Vom Segen, Weltmarktführer zu sein
Tino Petsch
Macher der Woche vom 1. September 2017
Aus zwei kleinen Büros und sechs Mitarbeitern wurde in 15 Jahren ein weltweit agierendes Unternehmen mit drei Gebäudekomplexen, über 190 Mitarbeitern und einem Jahresumsatz von 30 Millionen Euro. Als Tino Petsch vor 15 Jahren zusammen mit fünf Mitarbeitern das Unternehmen 3D-Micromac gegründet hat, ahnte er nicht, welcher Erfolg ihm mit dem Maschinenbauunternehmen, spezialisiert auf Lasermikrobearbeitung, bevorstand. Kurz vor seinem 15-jährigen Firmenjubiläum haben wir uns mit Tino Petsch unterhalten.
Vom Start-Up zum internationalen Technologieführer – wenn Sie die 15 Jahre rekapitulieren: Sind Sie überrascht, dass es so funktioniert hat oder einfach nur wahnsinnig stolz?
Tino Petsch: Als Überraschung würde ich es nicht bezeichnen. Es ist vor allem harte Arbeit und es gehören ein paar glückliche Umstände dazu. Wir wussten, dass wir gut sind. Aber dass wir uns in 15 Jahren den heutigen Stand erarbeitet haben, konnten wir so konkret am Anfang nicht sehen.
Mit den fünf Leuten, die mit mir hier gestartet sind, habe ich schon in meiner vorhergehenden Firma zusammengearbeitet. Dort haben wir damals in der Mikrotechnologie, also der Arbeit im Mikrometerbereich, eine Chance für die Zukunft gesehen, aber konnten das nicht umsetzen. Deshalb habe ich ein neues Unternehmen gegründet – 3D-Micromac. Wir sind daher kein klassisches Start-Up, das aus der Uni entstanden ist. Seit 1990 hatte ich bereits Firmen, die ich dann wieder verkauft habe. Deshalb hatte ich zu dem Zeitpunkt, als 3D-Micromac gegründet wurde, schon eine gewisse Erfahrung.
Können Sie kurz beschreiben, was sie tun?
3D-Micromac entwickelt innovative Maschinen zur Laser-Mikrobearbeitung, zum Beispiel für die Medizin- oder Solartechnik und die Optikindustrie. In der Medizintechnik werden mit unseren Maschinen Ohr-Implantate bearbeitet, die in den Schädel implantiert werden und gehörlosen Menschen ermöglichen, wieder zu hören. Andere Kunden stellen mit unseren Maschinen Hornhautimplantate für menschliche Augen her. Damit lassen sich Sehfehler korrigieren. Wir haben gemeinsam mit unserem Partner die Technologie zur Herstellung der Implantate entwickelt. Unser Partner kümmert sich um die medizinische Zulassung und übernimmt den Vertrieb der Lasersysteme.
Wer sind Ihre Kunden?
Bei den Herstellern von Kontaktlinsen und Brillengläsern gehören weltweit 80 Prozent aller Firmen zu unseren Kunden. Das sind zum Beispiel Unternehmen wie Zeiss und Rodenstock. Im Bereich der Solarindustrie, der Halbleiterfertigung und der Medizintechnik gehören die großen Global-Player mit Fertigungsstätten von Nordamerika über Europa bis nach Asien zu unseren Kunden.
Weltmarktführer in Zukunftsbranchen – ein Fluch oder Segen für Sie?
Ich betrachte es eher als Segen, weil sich immer wieder neue Märkte eröffnen. Der Konkurrenzkampf mit China, die Maschinen zu unserem Herstellerpreis verkaufen, ist da. Aber wir entwickeln immer wieder etwas Neues. Wenn sie uns kopiert haben, bringen wir eine Maschine mit dem doppelten Durchsatz auf den Markt. Das ist der Mehrwert, den wir hier in Europa bieten: neue Technologien in einer kürzeren Zeit.
Sind Kunden überrascht, dass 3D-Micromac in Chemnitz sitzt?
Jein. Unserem Kundenstamm ist egal, wo genau sich das Unternehmen in Deutschland befindet. In China kennt Chemnitz keiner, vielleicht noch Berlin, Heidelberg und München. Da reicht es, wenn man denen sagt, dass Chemnitz zwischen Berlin und München liegt. In Japan ist es so: Dass Chemnitz bei Dresden liegt, damit können sie nichts anfangen. Aber wenn man Meißen erwähnt, ist das bekannt. Das ist für Japaner eine Kultstätte, vor der sie eine hohe Achtung haben.
Welches Bild haben Ihre Gäste, die Sie besuchen, von der Stadt?
Das Bild unserer Gäste von Chemnitz ist positiv. Eine Stadt mit dieser Größe und den zahlreichen Angeboten überrascht. Die US-Amerikaner bezeichnen eine Altstadt als solche, wenn sie 20, 30 Jahre alt ist. Bei uns sehen sie einfach viel mehr Geschichte.
Wir wollen und müssen uns nicht mit anderen Städten vergleichen. Wir sind eine Industriestadt und haben hier tolle Erfindungen gemacht. Das zeige ich meinen Gästen auch immer: Dampflokgeschichte, Textilmaschinenbau und Automobilindustrie. Das, was wir hier haben, können wir nach draußen durchaus verkaufen. Da brauchen wir uns nicht zu verstecken.
Es ist bedauerlich, dass solche Global-Player wie Sie in der Fachwelt viel bekannter sind als zu Hause. Kann man das ändern?
Ich denke, das muss man ändern, weil unsere Stadt von kleinen, mittelständischen Unternehmen lebt. Die vielen verschiedene Industrien und Gewerke machen die Stadt aus.
Internationale Marken wie SIEMENS oder VW kennt hier jeder. Die kommunizieren aber auch mit dem Endverbraucher, mit der breiten Bevölkerung. Wenn wir in der Stadt Werbung machen – wem sollen wir hier etwas verkaufen? Wir finden ja kaum Kunden in Deutschland oder Europa, geschweige denn, dass hier jemand in Chemnitz etwas mit uns anfangen kann. Das ist auch der Grund, warum es so viele Hidden Champions (Anmerk. d. Red. kleine Firmen, die international erfolgreich sind, die aber relativ unbekannt sind) gibt. Das hängt einfach damit zusammen, dass das Angebot sehr speziell und für die breite Masse in vielen Fällen nicht von Interesse ist.
Tino Petsch: Wir versuchen, trotzdem hier auf uns aufmerksam zu machen. Weniger um Kunden zu finden, sondern um neue Mitarbeiter zu gewinnen. Beispielsweise öffnen wir zum vierten Mal im Rahmen der Tage der Industriekultur am 22. September 2017 unsere Türen und bieten Führungen durch unsere Produktion an.
Wie stellen Sie sich konkret dem Problem Fachkräftemangel?
Das ist tatsächlich ein Thema. Die Bewerber werden immer anspruchsvoller. Ich glaube nicht, dass es vordergründig am Gehalt liegt. Ich denke, das Gesamtpaket muss stimmen. Dazu gehören: flexible Arbeitszeiten, der Spaßfaktor, kreativer Spielraum für die Mitarbeiter und das Selbstverwirklichen im Unternehmen.
Bei 3D-Micromac haben wir eine offene Unternehmenskultur, wir alle duzen uns. Unserer Meinung nach, hat das Chefsein nicht vordergründig etwas mit Hierarchie oder dem Siezen zu tun. Eine Leitungsfunktion lebt vor allem von Kompetenz und Erfahrung. Mit einem Altersdurchschnitt von 35 Jahren sind wir für den klassischen Maschinenbau sehr jung. In dieser Branche sprechen wir normalerweise deutschlandweit von einem Altersdurchschnitt von 45 Jahren. Wenn man allerdings die Start-Ups sieht, die frisch von der Uni kommen, dann sind die Mitarbeiter im Schnitt 25 Jahre alt.
3D-Micromac bezog 2009 eines der ersten Gebäude auf dem neu errichteten Technologie-Campus, auch SmartSystem-Campus bezeichnet, in unmittelbarer Nähe zur TU. Auf dem 4,5 Hektar großen und großzügig angelegten Technologiepark gehören inzwischen drei Standorte zum Unternehmen. Er verbindet auf kurzen, direkten Wegen Forschungseinrichtungen, Firmen und Start-Ups. „Die Nähe zur Uni und zu Fraunhofer ist toll“, erklärt Tino Petsch den Umzug 2009 vom früheren Standort im Technologie Centrum Chemnitz (TCC) auf der Annaberger Straße zum Campus. 2003 wurde das Konzept entworfen. „Die Idee, an einer Stelle um die Universität alles zusammenzubringen, ist super. Die TU Chemnitz, die für die Grundlagen verantwortlich ist, die Fraunhofer Institute für die angewandte Forschung und die Unternehmen für den Transfer in die Industrie bzw. Forschung. Das hat uns gut gefallen. Mittlerweile haben wir neben den drei Standorten die Option auf ein viertes Grundstück, so dass wir genügend Expansionsraum haben.“
Welchen Rat haben Sie für die ganzen Start-Ups, die sich aktuell gründen bzw. gegründet haben?
Ich finde es wichtig, möglichst lange eine große Unabhängigkeit zu behalten. Dann hat man die größtmögliche Chance, eine eigene Vision umzusetzen. Das Wachstum ist vielleicht nicht ganz so groß, aber man kann viel mehr bestimmen. Ich glaube, wenn du früh mit Investoren zusammenarbeitest, wirst du am Ende nur noch fünf oder zehn Prozent deiner eigenen Firma besitzen. Dann sagen dir andere Leute, wo es langgeht. Ich glaube, da hat man weniger Spaß, weil man sich nicht mehr verwirklichen kann.
Haben Sie jemals an einen Börsengang gedacht?
Sicher haben wir mal darüber nachgedacht, aber das ist für uns keine Option. Heute muss man einen Umsatz in einer Größenordnung von 200 Millionen Euro haben, um dort eine halbwegs vernünftige Position zu bekommen. Wir wollen ja kein Spielball für irgendwelche Zocker sein.
Soziales Engagement – Förderung von Kindergärten und Sportvereinen. Woher kommt dieses Bekenntnis zu Chemnitz?
Ich glaube, dass man etwas zurückgeben muss, wenn man etwas bekommt und damit Erfolg hat. Da fühlt man sich sozial verpflichtet, sowohl gegenüber der Region des Unternehmenssitzes als auch in die Regionen, in die man Geschäftsbeziehungen hat. Als der Tsunami in Japan war, haben wir spontan unter den Angestellten entschieden zu spenden. Einige mit Geldbeträgen, andere mit Überstunden, die dann in einen Geldbetrag umgewandelt wurden. Das Geld, das bei den Angestellten zusammen kam, hat 3D-Micromac verdoppelt. Diesen Betrag haben wir direkt zu unserem Vertreter nach Japan geschickt, der vor Ort helfen konnte.
Sponsoring für den Sport in Chemnitz bedeutet für uns weniger, dass wir einen kommerziellen Vorteil erwarten. Wir unterstützen häufig Vereine, bei denen Kinder unserer Mitarbeiter sind oder ein Mitarbeiter Trainer ist. Wir fördern lieber viele kleine Sachen, als alles auf eine Karte zu setzen.
Bei der Unterstützung für Kindergärten wollten wir einen anderen Weg gehen. Alle Sponsoren und Nachwuchsförderungen stürzen sich auf die Schüler und Studenten. Da haben wir gesagt, das kann jeder, wir lassen uns etwas Neues einfallen. Wir fangen ganz früh an und führen die Kinder an Technik heran und begeistern sie für Mikro.
2012 wurden Sie „Sachsens Unternehmer des Jahres“ und mit der Trophäe „Die Träumende“ ausgezeichnet. Was bedeutet Ihnen diese Auszeichnung?
Schon eine ganze Menge. Es gibt eine sehr geringe Anzahl an Preisträgern. Das ist eine Anerkennung für das, was wir mit dem Unternehmen geschafft haben und noch erreichen werden. Dass wir innovativ sind, technologieführend, weltoffen, dass wir auch andere Wege gehen und etwas Neues ausprobieren.
Wo sehen Sie Ihr Unternehmen und die Stadt 2025?
3D-Micromac wird es mit Sicherheit noch geben. Wir werden weiterhin unseren Informations- und Entwicklungsstandort in Chemnitz haben und innovative Produkte herstellen. Die Aktivitäten im Ausland nehmen sicherlich zu. Unseren Umsatz könnten wir vielleicht wieder verdoppeln oder können sogar schon einen dreistelligen Millionenumsatz erzielen. Da wollen wir hin – Global Player und weiterhin Technologie- sowie Marktführer in unseren Zielmärkten sein.
Wo sehen wir unsere Stadt? Ich glaube nicht, dass sich der Altersdurchschnitt so dramatisch ändern wird, wie es die Statistik voraussagt. Wir werden an der Uni eine ganze Menge Studenten haben, die den Durchschnitt kräftig drücken. Zudem spricht die vorhandene Infrastruktur dagegen. Wir haben zahlreiche Unternehmen in der Stadt. Die benötigen Mitarbeiter. Die Mitarbeiter kommen mittlerweile aus deutlich größeren Entfernungen nach Chemnitz. Das zeigt, dass die Stadt und ihre Unternehmen attraktiv sind.