200 Jahre Geschichte und viel Zukunft
Birgit Eckert
Macherin der Woche vom 18. Januar 2017
»Ein Großer von Chemnitz feiert Geburtstag«, freut sich Birgit Eckert, Geschäftsführerin der Schönherr Weba GmbH. Den 200. Geburtstag des Industriellen Louis Schönherr will sie in diesem Jahr gemeinsam mit Partnern und den Chemnitzer Bürgerinnen und Bürgern feiern. Wir sprachen mit ihr über den Webstuhlerfinder Louis Schönherr und blicken zurück auf die Geschichte der Schönherrfabrik.
In diesem Jahr jährt sich der Geburtstag von Louis Schönherr zum 200. Mal. Wie hat sich die Schönherrfarbik in die Vorbereitungen eingebracht?
Birgit Eckert: Im Oktober 2015 hat sich der Verein »Schönherr 200 e. V.« gegründet, in dem wir natürlich Mitglied sind. Mit dabei sind außerdem die Historische Schauweberei und die Cammann-Gobelin- Manufaktur aus Niederwiesa, das Textil- und Rennsportmuseum in Hohenstein-Ernstthal, die Gästeführerin Katrin Meisel, verschiedene Mieter unseres Standortes und noch einige mehr.
Wir wollten uns zusammenschließen und etwas Gemeinsames aus dem Jubiläum heraus entwickeln. Es ist ein ganzes Festjahr entstanden. Wir werden viele Veranstaltungen anbieten und werden im Sommer ein Buch veröffentlichen, in dem der Standort über die Jahrhunderte in seiner Architektur und Bedeutung betrachtet wird.
Warum ist es aus Ihrer Sicht wichtig für die Stadt, an das Erbe von Louis Schönherr zu erinnern?
Eigentlich ist es egal, ob der Mensch Schönherr oder Hartmann hieß. Wir glauben, dass das Menschen waren, die unter einem unternehmerischen Aspekt sehr viel für die Stadt getan haben. Schönherrs Wirken ist für die Entwicklung der Stadt maßgeblich gewesen. Er hat Arbeitsplätze geschaffen, hat große soziale Verbesserungen für seine Mitarbeiter eingeführt. Er hat den Schönherrpark anlegen lassen, der heute noch öffentlich genutzt wird. Das sind Menschen, die ihren Fußabdruck hier hinterlassen haben.
Louis Schönherr machte sich mit der Fertigung von mechanischen Webstühlen einen Namen. Der am 22. Februar 1817 in Plauen geborene Weber gründete 1851 seine eigene Fabrik in Chemnitz. Dort wurden Webstühle hergestellt, die Deutschland von den teuren englischen Importen unabhängig machte. Drei Jahre später zog er an den heutigen Standort, wo einst die Sächsische Maschinenbau Compagnie saß. Dort wurden tausende Webstühle produziert und ins Ausland exportiert. »Ich verstehe uns schon als diejenigen, die das Schönherrsche unternehmerische Erbe vertreten. So ein industrielles Erbe kann man nicht einfach platt machen. Das was erhaltenswert ist, muss man auch erhalten und um besten Fall etwas draus wachsen lassen«, meint Birgit Eckert.
Die Schönherrfabrik zählt zu den erfolgreichsten Revitalisierungsprojekten. War das vor 20 Jahren auch Ihr Ziel, als Sie als kaufmännische Geschäftsführerin nach Chemnitz kamen?
Aus heutiger Sicht denkt man vielleicht, da steckte ein Konzept dahinter. Das war nicht so. Damals waren hier der Textilmaschinenbau und die Gießerei in Betrieb. Es ging darum, den anstehenden Konkurs zu vermeiden. Es ging eigentlich ums nackte Überleben.
Damals waren noch 270 Mitarbeiter von ehemals 1.400 beschäftigt. An so eine Standortentwicklung war überhaupt nicht zu denken! Da ging es darum, dass wir den Menschen wieder ihren Lohn auszahlen wollten. Wir saßen auf Schulden über Schulden. Es war eine unglaublich dramatische Zeit. Wir haben dann den Webstuhlbau an Stäubli Bayreuth verkauft.
Ebenso veräußerten wir die Gießerei. Damit war klar, dass wir den Standort halten und mit Branchenkennern weiterführen können. Mit einem Förderprogramm der EU haben wir dann den ersten Bauabschnitt realisieren wollen. Aber auch hier fehlten uns die Eigenmittel.
2,7 Mio. DM warb die Schönherr Weba GmbH über das Urban-Förderprogramm ein, musste aber dieselbe Summe aus Eigenmitteln aufbringen. Durch den Verkauf eines Teilgrundstückes an die Wohnungsgesellschaft GGG waren die notwendigen Mittel schließlich beisammen »Erst zu diesem Zeitpunkt konnten wir uns Gedanken machen, wie wir den Standort entwickeln können«, erinnert sich Eckert. 22.000 m² Geschossfläche standen damals unter Denkmalschutz und waren in einem schlechten Zustand. Ein erstes Konzept sah vor, alle Gebäudeteile mit einem Mal zu sanieren. Vor dieser großen Aufgabe hatte die studierte Maschinenbau-Betriebswirtin Respekt und entschied, lieber in kleinen Schritten und mehreren Bauabschnitten vorzugehen. Denn Mieter waren zum damaligen Zeitpunkt noch keine in Sicht.
Ein Start mit vielen Schwierigkeiten. Wie ist es dann trotzdem geglückt?
In kleinen Schritten vorzugehen, war zum damaligen Zeitpunkt genau richtig. Wir wären sonst in dem Chaos, das teilweise herrschte, untergegangen. Nicht vergessen werde ich die Begegnung mit dem ersten Mietinteressenten, dem ankh-Betreiber. Er kam per Fahrrad mit Strickmütze auf dem Kopf und sagte: »Frau Eckert, ich möchte hier eine Gastronomie machen.« Daran hatten wir gar nicht gedacht. Er hätte die Geräte, Tische und Stühle schon zusammen, Konzept hätte er auch und große Lust, das zu machen. Ich war perplex. Aber er war der erste Mieter und ja, warum nicht? Also bauten wir alles dafür um. Wir haben dann einen Tag der offenen Tür veranstaltet, zu Pressekonferenzen eingeladen und es entstand ganz langsam eine Aufmerksamkeit.
Was ist für Sie das Besondere an der Schönherrfabrik?
Hier ist ein Mikrokosmos entstanden, der auf einzigartige Weise den Transformationsprozess über die Jahrzehnte hinweg zeigt. Das, was erhaltenswert war und sich in der neuen Zeit bewährt, ist erhalten geblieben. Andere Flächen, die nicht mehr nutzbar waren, wurden so umgebaut, dass sie den heutigen Ansprüchen wieder genügen und dennoch viel von ihrer Geschichte erzählen.
Warum entscheiden sich heute Mieter für Ihren Standort?
Die Herangehensweise mit den vielen Bauabschnitten über einen so langen Zeitraum hatte auch den Vorteil, dass hier sehr kleinteilig und vielfältig saniert werden konnte. Es kamen immer wieder neue Ideen hinzu, wie man mit der vorhandenen Bausubstanz umgehen kann. Hier sieht nicht eins wie das andere aus. Und so haben sich auch ganz verschiedene Mieter hier eingefunden: vom Zahnarzt, Rechtsanwalt, Tanzstudio bis zu jungen IT-Unternehmen, die den Standort heute beleben. 130 Mieter in ganz verschiedenen Geschäftszweigen, von der Gießerei und Metallbearbeitung bis hin zu Wellness- und Beautyoase. Und es gibt mit keinem Mieter am Standort Stress. Und: wir haben heute wieder fast so viele Mitarbeiter am Standort wie vor der Wiedervereinigung.
Wie ist der aktuelle Sanierungsstand?
Wir sind jetzt beim neunten und letzten Bauabschnitt. Das werden wir dieses Jahr abschließen. Wenn wir damit fertig sind, haben wir 22.000 Quadratmeter saniert. Wir sind auch so gut wie voll vermietet.
Besonders froh ist Birgit Eckert über die positive Entwicklung des Restaurants »max louis«: »Viele haben uns ausgelacht, dass wir eine eigene Gastronomie, dazu noch gehobenes Niveau, aufbauen wollten.« Vor zwei Jahren gründete sie dann die Schönherr Gastro GmbH. Lochkarten und weitere Requisiten im Interieur erinnern an den einst ansässigen Webstuhlmaschinenbau. »Die Lochkarten dienen gleichzeitig zum Schallschutz«, verrät Birgit Eckert und erzählt, dass sie in den ersten Tagen auch selbst vier Wochen hinter dem Tresen stand und den Zapfhahn bediente. Mittlerweile kommen im Monat 2.500 Gäste.
Hat Chemnitz die Chance auch an anderen Orten solche Perlen der Industriekultur zu entwickeln?
Diese Entwicklung, wie sie die Schönherrfabrik erlebt hat, ist aus meiner Sicht nicht wiederholbar. Die gesetzlichen Regelungen, wie Baurecht und Nutzungsrecht, haben sich in den vergangenen zwanzig Jahren so verschärft, dass wir diese Mischung aus Gewerbe und Industrie nicht wieder aufbauen könnten. Auch die Baukosten sind so gestiegen, dass es sich kaum lohnt, Industriegebäude zu sanieren und zu vermieten. Und ein dritter wichtiger Punkt: die oft fehlende Leidenschaft der Immobilienbesitzer. Wenn die Eigentümer kein Herz für Chemnitz haben, die Stadt nicht kennen, dann haben solche wertvollen Industriegebäude leider keine Zukunft.
Was macht Chemnitz für Sie aus?
Es ist soweit, dass sich Unternehmen in Chemnitz wieder entwickeln. Diejenigen, die sich vor 20 oder 25 Jahren gegründet haben, sind gut situierte Mittelständler. Und es kommen viele junge Unternehmen nach, die eine große Entwicklung vor sich haben.
Was haben Sie noch vor am Standort?
Es bleibt noch immer was zu tun. Das Künstlerhaus wollen wir uns erhalten – nicht unbedingt sanieren, aber aufwerten und den gewissen morbiden Charme erhalten. Dazu arbeiten wir gemeinsam mit Studierenden der HTW Dresden an Ideen für die Gebäude- und -außengestaltung. Bei den Tagen der Industriekultur in diesem Jahr wird das Künstlerhaus eine wichtige Rolle spielen.
Mit Picknicks im Schönherrpark, Buchlesungen oder ein Konzert in der Gießerei wird die Schönherrfabrik in diesem Jahr an ihren Standortgründer erinnern. Das Industriemuseum wird für eine Matinee »200 Jahre Louis Ferdinand Schönherr« am 26. Februar die Türen öffnen. Und die Historische Schauweberei Braunsdorf und die Cammann-Gobelin-Manufaktur laden zur Ausstellung »Schönherr 200« ein. Mehr unter www.schoenherr200.de.
Wie sehen Sie die Schönherrfabrik und wie sehen Sie Chemnitz im Jahr 2025?
Das sind nicht mal zehn Jahre. Für große Sanierungen, wie unsere hier, braucht man einen längeren Atem. Ich würde mir wünschen, dass wir mehr das nutzen, was wir haben. Es gibt bereits interessante Achsen durch die Stadt und besonders den Fluss Chemnitz, die wir stärken müssen. Auf dem Chemnitztalradweg kann man wunderbar von der Innenstadt bis raus aufs Land fahren, direkt bei uns vorbei. Ich möchte gern unser Gelände bis zum Radweg hin öffnen. Da hätten wir eine gute Verbindung bis zum Schloßberg und Küchwald. Warum nutzen wir nicht die Auen für ein Open-Air, das wäre doch eine tolle Sache. Im Übrigen: Ich halte die Kulturhauptstadtbewerbung für einen sehr guten Ansatz. Chemnitz mit seiner wechselvollen Geschichte hat gezeigt, wie man Transformationsprozesse durchlebt und gestaltet.