Eine andere Welt

Anja Hüttner & José Daniel

Macher der Woche vom 14. September 2016

Ob mit Spaten in der Hand, in der Hängematte faulenzend oder beim Blumen gießen – Anja Hüttner und José Daniel sind gern im Interkulturellen Garten. Zwischen Gründerzeithäusern hat sich auf einer Brachfläche auf dem Kaßberg ein Naturidyll entwickelt. Mit Kräuterspiralen, Blumenbeeten, Grillplatz, Komposthaufen und Gartenhäuschen. Hier treffen sich Menschen unterschiedlicher Nationalitäten, um gemeinsam zu gärtnern. Wir haben die Vereinsvorsitzende Anja Hüttner und Mitbegründer José Daniel zwischen Tomatenpflanzen, Bohnen und Sonnenblumen zu ihrer Vereinsarbeit befragt.


Aus einer Brachfläche einen Garten machen, wie entstand die Idee?
Anja Hüttner:
Die Idee eines Interkulturellen Gartens war schon damals nicht neu. In Deutschland existiert sie schon seit Jahrzehnten in verschiedenen Städten. Wir wollten so etwas in Chemnitz umsetzen, weil wir schon länger auch etwas im öffentlichen Raum machen wollten.  Zu dieser Fläche hier gab es schon vorher einen Anlauf vom Stadtteilmanagement und auch schon Ideen seitens der Volkshochschule. Wir haben uns daraufhin mit der Volkshochschule zusammen getan und es geschafft, diese Fläche von der Stadt zu mieten. Zehn Leute haben im Januar 2010 den Verein gegründet.

Wie sah das vorher hier aus?
Anja Hüttner:
Das war ein Bauplatz und eine Abstellfläche für städtische Fahrzeuge. Hier standen alte Baracken noch aus DDR-Zeiten. Die ganze Fläche war versiegelt.
José Daniel: Für einen Garten war der Untergrund äußerst schlecht. Er bestand nur aus Schrott und Geröll. Wir mussten 35 Zentimeter Muttererde aufbringen, damit hier etwas wächst. Aber wir haben ein gutes Klima auf der Fläche. Wir haben hier acht Stunden Sonne, das ist in Deutschland selten. Ich habe damals hier gewohnt und vom Balkon aus die Fläche gesehen. Dieses Mikroklima tut den Pflanzen gut, das habe ich damals schon gesehen.

José Daniel ist vor zwanzig Jahren aus Portugal nach Deutschland gekommen. Seine Eltern waren dort Landwirte und er ist froh, sein Wissen jetzt hier anwenden zu können. Er war es, der dem Garten eine Grundstruktur gegeben hat. »Ich hatte Lust, etwas für die Gemeinschaft zu machen«, erzählt er. »Das war ein Glück, dass José von Anfang an dabei war. Er ist eben der Profi-Gartengestalter«, übergibt Anja Hüttner, die selbst im interkulturellen Bereich arbeitet, sprachlich einen Blumenstrauß an ihren Mitstreiter.

Es gibt die einzelnen Beete, es gibt den Weg, die Liegewiese. Wie habt ihr diesen Plan entwickelt?
José Daniel:
Mir war klar: Wenn wir etwas so Großes beginnen und so viele Menschen mitmachen, dann braucht das eine Struktur. Ansonsten überfordert das alle und die meisten werden gehen. Es gibt einen Kreis, eine Ordnung. Die Menschen wissen, wo sie graben und pflanzen können, wo der Kompost ist. Das ist in der Landwirtschaft auch so. Wenn das Feld nicht gut gepflegt ist, kriegt man keine Ernte. Und vom Reden alleine wächst keine einzig Bohne.
Anja Hüttner: Natürlich ist es wunderbar, wenn so ein Projekt basisdemokratisch entsteht. Aber die Gefahr ist, dass es kein Ende findet. Es muss jemanden geben, der Dinge in Angriff nimmt. Sonst verzettelt man sich, zerredet die Dinge. Die vorhandene Struktur, das merken wir, wird gut angenommen. Es gibt zwar keine Grenzen, aber jeder weiß, wo sein Beet ist und wo er machen kann, was er will.

Warum war euch der interkulturelle Gedanke wichtig?
Anja Hüttner:
Es gab vor sechs Jahren noch keinen Ort, wo verschiedene Kulturen zusammengekommen sind. Jeder war so ein bisschen für sich. Das wollten wir aufbrechen. Und es funktioniert tatsächlich. Hier treffen sich Ungarn, Portugiesen, Tschechen oder Amerikaner. Jetzt haben wir auch Gärtner aus dem Iran, Syrien, dem Libanon und Äthiopien. Es ist wirklich international.

Wie erreicht ihr die Menschen, vor allem die aus fremden Ländern?
Anja Hüttner:
Wir haben viele Kontakte zur Stadt und zur Volkshochschule, die unser Projekt weiterempfehlen. Mittlerweile sind wir so bekannt, dass die Menschen direkt zu uns kommen. Oder es sind Paten, die Familien hier mitbringen.

Gibt es am Anfang Berührungsängste?
Anja Hüttner:
Aber na klar! Es gibt auch Missverständnisse. Das hat nicht unbedingt etwas mit den unterschiedlichen Kulturen zu tun, sondern einfach weil Menschen hier zusammen kommen. Und da muss das Zusammenleben geregelt werden. Wir haben unsere Gartenregeln und an die muss sich jeder halten, der hier mitmachen möchte.
José Daniel: Ein Garten macht viel Arbeit: Rasen mähen, Wasser holen, Klo entleeren. Es reicht nicht, herzukommen und Tomaten zu ernten oder sich in die Hängematte zu legen. Ein Garten macht keine Pause. Wenn man sich nicht darum kümmert, verwildert er. Das müssen auch die Leute verstehen, die den Garten nutzen wollen.

Habt ihr die Regeln aufgeschrieben?
Anja Hüttner:
Jeder, der ein Beet haben möchte, bekommt die Regeln mitgeliefert. Er schließt mit uns einen Pachtvertrag und bezahlt einen symbolischen Preis pro Jahr. Das macht es einfach verbindlich. Wir mussten selbst lernen, streng zu sein. Es liegt viel an der Kommunikation. Wir betonen immer wieder, was die Idee des Vereins ist. Der Verein ist auch wie eine Pflanze, die ganz langsam wächst und gepflegt werden muss.

Auch Kinder und Jugendliche will der Garten erreichen. Es gibt Kräuterseminare. Ganze Kindergartengruppen und Schulklassen treffen sich hier und staunen, was die Natur alles zu bieten hat. »Wir kochen dann zusammen, legen Projektbeete an«, erzählt Anja Hüttner. Dann wird Salat geschnippelt, Tee getrocknet und Kräuter werden angepflanzt. Auch in den Ferien gibt es Workshops, die von der Volkshochschule begleitet werden und zum Werkeln, Basteln und Töpfern anregen.

Was suchen die Menschen hier?
Anja Hüttner:
Es gibt eine Frau aus Kasachstan, die dort auch selbst Land hatte. Für sie ist es ein Stück Heimat, wenn sie mit Pflanzen arbeiten kann. Ein Mann aus dem Libanon war früher Imker. Er freut sich, hier wieder Bienen züchten zu können. Wichtig ist auch der Kontakt untereinander.

Gibt es an sich interkulturelle Unterschiede beim Gärtnern?
Anja Hüttner:
Man merkt hier sehr schön, dass es auf die einzelne Person ankommt. Ich kann hier nicht pauschalisieren, welches Beet von welcher Nation gepflegt wird. Der Mensch ist fleißig oder nicht. Konflikte entstehen nicht, weil jemand aus einem bestimmten Kulturkreis kommt, sondern aus anderen individuellen Gründen. Das ist eine gute Erfahrung für alle Gärtner, die hierherkommen. Hier kann man sich immunisieren gegen Rassismus.
José Daniel: Und der direkte Kontakt ist immer besser, als wenn man Vorurteilen glaubt. Aber natürlich ist es schwer, zu unterscheiden, was wahr ist und was nicht, was andere erzählen. Das geht mir ja selbst so. Aber persönliche Eigenschaften haben nichts mit der Herkunft eines Menschen zu tun.

22 aktive Gartenfreunde arbeiten zurzeit mit. Der Verein zählt mehr als 30 Mitglieder. »Es sind aber bestimmt über tausend Leute, die im Jahr hierherkommen «, schätzt Anja Hüttner ein. Zur jährlichen Feier kommen da auch gern mal 300 Leute auf einmal. Der Garten ist prinzipiell für jeden offen. Wer jemanden vom Verein antreffen will, sollte sich Mittwochnachmittag auf den Weg in die Franz- Mehring-Straße 39 machen.

Großstadt und Naturbewusstsein – schließt sich das aus?
José Daniel:
Der Garten ist nicht nur ein Platz für die Pflanzen, sondern es ist auch eine Lücke in der Stadt, wo Kinder und Erwachsene sich entspannen. Natürlich ist es in einer Großstadt anonymer, aber umso mehr wächst doch die Sehnsucht nach so einem Ort. Hier ist eine ganz andere Welt als in der Hektik da draußen.

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