Spenden nicht nur zur Weihnachtszeit benötigt
Christiane Fiedler
Macherin der Woche vom 7. Dezember 2016
Vor Weihnachten ist besonders viel los bei Christiane Fiedler. Sie ist die Leiterin der Chemnitzer Tafel e.V. und hat die Lebensmittel- und Kleider- sowie Sachausgabe in Chemnitz mit gegründet. Seit 20 Jahren ist sie dabei. „Vor Weihnachten erinnern sich die meisten daran, noch kurz vorm Jahreswechsel was Gutes tun zu müssen“, sagt die 56-Jährige und ergänzt: „Aber die Menschen benötigen unsere Hilfe auch in den anderen elf Monaten des Jahres.“ Gut zwei Wochen vor dem Weihnachtsfest trafen wir uns in der Chemnitzer Tafel auf der Zwickauer Straße, in Höhe Endhaltestelle der Straßenbahnlinie 1 und sprachen mit Christiane Fiedler.
Wer kommt zu Ihnen?
Christiane Fiedler: Das ist sehr unterschiedlich. Es sind junge Erwachsene, Familien, Rentner, Menschen mit wenig Einkommen, Menschen, die in vorübergehenden Notsituationen sind, Asylbewerber, Migranten – also quer durch die Gesellschaftsschichten.
Was müssen die Menschen nachweisen, um sich bei Ihnen Spenden abzuholen?
Wenn sie das erste Mal kommen, brauchen sie erst mal gar nichts. Unsere Mitarbeiter erklären den Leuten, dass sie sich anmelden müssen, wenn sie wiederkommen wollen. Zur Anmeldung montags lassen wir uns entweder den Grundsicherungsbescheid oder den ALG II-Bescheid, Wohngeld-, Asylbewerberleistungsbescheid oder ähnliches vorzeigen. Also alles, was staatliche Leistung sind und jemanden als bedürftig ausweisen, kann vorgezeigt werden.
Rund 1.600 Personen versorgen Christiane Fiedler und ihre Mitstreiter wöchentlich. Neben den regelmäßigen Lieferungen, wie beispielsweise an die Suppenküche oder an das Wohnungslosenprojekt der Selbsthilfe 91 auf der Heinrich-Schütz-Straße, kommen wochentags auch Menschen zur Ausgabenstelle auf der Zwickauer Straße 247 und zur Ausgabe in Frankenberg. Die Frankenberger Tafel ist ein Projekt der Chemnitzer Tafel und seit 2006 einmal wöchentlich geöffnet.
Hat sich die Zahl in den vergangenen Jahren erhöht?
Nein, das kann man so nicht sagen. Es ist relativ stabil geblieben. Selbst als viele Flüchtlinge in die Stadt kamen. Manchmal erklärt sich das durch die Verbesserung auf dem Arbeitsmarkt. Oftmals werden Personen aber auch in Maßnahmen über das Jobcenter vermittelt.
Woher bekommen Sie denn Lebensmittel- und Sachspenden?
Wir bekommen viel von Lebensmittelmärkten. Im Idealfall auch von Unternehmen. Wir haben aber wenig lebensmittelproduzierende Betriebe in der Umgebung. Wir bekommen einiges von Handelseinrichtungen oder Organisationen. Bei den Geldspenden sind es Unternehmen, Privatpersonen und Gerichtsauflagen.
Das, was die Tafel ausmacht ist nicht nur, dass wir Menschen helfen. Wir schaffen auch ein Bewusstsein dafür, nicht immer alles wegzuschmeißen. Schon alleine beim Thema Backwaren: Am Ende des Tages wird einfach viel zu viel weggeschmissen. Und das kann ja nicht der Sinn sein. Schon die Herangehensweise ist unverständlich. Der Handel sagt: „Der Kunde soll bis zum Ladenschluss frische Ware bekommen.“ Da sage ich immer, wollen die Kunden das wirklich? Poche ich denn wirklich kurz vor Ladenschluss auf die eine bestimmte Sorte Brot oder nehme ich dann eben auch mal ein anderes.
Neben der Lebensmittelausgabe können Bedürftige auch, gegen einen kleinen Obolus, Kleidung oder andere Artikel bei der Tafel erwerben. Kann man eigentlich als Bürger mit seinen Kleiderspenden hierher kommen?
Solche Spenden nehmen wir natürlich auch an. Ratsam ist es, vorher anzurufen, weil wir ein paar Kriterien haben. Wir nehmen beispielsweise aktuell keine Sommerkleidung an, weil wir auch nur begrenzten Lagerraum haben. Dann gibt es natürlich auch unterschiedliche Ansprüche. Was einige Menschen denken, das andere noch anziehen, ist nicht immer richtig. Wir nehmen zum Beispiel keine getragene Unter- und Nachtwäsche.
Zurzeit werden uns auch vermehrt kaputte Weihnachtsdeko-Artikel angeboten. Räuchermänner mit einem kaputten Fuß oder Engel mit kaputten Flügeln. Das sind so Sachen, bei denen ich ein bisschen missmutig reagiere.
Werden bei Ihnen manchmal Angebote missbraucht?
Wir haben das selbst nicht in Erfahrung bringen können. Uns wurde das zugetragen. Wir bitten natürlich immer um Verständnis, dass wir die Bedürftigkeit kontrollieren müssen. Wir sind ein gemeinnütziger Verein und müssen Nachweise an das Finanzamt übermitteln.
Wir arbeiten nur mit Spenden – ob Finanzen, Lebensmittel oder Sachspenden. Ich kann nur garantieren, dass diese Spenden nicht missbraucht werden, wenn ich für jeden, der zu uns kommt, die Hand ins Feuer legen kann. Und das kann ich nur, indem ich das eben kontrolliere und festhalte.
Wie viele Mitarbeiter haben Sie?
Wir haben über 50 ehrenamtliche Helfer bei uns. Zurzeit haben wir wirklich eine große Nachfrage. Ich führe Gespräche und habe Menschen zum Probearbeiten da. Wir haben drei festangestellte Mitarbeiter mit unterschiedlicher Stundenzahl, die wir aber als Verein auch allein finanzieren müssen. Der Großteil vor Ort sind Frauen. Die Männer, die bei uns mitmachen, sind dann eher im Außendienst tätig. Die sitzen im Auto, bringen uns die Nahrungsmittel. Für die Arbeiten direkt im Haus lassen sich komischerweise nicht so viele Männer finden. Wir müssen hier eben viel putzen. Gemüse muss geputzt und aussortiert werden, dann muss natürlich die Ausgabe immer sauber sein. Das machen Männer einfach nicht so gern. Die sind eher für die handfeste Arbeit.
Sie haben die Tafel in Chemnitz 1997 mit aufgebaut. Selbst sind Sie seit 1996 dabei. Wie sind Sie dazu gekommen?
Ja, ich hab vor 20 Jahren damit angefangen. Ich war damals selber arbeitslos und steckte persönlich in einer Sinnkrise. Ich war Mitte 30, die Kinder waren aus dem Gröbsten raus. Ich bin niemand, der wegen jedem Zipperlein zu Hause bleibt. Eigentlich genau das, was ein Chef suchen sollte – habe ich gedacht.
Aber trotzdem wollte mich niemand so richtig. Dann hatte ich im Fernsehen einen Beitrag über die Hamburger Tafel gesehen und dachte: „Das wäre es! Wenn es sowas nur bei uns gäbe!“ Und kurze Zeit später habe ich einen Zeitungsartikel gelesen, in dem Sozialarbeiter der AWO und VIP Chemnitz e.V. erklärten, dass es schön wäre, wenn in Chemnitz so eine Tafel entstehen würde. Ich habe zu denen Kontakt aufgenommen und meine Bereitschaft signalisiert.
Dann habe ich mich kundig gemacht, wie man eine Tafel gründet und habe Mitstreiter gesucht. Im Mai 1997 waren wir so viele Leute, dass wir den Verein gründen konnten.
War der Weg am Anfang steinig?
Ja, das kann man schon so sagen. Am Anfang kannte die Tafel kein Mensch. Viele dachten, wir sind Vertreter von Schultafeln (lacht). Das war schon nicht so einfach. Aber es war eine schöne Zeit. Ich habe viel kennengelernt. Ich konnte neue Erfahrungen sammeln.
Dann war ich in Dresden beim Tafeltreffen vom Bundesverband und so hoch motiviert. Dort habe ich viele Menschen von verschiedenen Tafeln kennengelernt. Das war super. Im Zuge dessen haben wir unser erstes Auto geschenkt bekommen. Zu Beginn waren wir dann eher ein Transportunternehmen und haben Dinge von A nach B geschafft. Das war uns eigentlich gar nicht so lieb. Wir wollten schon eher eine zentrale Verteilstelle sein, wo die Leute zu uns kommen.
Wir haben dann nach Räumen gesucht. Eine von uns hat die ehemalige Kita in der Lohstraße ausfindig gemacht und Kontakt mit der Stadt aufgenommen. Wir bekamen die Information, dass wir dort rein können, es aber sein kann, dass wir jederzeit wieder raus müssen, weil der Komplex abgerissen werden soll.
1998 haben wir dann unsere erste Ausgabestelle in der Lohstraße eröffnet. Als wir dort eingezogen sind, hatten wir noch kein Geld. Da hat mal die eine oder die andere die Miete bezahlt. Über eine größere Spende haben wir dann für ein komplettes Jahr die Miete bezahlt bekommen. Das war eine Riesen-Unterstützung. Dann sind wir Stück für Stück gewachsen, verbunden mit meiner hauptamtlichen Anstellung, weil das ein Fulltime-Job ist. So konnten wir die Tafel auf sichere Füße stellen. Und so feiern wir im kommenden Jahr unser 20-jähriges Jubiläum.
Sind Sie zufrieden, wie sich die Chemnitzer Tafel etabliert hat und wie die Chemnitzer die Tafel sehen?
Christiane Fiedler: Also ich denke schon. Wir sind ja sehr bemüht, dass wir ein positives Bild in der Öffentlichkeit abgeben. Davon leben wir auch! Ein Spender gibt uns ja auch nur seine Dinge ab, wenn er uns vertraut. Wir haben wirklich viele Menschen, die uns regelmäßig auch kleinere Beträge spenden.
Kann man sagen, dass der Chemnitzer besonders spendabel ist?
Diese Frage ist wirklich nicht ganz einfach zu beantworten, da mir die Vergleiche fehlen. Wenn ich da an meine, leider inzwischen auch verstorbene, gute Kollegin aus Hamburg denke, die mir immer eine gute Lehrmutter war: Sie hat sich manchmal in Hamburg mit einem Hut ins Theater gestellt und dort Spenden eingesammelt. Da hat sie am Abend zwischen 7000 und 8000 Euro bekommen. Dabei ist allerdings auch zu bedenken, dass Hamburg nicht nur eine viel größere, sondern auch eine sehr viel wohlhabendere Stadt ist. Auf eine solche Resonanz in Chemnitz zu hoffen, wäre deshalb ein bisschen vermessen. Rückblickend muss ich aber sagen, dass es in unserer Stadt sehr, sehr viel treue Unterstützer der Tafel gibt, auf die wir auch in schwierigen Zeiten bauen konnten. Ich bin zuversichtlich, dass der Tafel auch in Zukunft diese wertvolle Unterstützung zuteilwird.
Haben Sie Wünsche für das 20-jährige Jubiläum im nächsten Jahr?
Ich würde mir wünschen, dass wir guten Nachwuchs finden. Wir sind ja auch 20 Jahre älter geworden und es muss über Kurz oder Lang eine Generation nach uns kommen, die die Arbeit der Tafel weiter machen. Dann wünsche ich mir natürlich, dass wir finanziell abgesichert sind. Tafelarbeit kann man eben nicht nur als Ehrenamtsarbeit ansehen. Denn auch Ehrenamt braucht ein Hauptamt, das einen unterstützt. Das würde ich mir wünschen: Dass man die wichtigsten Positionen mit hauptamtlichen Mitarbeitern besetzen kann.