Mit der Uni in die internationale Politik

Magdalena Oertel & Marcus Dörfel

Macher der Woche vom 23. März 2016

Politikverdrossenheit kennen Magdalena Oertel und Marcus Dörfel nicht. Sie reisen mit 16 weiteren TU-Studierenden nach New York, um vom 20. bis 24. März an einer simulierten UN-Konferenz teilzunehmen. Mehrmals hintereinander sind sie mit Auszeichnungen zurückgekehrt. Das Besondere an dem studentischen Projekt auf dem internationalen Parkett verraten uns die zwei in unserem Macher-Interview.


Ihr werdet im März als studentisches Projekt der TU Chemnitz an der NMUN-Conference (National Model United Nations) in New York teilnehmen. Was macht ihr dort?
Magdalena
Oertel: Wir nehmen bei den Vereinten Nationen an einem Simulationsspiel teil. Zugewiesen wurde uns die Republik Tschad, ein Binnenstaat in Zentralafrika. Wir treten in den Rollen von Diplomaten auf und werden versuchen die politischen Positionen des Landes in verschiedenen Ausschüssen der UN bestmöglich zu vertreten.

Was müsste ihr dabei beachten?
Magdalena Oertel:
Sehr viel. Es gibt Regelwerke, die festschreiben, wie man sich zu Wort meldet und wie die Konferenz abläuft. Wir müssen die diplomatische Sprache beherrschen. Zudem gibt es auch einen Verhaltenskodex und einen Dresscode.

Beteiligen sich nur Studierende an der Konferenz?
Marcus Dörfel:
Organisiert wir die Konferenz von einem Verein, der von den Vereinigten Nationen auch akkreditiert ist. Es werden also durchaus Themen behandelt, die aktuell für die Vereinigten Nationen wichtig sind. Die Teilnehmer, die die Reden halten und die eigentliche Arbeit der Konferenz durchführen, sind alles Studierende.
Magdalena Oertel: In über 40 Ländern werden sogenannte MUNs, sogenannte „Model United Nations“, mit Schülern und Studierenden durchgeführt. Die Konferenz in New York, die NMUN, ist die älteste, sie wird schon seit 1945 durchgeführt. Es ist auch die Professionellste, weil sie die einzige ist, die auch von der UN selbst mitgestaltet wird. Und es ist auch einfach die größte Konferenz, denn mittlerweile reisen mehr als 6000 Studierende nach New York.

Mancher Student hätte bei dem Projekt gelernt, wie man eine Krawatte bindet, verrät Magdalena Oertel, wissenschaftliche Mitarbeiterin der Professur Internationale Politik an der TU Chemnitz, die vor vier Jahren das erste Mal bei einer Konferenz als Delegierte dabei war und seit vergangenem Jahr das Projekt leitet. Sie fühlt sich auf dem politischen Parkett wohl, genau wie ihre studentische Hilfskraft Marcus Dörfel. Beide erzählen mit Begeisterung von ihren Erfahrungen. „Nach einem solchen Simulationsspiel versteht man besser, warum manche Konflikte nicht einfach mit einem Fingerschnipp zu lösen sind“, berichtet Marcus Dörfel und Magdalena Oertel ergänzt: „Es ermöglicht uns einen guten Einblick in das Diplomatenleben. Dieser Blick in die Praxis ist ungemein wichtig neben dem ganzen Wissen aus den Lehrbüchern.“ Seit 13 Jahren entsendet die TU Chemnitz studentische Delegationen und ist damit die einzige sächsische Universität, die an dieser internationalen Konferenz teilnimmt. „Bei dem Aufwand, der dahinter steckt, ist das kein Wunder“, meinen die beiden einstimmig.

Wie habt ihr euch auf diese Reise vorbereitet?
Magdalena Oertel:
Im Juni / Juli beginnen wir mit den Auswahlverfahren: Wir rufen alle Studierenden der TU Chemnitz auf, sich zu bewerben, es finden Bewerbungsgespräche statt und  Ende August steht die Gruppe fest, die sich dann regelmäßig trifft. Ab Oktober sind die Treffen wöchentlich. Jede Woche sitzen wir abends mehrere Stunden im Institut und fangen an, uns mit dem Regelwerk der UN zu befassen. Wir beschäftigen uns mit dem Land, das uns zugewiesen wurde und arbeiten uns sehr detailliert in die Themen ein, die von der UN vorgegeben werden. Wir halten Spontanreden und versuchen unser diplomatisches Englisch zu schulen. Die Gruppe muss dann noch zwei Probesimulationen absolvieren. Dieses Jahr war eine davon sogar in Chemnitz. Anhand der Erfahrungen aus den Probesimulationen analysieren wir, was gut gelaufen ist und woran wir noch arbeiten müssen, um dann gut vorbereitet in New York aufzutreten. Dann reisen wir im März in die USA, besuchen die Deutsche Botschaft in Washington, schauen uns Denkfabriken, sogenannte think tanks, an und treffen in New York auf Diplomaten aus der Ständigen Vertretung der UN von Deutschland und dieses Jahr von Tschad. 

Was sind die aktuellen Themen?
Marcus Dörfel:
Für jedes Thema gibt es bei der UN ein „General Assembly“, eine Art Ausschuss. Bei dem einen geht es um Finanzen, bei dem anderen um Entwicklungshilfe oder Abrüstung. Alle Mitgliedstaaten der UN, an der Zahl 193, sind in dem jeweiligen Ausschuss vertreten. Dieses Jahr wird es um die Flüchtlingskrise gehen, um sicherheitspolitische Fragen oder wirtschaftliche Belange. Es wird über alles diskutiert, was für die Vereinigten Nationen aktuell von Interesse ist. Die Kunst ist es, einen Kompromiss zu finden, der allen Teilnehmern gerecht wird.

Wie wird die Konferenz bewertet?
Magdalena Oertel:
Ziel ist ja, eine Resolution zu verfassen, die das Thema ausreichend und dennoch in Kürze beschreibt. Die UNO selbst schaut sich die Papiere an. Als wir das allererste Mal dabei waren, wurde eine Definition von Studierenden für die Piraterie geschrieben. Diese Definition wurde von der UNO als so gut bewertet, dass sie übernommen wurde. Wichtig ist, die Argumente des Landes so zu formulieren, wie dieses Land auch tatsächlich argumentieren würde. Auf Englisch heißt das auch: Staying in character. Und es wird wahrgenommen, wie oft sich eine Delegation einbringt, wie oft sie sich meldet und ob sie sinnvoll entsprechend ihrer politischen Situation abstimmt. Bei der Konferenz gibt es Beobachter, die das Verhalten der Teilnehmer bewerten. Und im besten Fall reicht es für eine Auszeichnung, die in der Generalversammlung der UN übergeben wird.

Welche Atmosphäre hat die Konferenz?
Magdalena Oertel:
Es ist eine sehr intensive Arbeitszeit und alle wachsen daran. Die Stimmung ist für alle ein unglaubliches Erlebnis.

Ist es schwer, Studierende für Politik zur begeistern und jedes Jahr wieder eine Delegation zu stellen?
Magdalena Oertel:
Es bewerben sich jedes Jahr viele. Aber der zeitliche und finanzielle Aufwand schreckt den ein oder anderen ab. Die Studierenden engagieren sich immerhin in dem Projekt neben ihrem regulären Studium.
Marcus Dörfel: Klar geht dabei viel Freizeit drauf. Aber es hat sich bisher immer gelohnt. Beispielsweise entwickelt sich die englische Sprache. Die Studierenden müssen vor 300 bis 400 Leuten sprechen und in ihren Redebeiträgen auf das Wesentliche achten. Das bringt den Einzelnen enorm nach vorn. Und es ist sehr spannend, welche Leute man kennenlernt. Ich habe bei meiner ersten Konferenz 2013 viele Leute getroffen, mit denen ich heute noch im guten Kontakt stehe. Das sind Menschen, die sich dafür interessieren, wie die Welt, wie internationale Politik funktioniert und wie man sie ein wenig besser machen kann.
Magdalena Oertel: Wann hat man denn die Möglichkeit, von dem Vertreter bei der UN von Libyen oder Tschad gebrieft zu werden oder die Weltbank von innen zu sehen. Die Teilnehmer gehen mit einem großen Selbstbewusstsein aus dem Projekt heraus.

Von Chemnitz nach New York – ist das ein Kulturschock?
Magdalena Oertel:
Am Anfang kämpft man eigentlich hauptsächlich mit dem Jetlag. Kulturschock würde ich es nicht nennen. Aber wenn man wiederkommt, freut man sich auf zu Hause.
Marcus Dörfel: Von Chemnitz reisen wir ja erst einmal nach Washington. Und obwohl das die Hauptstadt ist, ist das Leben dort relativ entspannt und nicht zu vergleichen mit der Hektik in New York. So schön wie es in den Vereinigten Staaten dann auch war, bin ich immer wieder froh, nach Hause zu kommen. Hier kennt man sich aus, weiß, wo es was gibt und wie viel es kostet. Da weiß man dann das Essen in der Mensa richtig zu schätzen.

Was macht für euch das Leben in Chemnitz aus?
Marcus Dörfel:
Das sind die vielen Initiativen und Veranstaltungen, die hier auf den Campus organisiert werden. Egal ob es das Sommerfest der Fachschaften, Sportveranstaltungen oder die Studentenclubs sind. Die Studierenden stellen schon Verrücktes auf dem Campus auf die Beine. Ich bin ja seit 2008 an der TU Chemnitz und die Entwicklung der Stadt, vom Wohlfühlfaktor und von der Optik her, finde ich bemerkenswert. Das Rawema war vor ein paar Jahren noch ein Schandfleck. Das Schocken stand noch leer. Heute machen die zwei Gebäude wirklich etwas her. Manche denken, Chemnitz, das ist der Schornstein, der Karl-Marx-Kopf und ein paar graue Häuser. Dabei ist es vielmehr. Wenn man Leute, die Chemnitz noch nicht kennen, mit in die Stadt nimmt, ihnen den Sonnenberg oder den Kaßberg zeigt, dann gibt es einen schönen Überraschungseffekt.
Magdalena Oertel: Das studentische Leben findet einfach auf der Reichenhainer Straße statt. Aber wenn sich die Leute hier wohlfühlen, ist das ja auch ok.

Muss man den Chemnitzern Mut machen?
Magdalena Oertel:
Ich denke, dass man den Chemnitzern kein Mut machen muss, sie haben ihn einfach. Es gibt so viele schöne Orte, die ihn widerspiegeln und das sieht man an den vielen Veränderungen in der Stadt.
Marcus Dörfel: Viele Chemnitzer, die ich kenne, sind stolz auf ihre Stadt. Jeder hat so zwei, drei Punkte, die ihn intensiv mit der Stadt verbinden: Ob jetzt die NINERS, der CFC, bestimmte Vereine oder Orte. Ich denke schon, dass viele sehen, wie sich die Stadt entwickelt hat.

 

 

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