Die Stadt als Atelier

Guido Günther

Macher der Woche vom 29. Juli 2015

Als würde er selbst tief versunken in einer Blumenwiese sitzen, betrachtet Guido Günther das gerade aufgesprühte Bild. Margariten und Mohnblumen verzieren jetzt den bisher graubetonierten Müllcontainer. Die Anwohner schauen neugierig aus ihren Fenstern oder von den Balkonen, hervorlugend hinter prächtig blühenden Geranien. „Sie sind aber nicht so einer, der hier die Fassaden beschmiert“, fragt ein älterer Herr. Guido Günther nimmt die manchmal flapsigen, manchmal lobenden Bemerkungen locker hin. Er arbeitet seit 2004 als Graffitikünstler  unter seinem Label „Rebel Art“. Viele seiner Werke sind im öffentlichen Raum von Chemnitz zu sehen. Er war einer der ersten Gewerbetreibende, der bewusst auf den Brühl zog und von Anfang an die Belebung des Viertels glaubte.  Er engagiert sich in der Europäischen Kunstgemeinschaft, will mit Hilfe einer Genossenschaft ein Künstlerhaus auf dem Brühl 67 ausbauen, organisiert mit anderen Akteuren auf dem Brühl den Kreativmarkt Baumwollbaum und steckt auch in der Organisation des nächsten Brühlfestes am 1. August


Der Kultursommer auf dem Brühl hat vergangenes Jahr großes Interesse hervorgerufen. Ist so etwas wieder geplant? Was passiert diesen Sommer auf dem Brühl?
Guido Günther:
Anfang August ist ein großes Brühlfest geplant. Das Inspire hat Amerikaner eingeladen und wir werden die Pflanzaktionen auf dem Brühl weiterführen. Wir bekommen von der GGG Hochbeete und bepflanzen diese mit Kräutern, Tomaten und Erdbeeren. Es gibt Lesungen und Diskussionsrunden, viel Musik.

Welches große Ziel verfolgt Ihr damit?
Ähnlich wie beim Baumwollbaum wollen wir den Brühl  in den Fokus rücken. Mir würde es gefallen, wenn wir den Marktgedanken zurückholen. Der Brühl war früher ein richtiges Marktviertel. Von mir aus könnte hier jede Woche Markt sein: Biomärkte, Tauschmärkte, Kleiderbörsen, Flohmärkte, Kreativmärkte. Wir wollen keine Konkurrenz zum Wochenmarkt sein. Eher so ein kleiner Stadtteilmarkt. Der Brühl soll ein lebendiges, buntes Viertel werden: manchmal laut, manchmal schräg und immer mit einem großen Sinn für die Gemeinschaft.

Was fasziniert Dich persönlich am Brühl?
Es ist sehr familiär. Mittlerweile kenne ich eigentlich alle, die dort wohnen oder etwas machen. Ich kann mit jedem dort reden, wir grillen, sitzen zusammen, organisieren Aktionen. Es ist ein sehr direkter und schöner Austausch.

„Ist das angemalt oder geklebt?“ platzt eine Anwohnerin uns ins Gespräch, die ihren Müll wegbringen will. „Angemalt“ „Was sind denn das für Blumen?“ Auch darauf antwortet Guido Günther entspannt: „Margariten, Mohnblumen“.

Das Viertel ist cool. Die lange Ladenstraße mit den Häusern. Wohnen und Gewerbe eng beieinander. Eigentlich kann der Brühl ein Mikrokosmos werden. Es ist hier ganz anders angelegt als der Kaßberg oder andere Stadtviertel. Hier gibt es Raum, gerade für Geschäfte und Märkte.

Dein Geschäft oder Atelier von Rebel Art ist auch auf dem Brühl zu Hause. Das Thema Kunst gehört also auch mit zum Viertel?
Unbedingt. Noch bevor die GGG die Aktion startete „Wohnen und Arbeiten auf dem Brühl“, hatte ich mich mit Rebel Art damals 2004 für den Brühl entschieden. Weil ich schon immer dort bin, bin ich der Meinung, dass ich dorthin gehöre. Zurzeit sind wir eher ein wüstes Atelier mit der Option ein paar Sprühdosen zu verkaufen. Wir entwickeln uns aber weiter. Wir werden das Atelier trennen von der Textilveredelung und machen zwei Läden draus. Eine Galerie passt auf den Brühl, davon bin ich überzeugt. Wenn das ein junges, hippes Viertel wird, braucht das auch eine Galerie, die es bis jetzt so in Chemnitz noch nicht gibt.

Dafür habt Ihr jetzt ein eigenes Haus auf dem Brühl erworben?
Ja, genau. Der Grundgedanke war, dass wir unseren Platz auf dem Brühl sehen. Durch die Idee der Projekthäuser können wir uns hier verwirklichen. Wir sind eine Horde Kreativer, die seit Jahren zusammenarbeitet und wir wollen uns Raum schaffen. Wir haben uns in einer Genossenschaft zusammengeschlossen und dieses Haus gekauft. Und das ist schon mal cool, weil das urdemokratisch ist. Es geht nicht darum, wer die meisten Anteile hält. Egal wie groß der Anteil ist, jeder hat eine Stimme. Wir sind eine Gruppe von Freunden und wollen uns diese Freundschaft auch ehrlich erhalten. Und Ziel ist es, wirklich Raum zu schaffen. Mein Laden ist bisher eine wüste Rumpelkammer, weil ich auf dem 300 qm schon lange keinen Platz mehr habe. Die Leute, mit denen ich arbeite, entwickeln sich auch weiter. In dem Künstlerhaus haben wir die Option, dass sich die Leute ausbreiten können.

Wie soll das Künstlerhaus aussehen?
Die Leute haben größere Atelierwohnungen, in denen sie selbst arbeiten können. Wir haben in der oberen Etage ein Gemeinschaftsatelier und Gästewohnungen für die Vereinsprojekte, so dass wir auch mal Künstler einladen können. Bisher mussten wir die immer im Freundeskreis unterbringen. Im Erdgeschoss eröffnet dann die Galerie, damit diejenigen, die etwas schaffen, das auch ausstellen können. Viele Galerien in der Stadt sagen, wir wollen euch nicht, ihr seid zu „Street Art“. Dann machen wir eben unsere eigene Galerie auf. Und die wird bestimmt die coolste Galerie der Stadt (lacht). Es sind 7300 Kubikmeter umbauter Raum, das wird riesig. Die Genossenschaft nennt sich auch 7300 Kubik. Wir wollen das, was wir eh schon seit Jahren machen, in diesem Objekt vereinen.

Wann geht’s los?
Jetzt schon. Ich ziehe Ende August aus meinem Laden aus und dort ein. Ich werde wohl erst einmal ein paar Monate auf der Baustelle wohnen und arbeiten. Aber das macht nix. Es geht um die Sache. Ich hab für mich selbst das Ziel gesetzt, dort jetzt auszuziehen und neu zu starten. Das mache ich jetzt. Egal wie. Ich freue mich auf die Situation. Das ist ja auch das coole an dem Selbstausbau. Die Leute haben Bock darauf, selber etwas zu machen, selber den Fußboden zu schleifen und die Fenster zu streichen und das Treppenhaus zu machen. Viele freuen sich nach der Büroarbeit auf etwas Handwerkliches.

Welche Deiner Kunstprojekte haben Dir am meisten Spaß gemacht?
Es sind eigentlich immer die letzten Projekte, die mir besonders gefallen. Beispielsweise eine Turnhalle in der Ludwig-Kirch-Straße. Da haben wir auf die Fassade einen riesengroßen „kleinen“ Einbrecher gemalt. Aber auch die Pinnwand von der GGG auf der Gustav-Freytag-Straße ist cool.

Was macht für Dich gutes Graffiti im öffentlichen Raum aus?
Gutes Graffiti muss eine Symbiose mit der Architektur ergeben. Es sollte nicht einfach so am Objekt platziert werden. Was mir überhaupt nicht gefällt, ist, wenn auf Porphyrsockel gesprüht wird oder wenn Farben verwendet werden, die nicht zu dem Objekt passen. Es muss sinnvoll in der Umgebung gesetzt sein.

„Das haben Sie aber schön gemacht“, unterbricht uns ein älteres Ehepaar. „Schade, dass der Container hier vorne noch grau ist“ Guido Günther erklärt, was er alles noch bemalt, bevor die zwei Herrschaften weiterziehen.

Sieht man Dein Graffiti auch in anderen Städten?
Wir sind viel in Österreich, eigentlich europaweit zu sehen. Nächste Woche geht es nach Wien. Zürich, München. Ich bin viel unterwegs. Das ist halt richtiges Business. Ich male dann auch nicht unbedingt immer das, was ich will, sondern bin Dienstleister und male das, was der Kunde erwartet. Vielleicht komme ich mal dahin, meine Kunst an den Mann zu bringen – spätestens in unserer Galerie. Bei der Auftragsmalerei geht es oftmals darum, Sachen aufzuhübschen, wie dieses Container-Ding hier. Was will ich hier mit Street Art. Ich brauche hier was, was den Anwohnern gefällt und zu dem Auftraggeber, in diesem Fall die Caritas, passt. Es soll sich an die Umgebung anpassen. Und wir merken ja, dass sich die Leute für die Sache hier begeistern können. 

Gibt es noch andere Orte außer dem Brühl, die dir in Chemnitz gefallen?
Chemnitz hat unglaublich viele schöne Plätze. Im Lutherviertel bin ich aufgewachsen. Das ist wunderschön dort. Viele Häuser sind in den vergangenen Jahren saniert worden und die Lutherkirche mit dem Grün drumherum. Gablenz – vielleicht nicht direkt an der Straßenbahnlinie, aber weiter hinten in der Gartensiedlung. Herrlich. Ich bin auch gern in Glösa, dort gibt es eine große Gemeinschaft. Für die Kreativwirtschaft ist aus meiner Sicht der Sonnenberg spannend. Dort gibt’s die wirklich preiswerten Wohnungen und es hat sich in den vergangenen Jahren viel bewegt.

Muss man den Chemnitzern Mut machen?
Schon! Viele glauben ja gar nicht an das Potenzial ihrer Stadt. Das kann ich nicht verstehen. Ich würde mir wünschen, dass die Chemnitzer aufhören, sich so viel aufzuregen, sondern mehr gucken, was sie hier haben. Wir sind jetzt keine Kunststadt, wir haben keine Kunstuni. Aber wir sollten auf das Potenzial Industriestadt setzen. Wenn sich hier stärker die Industrie verankert, kann das auch gut für die Kreativszene sein.

 

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