Besondere Klänge aus luftiger Höhe

Franzpeter Uhlig, Cornelia Blaudeck & Sebastian Liebold

Macher der Woche vom 8. Dezember 2017

Klänge, die von oben kommen. Doch wer die Melodien spielt, ist den wenigsten bekannt. „Leute schauen zwar, aber sie wissen nicht, was das eigentlich ist“, erzählt Franzpeter Uhlig, einer der drei Musiker, die für die Töne vom Turm des Neuen Rathauses verantwortlich sind. Zusammen mit Cornelia Blaudeck und Sebastian Liebold spielt er hoch oben, genau genommen 60 Meter über dem Markt, das Carillon – ein Glockenspiel.


Im kommenden Jahr feiert das Chemnitzer Carillon seinen 40. Geburtstag. Und trotzdem ist es nicht so bekannt. Warum?
Sebastian Liebold:
Vom Markt aus fällt es einfach nicht auf. Die meisten Leute kennen nur das Figürliche Glockenspiel im Alten Rathaus, weil man davor stehen kann und die Figuren sieht. Dass es in dem Neuen Turm auch etwas gibt, ist den meisten gar nicht – auch räumlich – klarzumachen. Mit der Zeit kann man den Leuten erklären, dass das Figürliche Glockenspiel kleinere, hellere Glocken hat. Das Carillon hat, ganz grob gesagt, tiefere rundere Glockenklänge.
Cornelia Blaudeck: Dass das Carillon mechanisch gespielt wird, überrascht viele. Die Leute denken, es ist ein automatisches Glockenspiel.

Wie genau funktioniert das Instrument?
Franzpeter Uhlig:
Wir haben oben im Turm zwei Etagen. Unten den Spieltisch, oben die Glocken. Am Spieltisch sind Tasten angeordnet, ähnlich wie beim Klavier. Nur die Dimensionen sind ein wenig größer. Man drückt also diese so genannte Stocktaste und dahinter ist ein Metallgelenk mit einem Draht. Dieser geht nach oben in die zweite Etage. Dort sind kleine Umlenkhebel. Von diesen geht wieder ein Draht zu einem Klöppel, der sich in einer Glocke befindet. Wenn man also eine bestimmte Taste unten betätigt, schlägt der dazugehörige Klöppel gegen die Glocke und ein Ton erklingt. Zusätzlich zu den Tasten gibt es am Spieltisch noch Pedale, die ebenfalls Glocken ertönen lassen können.

Insgesamt 48 Glocken hängen in Höhe der Turmuhr des Neuen Rathauses. Die kleinste hat einen Durchmesser von 12 cm und wiegt 9,5 Kilogramm, die größte einen Durchmesser von 1,12 Meter und ein Gewicht von 957 Kilogramm. Alle zusammen bringen 5,2 Tonnen auf die Waage. Eine kaum vorstellbare Größe. „Erst sollte das Glockenspiel ins Alte Rathaus“, weiß Franzpeter Uhlig. „Doch es war einfach zu schwer.“ Sogar der Rote Turm war als Standort im Gespräch. 1968 begann das Unternehmen Schilling aus Apolda den Guss der Karl-Marx-Städter Glocken. Neun Jahre später war die letzte fertig.

Das Instrument stammt eigentlich aus dem französisch-belgischen-holländischen Raum. Wie kam es nach Deutschland?
Franzpeter Uhlig:
Seinen Ursprung hat es tatsächlich im Benelux-Bereich. Dort hat es einen großen Stellenwert – größer als in Deutschland. Da arbeiten auch Berufs-Carillonneure. Man kann es richtig studieren. Es ist dann wahrscheinlich im Laufe der Jahrhunderte über die Grenze gewandet. Das Unternehmen Schilling aus Apolda hat das Glockenspiel dann im großen Stil in der ehemaligen DDR vorangetrieben und auch unseres installiert.

Deutschland besitzt etwa 50 Carillons. Ist das Instrument vom Aussterben bedroht?
Franzpeter Uhlig:
Nein, im Gegenteil. Ich bin Mitglied im Deutschen Glockenspielverein, und in den vergangenen Jahren sind neue Carillons entstanden bzw. wurden saniert. Beispielsweise in München, in Herrenberg, Baden-Württemberg, in Geisa, Thüringen, und in Weilbach, Bayern. Die Parochialkirche in Berlin hat 2016 ein neues bekommen. Die Altersstruktur meiner Kollegen ist breit gefächert. Von jung bis älter. Deshalb denke ich nicht, dass es vom Aussterben bedroht ist.

In Chemnitz bzw. in Karl-Marx-Stadt ist es Peter Franz zu verdanken, dass das Carillon gespielt wurde. Er studierte Klavier und Klarinette, erlernte früh das Orgelspiel und spielte seit Anfang der 80er Jahre vom Turm des Neuen Rathauses. Ab 2003 unterrichtete er junge Spieler, die sein musikalisches Erbe fortsetzen sollten. Am 24. August 2015 verstarb er im Alter von 90 Jahren. Am Ende waren seine Schritte zum Turm beschwerlicher, aber man merkte, wie „er beim Spielen regelrecht jünger wurde. Dann fing er an zu swingen“, beschreibt Sebastian Liebold den Lehrmeister. „Er spielte auch Jazz-Titel auf dem Carillon. Das war schon lustig. Wir haben dank ihm musikalisch noch viel gelernt.“

Wie sind Sie zu diesem Instrument gekommen?
Franzpeter Uhlig:
Meine Geschichte begann im Januar 2003. Aus finanziellen Gründen sollte das Carillon aufgegeben werden. Es gab einen Aufschrei in der Bevölkerung, dass das nicht sein darf. Dank Sponsoren  ging es dann weiter und die Musikschule suchte einen Schüler, den Herr Franz ausbildet und der ihn dann unterstützt. Als Klavierschüler der Musikschule habe ich den damaligen Direktor gefragt, ob ich das machen kann. Am 26. April durfte ich das erste Mal mit auf den Turm. Zum damaligen Zeitpunkt habe ich noch nichts über das Instrument gewusst, fand es aber beim Anblick sehr interessant. Von da an bin ich jede Woche mit Peter Franz dort hoch.
Sebastian Liebold: Cornelia und ich sind 2007 dazugekommen. Ähnlich wie bei Franzpeter hat uns Herr Franz mal mit auf den Turm genommen.  Ich kam mir vor wie ein Lehrling. Ich saß neben ihm, er hat nichts weiter gesagt, nur gespielt und wollte lediglich wissen, ob man sich in das Instrument hineinfindet. Er erwartete auch, dass man zuschaut, zuhört und sich ein Bild macht.
Cornelia Blaudeck: Peter Franz war es wichtig, dass man nicht nur wie im Schulliederbuch die Stücke spielt.  Nicht nur Tonika, Dominante, Subdominante – die einfachsten Harmonien verwendet, sondern ein paar Zwischentöne, Septimen oder verminderte Akkorde, einbaut. Er hatte musikalische Raffinessen parat.
Sebastian Liebold: Da haben wir jetzt einen richtigen Spaß dran. Die Übergänge zwischen den Liedern – das ist die hohe Kunst. Beispielsweise im Herbst nicht nur das Lied „Bunt sind schon wieder Wälder“ spielen und danach „Schwarze Rose Rosemarie“, sondern einen interessanten Übergang dazwischen einbauen.

Sie machen das alle ehrenamtlich?
Franzpeter Uhlig:
Ja genau – es gibt nur eine kleine Aufwandsentschädigung. Wir gehen alle einem „normalen“ Beruf nach. Sebastian ist Politikwissenschaftler und Zeithistoriker, Cornelia und ich sind Musiklehrer.

Wie stehen die Chemnitzer zum Carillon. Bekommt man eigentlich während des Spiels Reaktionen vom Markt mit?
Cornelia Blaudeck:
Man selber sieht es nicht. Aber wenn jemand mit oben auf dem Turm ist, kann der einem die Situation unten auf dem Markt schon beschreiben. Vor allem ältere Leute, die die Lieder wiedererkennen, bleiben stehen.
Sebastian Liebold: Zwei Lieder, die immer gut ankommen – eines aus der Region, eines aus der Theaterwelt: „Wu de Wälder haamlich rauschen“ – sowohl Alt und Jung lauschen dabei, auch bei Herrn Franz‘ Bravourstück aus dem DDR-Musical „Der Goldene Pavillon“. Vor allem Ältere erinnern sich dabei an fulminante Tanzabende… Peter Franz‘ Idee war, dass wir nicht nur schwere Klassik spielen, sondern Melodien, die die Leute beim Einkauf auf dem Markt wiedererkennen. Zum Lutherjahr passte dieses Jahr „Ein feste Burg ist unser Gott“.
Franzpeter Uhlig: Mit einem modernen Stück, dem Lied aus Titanic „My Heart will go on“ hatte ich auch so einen Fall. Das wurde erkannt.

Dreimal pro Woche erklingt das Glockenspiel auf dem Markt. „In Chemnitz haben wir den Vorzug, Mittwochvormittag, Freitagnachmittag und Samstagvormittag spielen zu dürfen. Das ist richtig gut. Andere Glockenspiele haben teilweise nur einmal monatlich Spielzeiten“, erzählt Sebastian Liebold. Die Termine sind Monate vorher geplant, damit ja keiner ausfällt. „Es gibt wirklich Carillons, die spielen nur zu besonderen Anlässen. Und wir haben uns diesen Vorzug erarbeitet, dass wir mehrmals die Woche spielen. Das ist eine herausragende Geschichte für unsere Stadt“, so Franzpeter Uhlig.

Ist jemals ein Termin ausgefallen?
Franzpeter Uhlig:
Es gab Termine, die konnten wir einfach nicht besetzen. Aber im Normalfall spielt einer von uns.

Sind Sie auf der Suche nach Nachwuchsmusikern?
Cornelia Blaudeck:
Derzeit ist die Situation nicht akut. Ich nehme immer mal Schüler mit. Da wird schon Interesse geweckt. Man muss ein gewisses musikalisches Verständnis mitbringen.
Sebastian Liebold: Und dann darf man es nicht unterschätzen, dass es eine Bindung über Jahre ist. Man sollte Freude daran haben.

Wie viel Carillonneure gibt es in Deutschland?
Franzpeter Uhlig:
Ich glaube wir haben im Carillonverein ca. 70 Mitglieder, davon vielleicht 60 Aktive.

Wenn man die etwa 50 Carillons in Deutschland bedenkt, hat Chemnitz mit drei Spielern einen Luxus.
Franzpeter Uhlig:
Das ist ein gewisser Luxus. In Deutschland gibt es Carillonneure, die für mehrere Instrumente verantwortlich sind.

Nächstes Jahr haben Sie sich für die 875 Jahr-Feier der Stadt etwas mit dem Carillon vorgenommen. Was genau?
Franzpeter Uhlig:
Nach der Pause im Januar/Februar steht am 1. März das Eröffnungskonzert an. Im April gibt es ein kleines Frühjahrskonzert und am 10. Mai – dem offiziellen 40. Geburtstag des Carillons – das Geburtstagskonzert. Am 20. Oktober wird es das Treffen der deutschen Glockenspielvereinigung in Chemnitz geben und eine Woche später das Herbstkonzert.
Cornelia Blaudeck: Ich habe mit Schülern in der Projektwoche eine Postkartenaktion über das Carillon vor. Die wird in der Woche nach den Winterferien fertig sein.
Sebastian Liebold: An den Tagen nach dem 10. Mai wollen wir einem Geheimnis rund um das Carillon nachgehen und den Zuhörern erklären, was es mit dem „Klingenden Rathaus“ auf sich hat. Ein bisschen Spannung darf sein.

Wo sehen Sie das Carillonspiel und die Stadt Chemnitz 2025?
Cornelia Blaudeck:
Vielleicht können wir ein tolles Chemnitzlied komponieren und auf dem Carillon spielen.
Franzpeter Uhlig: Das hatte ich auch im Sinn – eine schöne Chemnitzhymne gestalten, die man auch woanders aufführen kann. Und was noch schön wäre für das Carillon: Dass mehr Leute darauf aufmerksam werden und mit Stolz darüber erzählen. Das wäre ein schönes Ziel, das wir bis dahin erreichen könnten. Es ist ja auch ein schönes Stückchen Kultur, das wir seit fast 40 Jahren in Chemnitz haben.
Sebastian Liebold: Ich denke auch, dass das bunte Programm, wenn es so weiter läuft, durchaus für die Wochentage und den Samstag immer eine Attraktion für das Publikum ist und wir sehr zufrieden sein können. Übrigens werde ich am 10. Mai 2018 ein Stück spielen, dass das Zeug zu einem guten Chemnitzlied hat – aus einer bekannten erzgebirgischen „Bergreihe“.

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