Chemiker mit Leib und Seele
Prof. Dr. Heinrich Lang
Macher der Woche vom 19. Mai 2017
Prof. Dr. Heinrich Lang ist Chemiker aus Leidenschaft. Der Professor für Anorganische Chemie an der TU Chemnitz hat in seinem Beruf seine Berufung gefunden. Sein Engagement geht weit über das normale Pensum hinaus. Mit aufsehenerregenden Experimenten begeistert er Jung und Alt für die Naturwissenschaft Chemie, die sich mit der Beschaffenheit, den Eigenschaften und der Veränderung von Stoffen beschäftigt.
Man denkt, Chemie ist doch eher trocken. Sie versuchen das Thema spektakulär und greifbar zu machen? Warum und woher kommt Ihr Engagement für die Chemie?
Prof. Dr. Heinrich Lang: Hier muss ich widersprechen. Warum lebt man für die Naturwissenschaft Chemie? Weil Chemie einfach begeistert. Chemie ist eine wunderschöne Wissenschaft und überhaupt nicht langweilig.
Wenn ich ein bisschen ausholen darf: Vor etwas mehr als zehn Jahren haben wir das schulübergreifende Projekt "REAGI" zwischen der TU Chemnitz, einigen Gymnasien und Grundschulen sowie städtischen Kindertagesstätten der Stadt Chemnitz ins Leben gerufen. Schülern und Kindern wird spielend die Naturwissenschaft näher gebracht. Nicht durch uns Professoren, sondern durch Gymnasiasten und Studierende – natürlich mit Hilfe von Lehrern und auch Dozenten der TU.
Durch den geringen Altersunterschied zu den Gymnasiasten bzw. Studierenden nehmen die Kinder den Lehrstoff besser an, als wenn ein Lehrer oder ein Professor vor ihnen steht und Frontalunterricht macht. Es wird dabei Wert auf Experimente zum Selbermachen gelegt, so dass die Kinder Spaß daran haben. Das fruchtet und ist sehr erfolgreich. Es führt dazu, dass die Kinder selbst experimentieren und beispielsweise bei ‚Schüler experimentieren‘ und ,Jugend forscht‘ mitmachen. Aber das Wichtigste: Die Kinder sind mit Begeisterung dabei. Und wenn man das mitbekommt, wie die jungen Leute Begeisterung für komplexe Naturwissenschaften entwickeln, dann ist das der Lohn für das eigene Engagement. Die Begeisterung überträgt sich dann auf uns ‚Alte‘ (lacht).
Unter dem Motto: Chemie trifft Kochkunst haben Sie vor Publikum molekulares Kochen veranstaltet. Wie kommt man auf solche Ideen?
Was ist Chemie? Das ist ,Kochen‘, wenn man präparativ arbeitet. Und ein Chemiker kocht halt gern – im herkömmlichen Sinne. Dann kommen solche Dinge zustande. Angefangen haben wir auf einem der ersten Uni-Bälle. Die Resonanz war super. Deshalb machen wir damit weiter.
Sie haben dazu auch ein Kochbuch herausgegeben?
Ja, klar. Wenn man schon einmal die Versuche hat, dann sollte man diese auch zu Papier bringen. Das Buch umfasst neben kulinarischen Köstlichkeiten zubereitet bei tiefen Temperaturen mit unvergesslichen Geschmackserlebnissen auch einfache chemische Experimente zum Nachmachen. Es wurde zudem auf Getränke, insbesondere auf alkoholische und nichtalkoholische Cocktails ausgeweitet.
Wir haben auch im vergangenen Jahr das erste TU-Bier gebraut. Das kam gut an und hat sehr gut geschmeckt.
Derzeit schreibe ich an meinem ersten Chemie-basierenden Erzgebirgskrimi. Da lässt sich die Naturwissenschaft Chemie sehr schön mit Verbrechergeschichten paaren.
Auch Ihre alljährlichen Chemie-Weihnachtsvorlesungen sind legendär. Dort stehen Sie auch mal als „Räuchermännchen“ aus dem Erzgebirge vor dem Publikum oder eine Rakete fliegt durch den Saal.
Das ist eine Tradition, die man einfach weiterleben lassen muss. Mit den Weihnachtsvorlesungen versuchen wir, nicht nur den Studierenden, sondern auch uns, den Spaßfaktor vor Augen zu führen. Hier können wir uns austoben und das machen, was uns so richtig Freude bereitet. Man wird wieder zum Kind. Die Weihnachtsvorlesung gab es schon vor dem Beginn meines Engagements an der TU Chemnitz. Ich habe diese 1998/1999 dann fortgeführt. Die Weihnachtsvorlesung in der Chemie ist keine TU Chemnitz spezifische Veranstaltung. Die wird auch an anderen Unis angeboten. Unvergesslich sind auch unsere ,Open-Air‘-Veranstaltungen auf dem Chemnitzer Markplatz, im Sächsischen Industriemuseum und der Walpurgisnacht in Thüringen.
Sie zeigen in einer Veranstaltung über 40 Experimente. Wie entstehen diese?
Was wir an der TU Chemnitz eingeführt haben, ist etwas Besonderes, weil es das nicht an jeder Universität gibt: Wir haben hier Experimentalvorlesungen zum gesamten Periodensystem der Elemente. Diese werden im zweiten und dritten Semester angeboten. Zu einzelnen Elementen kann man sehr schöne Experimente zeigen. Dadurch haben wir natürlich einen reichhaltigen Fundus. Außerdem recherchieren wir und wenn einer von uns einen interessanten Versuch irgendwo sieht, probieren wir den bei uns aus.
Gibt es Besucher/Schüler, die Ihre Experimente besuchten und sich dann für ein Studium der Chemie entschieden haben?
Das ist schon passiert und macht natürlich ein bisschen stolz.
Andere Menschen für Chemie zu begeistern, fällt Heinrich Lang nicht schwer. Dabei kam er auch über Umwege zur Naturwissenschaft. „Mein erster Studienwunsch war nicht verfügbar, so dass ich bei Chemie landete und dort promovierte.“ Der heute 61-Jährige widerstand dem Lockruf der Industrie und habilitierte 1992 in Heidelberg. Seit 21 Jahren hat er die Heimat am Bodensee mit dem Zuhause in Chemnitz getauscht.
Was hat Sie nach Chemnitz verschlagen?
Wir sind froh, dass wir nach Chemnitz gekommen sind und gern hier. Vor zwanzig Jahren, und auch dazwischen, hatte ich noch weitere Angebote und es ist immer schwer, abzuwägen. Die anderen Angebote kamen irgendwo aus dem Westen und dann war schnell klar, dass es Chemnitz wird und bleibt. Warum? Weil die TUC eine super ausgestattete Universität ist mit einem großartigen Gerätepool und was dazu kommt: wir haben erstklassige Wissenschaftler. Außerdem hat man das Potential der Stadt Chemnitz gesehen und die ,offenen‘ Leute. Das war für uns ausschlaggebend. Dazu kommt das vor der Tür liegende Erzgebirge und die sächsische Schweiz. Als ski- und kletterbegeisterter Mensch einfach super.
Im vergangenen Jahr führte die TU Chemnitz in Kooperation mit der University of Jordan die erste „NANO-Tech“-Sommerschule durch. Masterstudierende und Doktoranden aus Jordanien sowie aus Chemnitz nahmen an einem einwöchigen Kursprogramm an der TU und anschließend im jordanischen Amman teil „Nanotechnologie ist heutzutage ein Inbegriff. Wir wollten dazu beitragen, jungen Leuten die Nanotechnologie nahe zu bringen. Nanotechnologie ist in aller Munde, aber kaum jemand weiß, was man darunter versteht“, erklärt Heinrich Lang die Intention, die dahinter steckt. „Der Generalsekretär der Vereinigung der Arabischen Universitäten ist ein sehr guter Freund von mir und zusammen stoßen wir solche Projekte an, um u. a. den Begriff Nanotechnologie in die arabische Welt zu transportieren.“ Derzeit bereiten wir eine Sommerschule zum Thema „Nachhaltige Wasserwirtschaft“ vor, zusammen mit jordanischen und kasachischen Universitäten.
Das intensiviert doch auch die Zusammenarbeit der TU Chemnitz mit der arabischen Welt?
Es war schon immer so, dass zwischen der arabischen Welt und der TU Chemnitz, früher Technische Hochschule, intensive Kontakte bestehen – schon zu DDR-Zeiten. Gerade aus dem Irak, Syrien, Libyen, etc. kamen Studierende nach Chemnitz. Das ist nach der Wende ein wenig weggebrochen. Das haben wir durch den Kontakt wieder aufleben lassen. Wir befruchten uns auch gegenseitig durch gemeinsame Tagungen und Forschungsarbeiten, etc.
Zum Beispiel haben in meiner Arbeitsgruppe ca. zehn Doktoranden aus Jordanien, Irak und Tunesien promoviert. Sieben davon sind jetzt Professoren in Jordanien. Insofern haben wir schon immer enge Kontakte. Wir haben auch Austauschprofessoren, Kurzzeitaufenthalte von Professoren und Nachwuchswissenschaftlern von drei bis vier Monaten pro Jahr an der Professur. In der Zeit machen sie hier ihre wissenschaftlichen Arbeiten. Um zum ,Vollprofessor‘ aufzusteigen, müssen sie eine gewisse Anzahl an Publikationen aufweisen. Die werden dann in Chemnitz gemacht, weil die Infrastruktur einfach gut ist.
Hat die Chemie an der TU Chemnitz international einen guten Ruf?
Ja. Wir genießen einen guten Ruf nicht nur national, sondern auch international. Für die Themenbereiche, die wir bearbeiten, auch institutsübergreifend, sind wir bekannt. Es gibt immer wieder Leute, die möchten aufgrund unserer wissenschaftlichen Expertise hierher kommen. Aktuell haben wir Anfragen im Bereich der Nanotechnologie vorliegen. Auf diesem Gebiet haben wir uns in den vergangenen Jahren weltweit einen Namen gemacht. Wir bekommen auch Anfragen im Bereich des Elektronentransfers. In der Spektroelektrochemie (Anmerk d. Red.: Transport von Elektronen in Molekülen) gehören wir weltweit zu den führenden Arbeitsgruppen.
2008 haben Wissenschaftler um Professor Lang eine neue Molekülklasse geschaffen, indem sie sieben verschiedene Übergangsmetallatome über kohlenstoffreiche Pi-konjugierte Brückenliganden miteinander verknüpften. Eine Verbindung, die weltweit Beachtung fand. Für den Laien eine sehr theoretische Angelegenheit. Angesprochen auf die neue Erstellung gerät Heinrich Lang förmlich ins Schwärmen: „Was ist so schön dran? Einfach die Ästhetik. Der Chemiker freut sich, weil sieben unterschiedliche Metallatome mit verschiedenen Eigenschaften in einem Molekül sind. Das hat man bisher nicht geschafft. Das ist pure Grundlagenforschung, und vor allem etwas fürs Auge. Wenn es um die Anwendung geht, dann kann man damit nichts anfangen.“ Bei einer Rezession einer Veröffentlichung wurde über die Verbindung geschrieben: „Spaß-Chemie, die kluge Anwendungen des gesamten Handwerkzeugs der anorganischen und organischen Chemie enthält.“ „Das ist doch ein schönes Lob“, meint Professor Lang.
Man muss schon um jeden Studierenden kämpfen, der sich für die Chemie entschieden hat, oder?
Dies ist ein bundesweiter Trend, dass man um Studierende kämpfen muss. Nicht nur in Chemnitz oder Sachsen. Die jungen Leute müssen begeistert werden für die Laborarbeit, für Neues und dazu tragen wir z. B. mit REAGI und den öffentlichen Experimentalvorlesungen bei. Was gibt es Schöneres als zu hinterfragen: Warum, Weshalb, Wieso? Dies macht eine Wissenschaft doch erst recht zur Wissenschaft.
Bleiben Studenten nach ihrem Abschluss auch öfter als wissenschaftliche Mitarbeiter bei Ihnen?
Ja, Gott sei Dank, muss ich sagen. Weil das Knowhow auch an die jüngere Generation weitergegeben werden muss. Wenn die Leute nach der Promotion gehen, ist das Knowhow weg.
Wo sehen Sie sich und das Institut 2025?
Es wird ein junges, dynamisches Institut sein, was ganz wichtig ist. Die ,älteren‘ Kollegen, zu denen ich auch gehöre, werden bis 2025 nicht mehr am Institut tätig sein. In den kommenden vier, fünf Jahren wird es beim Personal eine Neuausrichtung geben. Da unterstützen wir die jungen Leute, wo wir können.
Meiner Meinung nach ist das Institut heute schon sehr gut aufgestellt und wird sich weiter positiv wissenschaftlich positionieren. Das hat schon in mehreren Forschungsbereichen begonnen, die zukunftsträchtig sind. Was unser Institut auszeichnet: Wir sind sehr flexibel und offen für inter- und transdisziplinäre Kooperationen. Das ist die Schnittstelle in der Wissenschaft, die neue Dinge bringt. Wir werden uns u. a. aufstellen auf dem Gebiet der neuen Materialien, es wird aber auch einen Zweig geben, der in die Umwelt hineinrecht – was in heutiger Zeit ganz wichtig ist – also zum Beispiel nachwachsende Rohstoffe und Energiethemen, auch die Wasseraufbereitung wird ein Thema sein. Da kann man die innovative Nanotechnologie auch sehr schön integrieren und nachhaltig verwenden.