Kunst als Therapie

Ronald Münch

Macher der Woche vom 10. November 2017

Ronald Münch malt nicht nur, mit seiner Arbeit möchte er auch Menschen, deren Leben von Sucht- und Depressionserkrankung geprägt ist, helfen. Und der 45-Jährige weiß, wovon er spricht. 20 Jahre zogen sich der Alkohol und damit verbundene psychische Erkrankungen wie ein roter Faden durch sein Leben. „Ich habe ein paar Jahre gebraucht, um wieder im Hellen rauszugehen. Aber in der Zeit habe ich auch immer gemalt.“ Für seine Arbeit – Projekt saufDruck – ist er vor kurzem mit dem Bürgerpreis der Bürgerstiftung Chemnitz ausgezeichnet worden.


Projekt saufDruck – das klingt sehr hart. Was steckt dahinter?
Ronald Münch:
Kurz gesagt, suchtkranken Menschen mit Hilfe der Malerei einen anderen Zugang zu sich selbst zu ermöglichen. Wir treffen uns regelmäßig in meiner Galerie, sprechen miteinander und schaffen Kunst, malen Bilder.

Was bedeutet dir der Bürgerpreis 2017 der Bürgerstiftung Chemnitz?
Das war für mich eine sehr große Überraschung. Es war sehr mutig von den Juroren, das Projekt saufDruck als Preisträger auszuzeichnen. Das finde ich äußerst spektakulär, ganz besonders für die Leute, die mitgemacht haben – als Wertschätzung.

Warum mutig?
Erstens, weil suchtkranke Menschen es sehr schwer haben in der Gesellschaft. Zweitens, weil der Name so umkämpft, umstritten – auch bei vielen Institutionen – ist. Nach dem Motto: Muss das sein?
Es ist ein therapeutischer Begriff, den ich eigentlich auch nicht mag. Aber dadurch, dass wir viele Drucke gemacht, bzw. uns mit vielen Drucken beschäftigt haben – in dem Fall die Kunsttechnik – kam der Titel zustande.

Wie bist du auf die Idee gekommen, dass Malerei beim Verarbeiten bzw. Überwinden von Süchten behilflich sein kann?
Das ist kein Patentrezept, aber ich versuche, Ansätze zu geben. Ich bin auch suchtkrank. Alkohol und Drogen haben sich zwanzig Jahre durch mein Leben gezogen. Das war ein extremes Auf und Ab in meinem Leben. Ich bin seit zehn Jahren weg davon – ein absolutes Geschenk. Die Malerei hat mir extrem dabei geholfen.
Mit der Malerei möchte ich die Menschen animieren, einen Zugang zu ihrem Unterbewusstsein zu bekommen. Wirklich zu ihrer Kindheit, das ist ganz wichtig. Das klingt abgefahren und viele rollen mit den Augen. In der Kindheit sind die Defizite entstanden. Um die Sucht zu besiegen, musst du wieder anfangen, Kind zu werden und deine Persönlichkeit zu formen. Das ist natürlich unglaublich schwer. Das ist wie – meine Töchter lernen gerade Saxophon – wenn man als Erwachsener ein Instrument zu spielen lernt.

Das funktioniert mit der Malerei?
Ich sage den Menschen, die zu mir kommen, dass sie malen, matschen, formen sollen – einfach drauf los. Es geht nicht um ein Bild, das entstehen soll, es geht um den Prozess – um das Machen, um das Tun.

Das klingt sehr philosophisch.
Ist es auch. Für mich liegen Philosophie und Sucht ganz nah beieinander. Ich diskutiere viel mit Ärzten und Therapeuten. Wir haben unterschiedliche Meinungen. Ich bin der, der es erlebt hat und sie haben das gelernt.

In seiner Galerie, gleichzeitig eine Art Begegnungsstätte, in der Dresdner Straße 16 am Fuße des Sonnenbergs, hängen viele Bilder – oft mit leuchtenden Farben, abstrakte Landschaften ohne Titel, nur mit einer Nummer versehen. Aber auch Bilder seiner Teilnehmer schmücken die Wände. „Die meisten ohne Signatur“, betont Ronald Münch. Der Grund liegt auf der Hand: „Sucht- und Depressionserkrankung ist immer noch ein Tabuthema. Die Akzeptanz in der Gesellschaft, aber auch bei den Erkrankten selber fehlt noch.“ So sagen sich viele: Ich habe doch ein schönes Haus, eine tolle Familie und einen guten Job – ich muss doch glücklich sein. „Sie wollen es nicht wahrhaben und merken erst spät, dass sie auch betroffen sind.“ Als Mittel zur Unterstützung des Heilungsprozesses bei chronischen Erkrankungen hat Ronald Münch vor vier Jahren einen Verein gegründet – GRÜNETOMATE buntwärts e.V., 2013 erhielt er bereits den Sächsischen Selbsthilfepreis des VdEK für sein Atelierprojekt.

Was macht ihr genau bei euren Treffen?
Wir reden und malen hier. Ich stelle die Materialien und den Raum. Die Menschen bringen Bereitschaft und Interesse mit. Ich animiere jeden, weil ich weiß, wie Farbe mich durch mein Leben getragen hat oder was Farbe ausrichten kann. Das hat mich in meinem Leben so fasziniert, mir so viele Gedanke gegeben. Die Teilnehmer können ihre Ideen mit mir teilen. Durch meine eigenen Erfahrungen kann ich den Menschen eventuell helfen.
Beispielsweise haben wir irgendwann bei einem unserer Treffen angefangen zu essen. Manche haben ja keine Struktur mehr im Tagesablauf. Jeder hat was mitgebracht. Dann hat sich das zu einem Frühstück entwickelt. Dann haben wir über Visionen gesprochen und Übungen gemacht – wie Barfuß gehen oder nimm mal das Messer in die schwache Hand und schmiere eine Schnitte. So kleine Dinge, die ich aber als wichtig erachte.

Wer kommt alles zu dir?
Meine Selbsthilfegruppe, die ich seit vielen Jahren habe, trifft sich hier einmal wöchentlich. Es kommen Vereine, Gruppen aus Kliniken, aber auch einzelnen Personen. Damit habe ich ein absolut breites Spektrum zwischen den Kunstinteressierten, dem Mann, der Frau von der Straße, eigentlich allen.

Wie finden dich die Leute?
Es ist relativ bekannt, dass hier im Atelier so etwas angeboten wird.

„Einen Zugang zum Leben finden, obwohl die chronische Erkrankung das Leben bestimmt“, so lautet die Vision von Ronald Münch bei seiner Arbeit. Die Teilnehmer seiner Selbsthilfegruppe, die er vor acht Jahren ins Leben gerufen hat, kommen u.a. mit Drogen-, Alkoholproblemen, Depressionen, zu ihm. „Es ist wirklich bemerkenswert. Gewalttätige, sich schwerst auf Crystal befindende Menschen malen mit ganz viel Liebe die zartesten Bilder. Die Erfahrung habe ich gemacht: Wenn man die, die am lautesten schreien nach ihrer Kindheit fragt, musst du aufpassen, dass sie nicht weinen“, beschreibt der Künstler. „Wenn ich so eine Zeichnung, so eine Malerei sehe, dann weiß ich, dass es Hoffnung gibt für den Menschen. Die Zeit hat ihn zu etwas ganz Hartem mit sehr viel Hass gegen sich selber geformt.“

Mildern die Teilnehmer durch deine Arbeit die Sucht oder beheben sie die?
Teils, teils. Ich habe vor vier Jahren den Verein gegründet, bei dem es um Kunst und chronische Erkrankung geht. Dort mache ich verschiedene Kunstprojekte. Im vergangenen Jahr ist so das prämierte Projekt saufDruck entstanden.

1972 in Mittweida geboren studierte Ronald Münch nach seinem Abitur Soziologie und Psychologie. Ein Studium der Malerei und Grafik am Institut für Bildende Kunst und Kunsttherapie in Bochum folgte. Jobs als Grafiker, Illustrator, Werbegestalter, Restaurator und Fotograf schlossen sich an. Die Liebe zur Malerei blieb sein ständiger Begleiter. „Teilweise habe ich nachts gemalt, weil ich tagsüber keine Zeit gefunden habe.“ Vor fünf Jahren hat er den Zugang zu diesen Räumlichkeiten auf der Dresdner Straße 16 bekommen und macht seitdem nichts anderes mehr.

Woraus ziehst du deine Motivation?
Die Frage nach dem Warum habe ich mir auch gestellt. Ich habe jetzt kein Helfersyndrom. Das kann ich auch nicht. Aber ich weiß, wie sich manches anfühlt, als Suchtkranker, als psychisch Kranker und damit verbunden als Ausgegrenzter. Die Sucht ist so schlimm und fühlt sich so katastrophal an, dass jeder Tag, den man früher raus kommt, ein Segen ist. Dabei will ich helfen und tue alles dafür.
Ich kann Dinge nur ganz schwer akzeptieren und sagen, das ist jetzt so. Das sehe ich nicht ein. Wenn man nichts macht, kann sich nichts ändern. Also mache ich was. Wenn einer sagt, dass er durch die Hilfe aus der Sucht herausgekommen ist oder zu sich gefunden hat oder einen Tag länger leben durfte, hat sich das alles für mich gelohnt.

Seit wann malst du?
Ich male schon mein ganzes Leben. Das war das, was mich immer am Leben gehalten hat, auch immer gerettet hat als Kind.

Wen willst du mit deiner Kunst erreichen?
Alle. Die, die schimpfen, die, die es gut finden und die, die nichts sagen. Die, die nichts sagen, sind die schwierigsten. (lacht)
Ich versuche, mit meinen Bildern Fragen zu stellen. Was macht denn die Welt mit mir. Wo will ich hin. Wenn man diese Fragen stellt, gilt man in der Gesellschaft als der mit der Meise. Da ist Kunst ein hervorragendes Ausdrucksmittel.
Mein überall hinterlegtes Thema in meinen Bildern ist das Leben, mit all seinem Licht und Schatten, seinem Leid, mit all seinem Hell und Dunkel. So versuche ich vor allem mit Farb- und Formelementen, Lebensvisionen darzustellen.

Es fällt auf, dass deine Werke keinen Titel haben. Warum?
Ich möchte nicht in den Empfindungsprozess des Betrachters eingreifen und jeglichen Freiraum für Gefühle und Interpretationen zulassen. Ich würde mir wünschen, mit meinen Bildern, Menschen tief in ihrem Innersten bewegen zu können.

Wo kann man deine Werke, außer in der Galerie, sehen?
Ab Januar 2018 kann man meine Bilder in der Hochschule Mittweida sehen. In einer Galerie in England hängen auch Bilder.

Wo siehst du dich und die Stadt 2025?
Ich arbeite gern an Visionen, Ziele habe ich nicht. Das Wort Ziel finde ich furchtbar, weil ich immer den Konflikt damit habe, was ist dann, wenn du dort bist? Wenn ich in meinem Leben acht Jahre zurückblicke und auf die Frage antworten müsste, kann ich keine passende Antwort geben. In der Zeit ist in meinem Leben so viel passiert. Irgendeine Idee habe ich immer, die werde ich auch in acht Jahren haben. Die Erlebnisse der vergangenen Jahre haben mich sehr vorsichtig werden lassen mit solchen langen Planungen.

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