Einblendung wichtiger Informationen. 5 Minuten
Name Verwendung Laufzeit
_pk_id Matomo 13 Monate
_pk_ref Matomo 6 Monate
_pk_ses, _pk_cvar, _pk_hsr Matomo 30 Minuten

Datenschutzerklärung von Matomo: https://matomo.org/privacy/