Es gibt keine Perfektion!

Sabrina Sadowska

Macherin der Woche vom 9. März 2016

Sie zaubert jeden Tag, erzählt Sabrina Sadowska. Und das glaub man der impulsiven Ballettbetriebsdirektorin, die den Tanzsaal auch gern als Raubtierkäfig bezeichnet. Ihre Brille sitzt locker im Haar. Sie selbst hat zwölf Jahre lang auf der Bühne gestanden. Jetzt managed sie in Chemnitz den Ballettbetrieb, ist erste Ballettmeisterin und brachte von Anfang an viele neue Ideen in die Stadt. Am 7. März erhält sie vom Bundespräsidenten den Bundesverdienstorden.


Der Bundespräsident hat sie im Februar zur Soiree „Deutschland tanzt“ eingeladen, im März erhalten Sie den Bundesverdienstorden. Ist Tanz politisch?
Sabrina Sadowska:
Mit der Soiree würdigte der Bundespräsident den Tanz in seiner ganzen Vielfalt in Deutschland. Der Tanz ist wortlos und verbindet, und arbeitet damit auch integrativ. Er übernimmt heutzutage viele Aufgaben, so auch   kulturelle Bildung mit Schulen,  und befasst sich mit der städtischen Umgebung als „urban dance“. Der Tanz ist ein wichtiges Ausdrucksmittel der Gesellschaft.

Sie haben mit dem Tanz immer auch soziales Engagement verbunden.
Ich engagiere mich um den Tanz, weil es meine Herzensangelegenheit ist. In Greifswald habe ich für die renommierte Bachwoche Schultanzprojekte kreiert und das Nordische Tanztreffen in die Stadt geholt.  . Vor fünf Jahren habe ich mit einer Freundin die Stiftung Tanz - Transition Zentrum Deutschland gegründet. Da geht es darum, einen nahtlosen und würdigen Übergang für Tänzerinnen und Tänzer in eine zweite Karriere zu schaffen. Manche haben nicht das Geld für eine Weiterbildung. Aber es geht um langfristige Chancen nach der Tanzkarriere. Da helfen wir.

Eine Sieben-Tage-Woche ist nichts seltenes, erzählt Sadowska. Die Arbeit für die Stiftung, für eine gute Sache gebe ihr dafür Kraft. Dabei sei jeder ganz unterschiedlich, betont sie. „Man kann sich noch mit 70 Jahren auf die Bühne stellen. Das ist immer eine Frage des Stils und der eigenen Fitness.“ Erfahrungsgemäß seien die Tänzerinnen und Tänzer ab 35  vom Wechsel betroffen. Viele spürten dann den Wunsch, sich selbstständig zu machen, sich der Familie zu widmen oder haben mit Verletzungen zu kämpfen.

Erinnern Sie sich noch an Ihren ersten Eindruck von der Stadt Chemnitz?
Das erste Mal war ich 1991 in Chemnitz. Da war die Innenstadt geprägt von Rohbauten. Die riesigen Leerflächen, die später zu Baustellen wurden, sind mir natürlich aufgefallen. Ich war dann 2004 wieder in der Stadt, um mich mit Carsten Knödler für ein gemeinsames Stück am Schauspielhaus zu treffen. Und ansonsten bin ich meistens einfach nur durch die Stadt durchgefahren. Ehrlich? Ich fand die Stadt nicht attraktiv.

Trotzdem haben Sie als Ballettbetriebsdirektorin seit 2013 am Theater Chemnitz angestellt. Wie haben Sie sich mit der Stadt versöhnt?
Seit 2013 habe ich Zeit, mich der Stadt selbst mehr zu widmen, Ecken zu entdecken. Und da fallen einem die Schätze auf, was erhalten geblieben ist. Wenn man die Bausubstanz auf dem Kaßberg anschaut, bemerkt man erst einmal, was für eine reiche Stadt Chemnitz einst war.

Sie haben auch tänzerisch die Stadt entdeckt. Sind mit dem Tanzfestival „Tanz / Moderne / Tanz“ an Chemnitzer Brunnen gegangen. Was war an diesem Projekt der Reiz?
Das Festival war einfach ein Wunsch, dass wir den zeitgenössischen Tanz nach Chemnitz holen. Das man nicht nach Hellerau oder Leipzig fahren muss, um zeitgenössischen Tanz zu sehen, sondern dass wir den auch hier bei uns verankern. In den zwölf Partnerstädten von Chemnitz haben wir wunderbare Partner gefunden, die auch internationales Flair in das Projekt eingebracht haben.

Wie wichtig ist zeitgenössischer Tanz?
Heutzutage ist alles wichtig. Balletttänzer müssen Ahnung von der Klassik haben, bei uns sind alle klassisch trainiert, die Frauen können Spitze tanzen. Sie müssen über modernen Tanz Bescheid wissen, also vom Tanz in der Zeit um die Jahrhundertwende. Und an den  Entwicklungen der vergangenen 30 Jahre, dem zeitgenössischen Tanz, müssen Balletttänzer genauso dran bleiben. Dabei gibt es so viele Einflüsse, beispielsweise aus der asiatischen Kampfkunst, aus dem HipHop oder Breakdance. Ein Choreograf heute schöpft natürlich aus allen Inspirationsquellen. Deswegen müssen Balletttänzer auch alles beherrschen.

Und wie kamen Sie auf die Idee zur Aufführung „Die Moderne geht Baden“ im Stadtbad Chemnitz?
Vom Stadtbad hatte ich schon gehört. Wir hatten eine Beratung beim Kulturbürgermeister, der uns bat, etwas zum Kulturjahr der Moderne beizutragen. Und innerhalb der Sitzung habe ich diesen Titel kreiert. Ich liebe ja die 20er Jahre und das war für mich eine schöne Gelegenheit, mich mit diesem Zeitabschnitt zu  beschäftigen. In dem Moment, wo wir als Ballett rausgehen, machen wir natürlich auf uns aufmerksam und treffen auf Leute, die wir vielleicht sonst nicht erreicht hätten.

Wann sind Sie mir ihrem Team und einem Tanz zufrieden?
Das gibt es so nicht. Es entwickelt sich immer weiter. Es gibt natürlich immer wieder temporäre Stationen, die man als Ziel erreichen wollte. Dann geht es aber weiter. Die Welt dreht sich und entwickelt sich. Meine Arbeit ist ein wenig wie die eines Gärtners, der muss immer wieder mit den Pflanzen arbeiten, Beete neu anlegen, Bäumchen zurechtschneiden, neues einpflanzen. Das machen wir in der Kunst auch. 

Worin unterscheidet sich dann das Chemnitzer Ensemble von anderen?
Es hebt sich ab in den Persönlichkeiten. Jeder für sich ist in diesem Ballett einzigartig, wie er sich nach der Choreographie von Reiner Feistel bewegt, und dennoch oder vielleicht gerade deshalb funktioniert das Zusammenspiel. Wir haben im Vergleich zu anderen großen Häusern eine eigene Handschrift, und das ist sehr wichtig. Wenn man die hohe Klassik sehen will, geht man nach Dresden. Wenn man die Art mag, wie Mario Schröder und Uwe Scholz in Leipzig arbeiten, geht man dorthin. Zu uns kommt man aufgrund der eigenen Handschrift. Wir gehen natürlich auch sehr auf die Klassiker ein, wir setzen klassische Stoffe  modern um, das machen gar nicht mehr so viele.

Was haben Sie noch vor mit dem Chemnitzer Balett?
Ich freue mich auf den Oktober, wenn wir mit einem chinesischen Choreographen arbeiten. Xu Yi-Ming, einer der Mitbegründer der LDTX, Beijing Modern Dance Company wird einen Zwei-Teiler mitgestalten. Den ersten Teil, der sich „Gesichter der Stadt“ nennt und die Motive des Malers Edward Hopper aufnimmt, übernimmt Reiner Feistel.
Im September widmen wir uns den Tanzfilmen: ob West-Side-Story oder die erste aufgenommene Revue 1929, Saturday Night Fever aus den 70er Jahren oder Breakdance. Zum Ende der Spielzeit wird es noch einen Sommernachtstraum geben, der den Persönlichkeiten der Tänzer wunderbar gerecht wird.
Ich möchte in dieser Stadt gern die Hemmung vor dem Tanz nehmen. Die Menschen brauchen keine Angst haben, in die Oper zu gehen und sich Tanz anzusehen. Das sollte zum Alltag dazugehören.

Was ist das Besondere an Ihrer beruflichen Aufgabe?
Ich sorge mich darum, dass, wie beim Fußball, aus einem Team auch tatsächlich ein Team wird. Wir haben hier zwanzig Tänzer aus verschiedenen Nationen und mit unterschiedlichen Ausbildungshintergründen. Auf der Bühne muss daraus aber ein Team werden. Das passiert nicht von heute auf morgen, sondern das müssen wir uns gemeinsam erarbeiten.
Das Ballett selbst ist aber auch nur ein Stück eines Ganzen. Beispielsweise ist es wunderbar, mit der Robert-Schumann-Philharmonie zusammenzuarbeiten. 

Die Wertschätzung des Einzelnen ist Sadowska wichtig. Das betont sie, wenn Sie über über ihre Schützlinge spricht: „Es geht darum, Menschen zu begleiten. Jeder Mensch ist im Ballettsaal anders. Ich will Ihnen Lebenserfahrung und ein Erbe weitergeben.“ Sadowska selbst lerne unter dem Pädagogen Peter Appel, welcher Generationen von Tänzern geprägt hat. Seit 1998 war Sabrina Sadowska als Choreografin für Schauspiel und Musiktheater in bisher über 50 Produktionen tätig. „Das Weitergeben, Begleiten und Entwickeln ist ein spannender Prozess“, sagt sie.

Inwieweit beeinflusst die Stadt Sie selbst?
Mich interessiert es, mit einem Choreographen zu arbeiten, der in seiner künstlerischen Entwicklung Stücke schafft für die Menschen, die in dieser Stadt leben. Die Stücke können nur so entstehen, weil sie hier entstehen. Das hat immer mit den Zuschauern und mit Chemnitz zu tun. Wenn Reiner Feistel nach Straßburg oder Darmstadt gehen würde, würden auch die Stücke anders werden.

Was heißt das für die Chemnitzer Stücke, die hier entstehen?
Wir gehen durch diese Stadt. Sie inspiriert uns ganz automatisch. Jede Stadt hat einen eigenen Rhythmus und einen gewissen Menschenschlag. Manchmal ist das hier schon ganz schön ruppig. Damit setzt man sich dann auseinander. Und auch die Vergangenheit einer Stadt verrät vieles, wie der Mensch dort heute ist. Das fließt alles in unsere Arbeit ein.

Muss man die Chemnitzer Mut machen?
Ich erlebe viele junge Chemnitzer, die „Ja“ zu dieser Stadt sagen. Ich komme aus Basel und habe das Glück in einer Stadt groß geworden zu sein, die einen Altstadtkern hat, der noch aus dem Mittelalter stammt, wo man sieht, wie im 14. Jahrhundert die Vorstadt angebaut wurde. Die Straßen haben noch diese alte Stadtstruktur und man spürt diese ehrwürdige Geschichte. Das gibt mir selbst Kraft. Hier in Chemnitz gibt es auch große Wurzeln. Auch wenn im zweiten Weltkrieg vieles zerstört wurde, 80 Prozent der Innenstadt verschwand, trotzdem spürt man hier die Geschichte. Die jungen Menschen hier haben ein großes Bewusstsein, wo sie sind und wer sie sind. Der Mut ist schon da. Man braucht sich nicht zu verstecken. Man hat hier wunderbare Initiativen, viele Leute, die hier etwas tun, aktuell beispielsweise für die Flüchtlinge. Und es ist wie beim Tanz, es gibt keine Perfektion. Es gibt nur das Miteinander: Konflikte ausstehen, sich reiben, wachsen – eine Dialektik von These, Antithese und Synthese.

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