Mit Chemnitzer Erfindung ohne Schnee in den Wintersport
Jens Reindl
Macher der Woche vom 23. Dezember 2015
Große Teppichballen lehnen an der Wand. Paletten, ein paar Skier und eine große Werkbank füllen die Werkstatt von Mr. Snow aus. Im ersten Moment ist hier keine ausgefeilte und moderne Erfindung zu sehen. Aber Jens Reindl rollt geschickt eine der Teppichrollen aus und zeigt uns seine textile Skipiste. Zusammen mit Felix Neubert und Arndt Schumann hat er eine textile Oberfläche entwickelt, die bei jeden Wetter für Rodel- und Sportspaß sorgt. Die Chemnitzer Erfindung kommt mittlerweile in Norwegen, Schweiz und vielen deutschen Skigebieten zum Einsatz. Wir sprachen mit einem der Start-up-Gründer Jens Reindl über den ungewöhnlichen Schneeteppich und den Erfindergeist in Chemnitz
Auf einer Stoffbahn Ski fahren – das klingt erst einmal verrückt und nicht nach einem sportlichen Vergnügen. Warum denkt ein leidenschaftlicher Snowboard-Fahrer darüber nach?
Jens Reindl: Mein Onkel hat mich zu seinem 50. Geburtstag in die Vogtlandarena eingeladen. Dort habe ich die Skisprung-Matten gesehen und gedacht: was die im Sommer für den Skisprung nutzen, muss man doch auch für Skifahren und Snowboarden anwenden können. Es mussten aber Matten sein, auf denen man nicht nur geradeaus rutscht, sondern mit den Stahlkanten von Ski und Snowboard auch Kante geben, sprich Kurven fahren kann. Da das Thema Textil in Chemnitz lange Tradition hat und ich nach meinem Studium an der TU Chemnitz beruflich in der sächsischen Textilbranche zu tun hatte, verfolgte ich die Idee weiter. In Arndt Schumann habe ich jemanden gefunden, der das Kunststoff-Knowhow hinzu gab.
Wie wird aus der Idee dann Wirklichkeit?
Die Idee allein genügt nicht. Wir mussten einen Weg finden, wie diese Matten beschaffen und industriell produzierbar sein sollten. Wir haben viel diskutiert und das Wissen zu Faktoren wie Reibung und Verschleiß einfließen lassen. Die TU Chemnitz hat uns hierzu sehr unterstützt. Es gab Fördergelder vom Bund für ein Forschungsprojekt. Damit konnten wir 2009 die ersten Prototypen entwickeln.
Was ist denn die Neuheit an eurem Produkt?
Wir haben eine Art Teppich, so wie man ihn auch aus dem Wohnzimmer kennt, und damit eine große geschlossene Fläche, die mit seiner abgerundeten Kunststoff-Oberfläche relativ weich ist. Die Schneekanone braucht Minusgrade um zu funktionieren, andere bekannte Plastikskipistenbrauchen Gleitmittel, da sie allesamt einen schlechten Reibwert haben. Wir brauchen nichts davon, kein Öl, kein Silikon, kein Wasser. Und unser Aufbau funktioniert großflächig.
Seid Ihr in der Länge irgendwie begrenzt?
Nein. Man könnte oben vom Berg bis hinunter ins Tal eine Skipiste ziehen. Das erfolgt durch Überlappen der einzelnen Teppiche. Die Übergänge sind nicht spürbar.
Ein Winter wie dieser ist für Mr. Snow eigentlich perfekt: Kälte, Lust auf Ski- oder Snowboardfahren, aber kein Schnee weit und breit. Jens Reindl ist viel unterwegs und stellt in verschiedenen Skiregionen seine Erfindung vor. Es sei dennoch noch viel Überzeugungsarbeit zu leisten, erzählt der 35-Jährige.
Wo liegt Eure textile Skipiste beispielsweise aus?
Unser erster größerer Auftrag kam von Burton Snowboards, die Pioniere der Snowboardhersteller. Wir haben deren Kinder Riglet Park, eine Snowboard-Schulpiste für 3-5-Jährige, ausgekleidet. Auch schön war die Belieferung des Deutschen Skiverbandes im Skisprung-Liftbereich, im Skisprungauslauf- und im Skicross-Bereich. In Norwegen gibt es unser neustes Projekt. Wir haben in Geilo, in einem alten, renommierten Skigebiet, den Belag für die Liftspur geliefert, weit über 400 Meter lang und mit der besonderen Anforderung, dass die Rennski nicht während der Liftfahrt beeinträchtigt werden. Außerdem gibt es unsere Skipiste auch im österreichischen Alpendorf im Ski Amadé oder bei der Hörnerbahn im Allgäu.
Gibt es Berührungsängste gegenüber Eurem Produkt?
Viele beginnen erst einmal mit Testkäufen und erweitern dann nach und nach, wenn sie merken, dass die Funktionalität stimmt. Schwierig wird es manchmal bei denen, die Konkurrenzprodukte kennen. Die haben noch Plastikpisten im Kopf und sind vorbelastet. Dann müssen wir Überzeugungsarbeit leisten, dass wir eine ganz neue Qualität anbieten.
Kommt euer Produkt denn an echten Schnee heran?
Wir vergleichen uns gar nicht mit Originalschnee. Wir sind alle leidenschaftliche Wintersportler und wissen: Schnee ist einfach Schnee. Aber in Teilen eines Skigebietes, in denen selbst der Kunstschnee schnell taut, die stark benutzt werden oder niedrig gelegen sind macht eine solche Anwendung Sinn.
Nach sechs Jahren positiver Entwicklung und den vielen Referenzen seid Ihr immer noch in Chemnitz. Was hält Euch hier?
Wir haben hier alles, was wir brauchen. Das beginnt bei der Forschung, die Professur Fördertechnik an der TU Chemnitz war von Anfang an und ist immer noch ein wichtiger und sehr guter Partner. Unsere Produktionspartner sind alle im Umkreis von 20 Kilometern. Wir können überall schnell hinfahren, sowohl für die Produktion als auch zum Kunden. Nachwuchssorgen haben wir auch nicht, weil wir immer wieder gut ausgebildete junge Leute hier finden.
Ist das Erzgebirge vor der Tür ein Vorteil?
Das kommt noch hinzu, ist aber ein sehr emotionaler Faktor. Die Landschaft ist einmalig. Aber auch als Stadt selbst hat Chemnitz, vor allem kulturell viel zu bieten. Chemnitz ist für mich eine Stadt mit großer Außenwirkung.
Du selbst wohnst aber seit kurzem im Leipzig. Wieso fühlst Du Dich der Stadt nach wie vor verbunden?
Es steht manchmal auch im Raum, wieder nach Chemnitz zu ziehen. Da sind wir, meine Frau und ich, noch nicht am Ende unserer Überlegungen. Den Arbeitsstandort nach Leipzig zu verlegen, steht außer Debatte. Und natürlich verbinde ich etwas mit der Stadt, in der sich unser Unternehmen so gut entwickeln konnte.
2012 gewann Mr. Snow den Saxeed-Gründerwettbewerb. Das dreiköpfige Team wagte mit dem EXIST-Gründerstipendium des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie den Schritt in die Selbstständigkeit und bezog die Büroräume in der Reitbahnstraße 80. Die Fliesen an den Wänden sind noch von den Vorgängern erhalten. „Hier muss mal ein Fischladen gewesen sein“, erzählt Jens Reindl, während er Kaffee aufsetzt. Das Büro ist mit Schränken, einem Sofa im Eingangsbereich und drei größeren Arbeitsplätzen gefüllt. Räuchermännchen und Weihnachtskalender sind liebevoll platziert. Demnächst soll das Büro umgestaltet werden – nur einer von vielen Plänen, die Mr. Snow noch umsetzen will.
Wieso habt Ihr Euch mit Eurem Büro für die Reitbahnstraße entschieden?
Wir haben etwas in Uninähe gesucht, das bezahlbar ist. Und wir haben hier viel Platz zum Kreieren.
Hast Du einen Lieblingsplatz in Chemnitz?
Ganz klar, der Opernplatz. Das ist ein wunderbares Ensemble. Schön ist aber auch der Ausblick über die Stadt vom Eisenweg.
Muss man den Chemnitzern Mut machen?
Ich finde, man sollte der Stadt einfach mehr Zeit geben. Die Stadt hat viele Umbrüche hinter sich. Es tut sich dennoch viel hier. Die Menschen sollten den Mut haben, die Stadt auch mal von außen zu betrachten. Sie hat eine gute Lage, wunderschöne Natur und mittendrin eine sich stark entwickelnde Stadt.