Die Königin der Instrumente
Josef Poldrack
Macher der Woche vom 8. September 2017
Sie kann bis zu 20 Meter hoch sein und den gesamten Frequenzbereich des menschlichen Gehörs abdecken. Seit drei Jahren ist sie bei der UNESCO als immaterielles Kulturerbe der Menschheit gelistet: Die Orgel. Schon Wolfgang Amadeus Mozart beschrieb 1777 in einem Brief an seinen Vater die Orgel als Königin aller Instrumente. Josef Poldrack hat gelernt, mit der Königin umzugehen. Eine Verkettung von Zufällen brachte ihn zum Orgel- und Harmoniumbau. Kein gewöhnlicher Beruf, aber auch kein gewöhnliches Instrument. Der Orgelbaumeister eröffnete vor fünf Jahren seine eigene, kleine Werkstatt in einem Hinterhof des Sonnenberges. Mittlerweile haben sich hier weitere Handwerker und Tüftler zusammengeschlossen und gemeinsam das erste Hoffest Phil auf die Beine gestellt. Der 33-jährige gebürtige Hallenser ist einer der Letzten seines Handwerks. Mit uns redet er über die Zukunft des Handwerks und wie das Hoffest dabei helfen kann.
Zusammen mit dem Werkstattprojekt FabLab steigt am 9. September das erste Hoffest Phil. Wie seid ihr auf die Idee gekommen?
Josef Poldrack: Wir tüfteln viel zusammen herum und da kam die Idee auf, ein paar Künstler und Macher in unseren Hof einzuladen und sich zu präsentieren. Das sollte eigentlich nur ein ganz kleines Fest werden, aber dann kam die erste Band, dann die zweite und die dritte. Dann ist es wie selbst größer geworden.
Warum der Name Hoffest Phil?
Ganz einfach: Der Hof liegt an der Philippstraße 13.
Welches Ziel verfolgt ihr mit dem Fest?
Wir wollen den Sonnenberg unterstützen und ihn beleben. Das Beisammensein und der Austausch sind sehr wichtig. Außerdem wollen wir zeigen, was es alles für Möglichkeiten in der kreativen und handwerklichen Szene gibt. Der Hof bietet auch noch Platz und Räumlichkeiten für weiteres künstlerisches Geschick. Vielleicht können wir eine Art Kulturscheune aufbauen.
Das erste Hoffest Phil ist ein Fest mit und für Freunde. An Ständen präsentieren Künstler ihre Werke. Camillo zum Beispiel stellt sein Puppentheater vor, Donna Quijote kreiert aus zum Teil recycelten Flaschen Lampen. Die Bar der Sinne stellt eigene Spirituosen und Brausen her und das FabLab öffnet seine Türen für Hobbybastler. Das Hoffest lädt zum Ausprobieren, Anschauen und sich informieren ein, alles umrahmt von guter Musik. Josef selbst steht gerne für Fragen rund um den Beruf des Orgel- und Harmoniumbauers zur Verfügung.
Wie kamst du zum Orgel- und Harmoniumbau?
Meine Eltern sind Berufsmusiker in der Staatskapelle Halle, dadurch kam ich früh in Berührung mit Musik. Als Kind habe ich selber Geige gespielt, später bin ich dann auf das Schlagzeug umgestiegen, das eher zu mir passte. Dann habe ich mich als freier Musiker durchgeschlagen, aber das reichte nicht, um davon zu leben. Ich war aber nicht nur von der Musik angetan, sondern auch vom Handwerklichen. Trommel- und Schlagzeugbau gab es leider nicht als Handwerksberuf und ich brauchte ja erst mal einen Abschluss. Ein Freund brachte mich dann auf den Beruf des Orgel- und Harmoniumbauers. Darin ist alles vereint: Handwerk, Musik, Holz, Metall, Mechanik, Kultur und Reisen.
Was ist der Unterschied im Aufbau zwischen einem Harmonium und einer Orgel?
Das Harmonium ist aus der Orgel entstanden. Die Klangerzeugung funktioniert anders. Die Orgel arbeitet mit Pfeifen, das Harmonium erzeugt Töne durch Zungen, ähnlich wie ein Akkordeon. Das Harmonium ist zudem kleiner und war die Orgel für zu Hause. Orgel- und Harmoniumbauer konnten so auch im Sommer ihrer Beschäftigung nachgehen, wenn es in den Kirchen zu kalt für Arbeiten an der Orgel war. Heutzutage ist das Interesse am Harmonium sehr gering und die Kosten der Restaurierung hoch, daher landen leider viele Harmoniums zu Niedrigpreisen bei Ebay. Das ist schade.
Wie groß ist das Interesse an diesem Handwerk und an diesen Instrumenten?
Die Leute sind auf jeden Fall immer sehr interessiert, da es ein seltener Beruf ist. Aber das Klientel, das sich mit Orgeln wirklich auseinandersetzt und braucht, ist beschränkt. Die Branche ist zurzeit schwierig. Der Neubau oder die Restauration von Orgeln wird meist über Fördermittel finanziert. Wenn die Gemeinden immer mehr schrumpfen, sind auch immer weniger Gelder für solche Projekte vorhanden. Neubauten sind daher sehr stark zurückgegangen. Eine Orgel ist auch ein Luxusinstrument und die Arbeiten daran dementsprechend kosten- und zeitintensiv.
Seit fünf Jahren hast du deine eigene Werkstatt auf dem Sonnenberg. Wie läuft das Geschäft und wer sind die Auftraggeber?
Meistens sind es Kirchen, die einen Orgelbauer benötigen. Ab und zu ist auch mal eine kleinere Kultureinrichtung dabei. Zurzeit arbeite ich in der Nähe von Halle, dort gibt es eine kleine Orgel in der Dorfkirche zu restaurieren. Ich bin auch als Subunternehmer für andere Firmen unterwegs, wenn die gerade ausgelastet sind. Ich war in Dresden und Bautzen unterwegs, bin aber auch bis ins Elsass gekommen. Das ist auch ein schöner Aspekt des Berufes.
Wie lange dauert die Restaurierung einer Orgel?
Das hängt ganz von der Größe der Orgel ab. Für die kleinere in Halle brauche ich in etwa fünf bis sieben Wochen. Zurzeit baue und restauriere ich Teile dieser Orgel in meiner Werkstatt, danach geht’s wieder nach Halle und die Klangarbeiten beginnen. Die Arbeiten an der Orgel im Elsass zum Beispiel zogen sich über zwei Jahre.
Gibt es ausgefallene Wünsche deiner Kunden?
Jede Orgel ist ein Unikat, es gibt keine Instrumente von der Stange. Die Orgel wird in ihrer Größe und Disposition an den jeweiligen Raum angepasst. Jede Werkstatt hat dann wiederum auch eigene Spezialitäten. Wenn ich eine Orgel öffne, muss ich erst einmal den Stil des Erbauers verstehen und versuchen, diesen zu restaurieren. Dadurch ist jede Orgel einzigartig.
Was ist das Besondere für dich an dem Handwerk?
Der Beruf ist sehr abwechslungsreich und jedes Mal eine neue Herausforderung. Keine Orgelrestaurierung ist gleich, man muss sich jedes Mal auf das Instrument und seinen Zustand einlassen. Historische Orgeln lassen sich nicht mit Standard-Fertigteilen abspeisen, sonst ginge der Charakter und der Stil des Instruments verloren. Niemand würde in einen Benz-Oldtimer neue Ford-Motoren einbauen.
Orgelbau ist für Josef mehr als nur ein reines Handwerk. Das Solide und Handgemachte hat für den Wahlchemnitzer etwas Besonderes. Bei der Orgelrestaurierung im Elsass gehörte auch die Gehäuserestaurierung zum Auftrag. Da wird der Orgelbauer zum Schnitzer. Die schlussendliche Klanggebung einer fertig restaurierten Orgel gehört zur Königsdisziplin. Ein Gespür für Töne und Klangfarben sollte man da schon mitbringen. Das wurde ihm durch seine musikalische Familie in die Wiege gelegt. Josef ist ein stolzer Orgelbauer, der aber auch um die Schwierigkeiten des Orgelbauhandwerks weiß. „Einen Lehrling zu finden, der vom Wissensstand her in der Lage ist, alles aufzunehmen, ist schwieriger geworden. Der Beruf umfasst mehr, als nur eine Pfeife zu putzen. Zum anderen muss man gut qualifiziertes Personal auch gut bezahlen können. Durch die sinkende Nachfrage schrumpfen auch die Löhne. Als Orgelbauer brauchst du eine höhere Qualifikation und die Ausbildung dauert länger als bei einem Tischler, der wiederum mehr Lohn erhält. Das ist ein großes Problem.“
Wie würdest du einem 16-Jährigen, der gerade die Schule beendet hat und auf der Suche nach einem Job ist, den Beruf schmackhaft machen?
Es ist das abwechslungsreichste Handwerk, das es gibt. Wer keine Spanplatten über eine Kreissäge schieben will, sondern für alte Gegenstände mit Geschichte brennt, für den ist das genau der richtige Beruf. Als Handwerker in der heutigen Zeit lernt man aus wirtschaftlichen Gründen kaum noch die alten Handwerkstechniken. Der Orgelbau bietet das alles noch.
Warum streben immer weniger junge Leute an, einen Handwerksberuf zu erlernen?
Ich denke, das geht auf die gesellschaftliche Entwicklung der letzten 30 bis 40 Jahre zurück. In meiner Elterngeneration teilte man die Auffassung, dass man durch ein Studium mehr Erfolg und mehr Verdienst hat. Das hat sich tief verankert. Leuten mit Realschulabschluss wird schnell der Stempel aufgedrückt, sie könnten weniger als Abiturienten. Die Entscheidung für das Handwerk ist gesellschaftlich nicht mehr so sehr angesehen. Aber auch Handwerker müssen viel wissen. Ohne Maurer und Elektriker kann ein Immobilienmakler zum Beispiel auch nichts verkaufen.
Wo siehst du die Stadt Chemnitz und das Orgelhandwerk 2025?
Chemnitz blüht langsam auf. Seit fünf bis zehn Jahren erkennt man das, wenn man genau hinguckt. Es entwickelt sich eine Subkultur, beispielsweise durch Kunstveranstaltungen und Stadtteilfeste. Chemnitz hat Potenzial, hier gibt es noch Räumlichkeiten und Werkstätten zu erschwinglichen Preisen, die Künstler und Macher nutzen können, um Sachen auszuprobieren. Vielleicht habe ich in acht Jahren drei Angestellte, vielleicht gibt es auch gar keinen Bedarf mehr auf dem Markt. Wir werden sehen.