Chemnitzer Strickmaschinen erobern die Welt

Andreas von Bismarck

Macher der Woche vom 20. Oktober 2017

Der Textilmaschinenbau und Chemnitz haben eine lange gemeinsame Tradition. Daher ist es nicht verwunderlich, dass der Rundstrickmaschinenhersteller Terrot seinen Hauptsitz 2006 nach Chemnitz verlegt hat. Seit 155 Jahren produziert und entwickelt das Unternehmen Rundstrickmaschinen im großen Stil. Von der Türkei bis nach Japan – die Maschinen aus Chemnitz werden weltweit zur Produktion von Textilien und Stoffen genutzt. Andreas von Bismarck, ein Ur-Ur-Ur- Großneffe des Eisernen Kanzlers Otto von Bismarck, leitet seit 2008 die Geschäfte und erklärt uns im Macher-der-Woche-Interview, unter anderem warum es sich lohnt in Integration und Weltoffenheit zu investieren.


Wie funktioniert eine Rundstrickmaschine und wofür wird sie verwendet?
Andreas von Bismarck:
Die Rundstricktechnologie ist die produktivste Art textile Flächen zu erzeugen. Innerhalb der Textilindustrie wird sie für viele unterschiedliche Anwendungsbereiche genutzt. Rundgestrickte Textilien werden vor allem da eingesetzt, wo Elastizität benötigt wird, beispielsweise für Unterwäsche, Sportbekleidung, Matratzenbezugsstoffe, Schuhobermaterialien, Autohimmel und viele andere Anwendungen. Im Alltag kommt man ständig in Kontakt mit Rundstrickware, ob direkt am Körper oder in Form von Gebrauchsgegenständen.

Welche Entwicklungen und Maschinen prägten Ihre Unternehmensgeschichte am meisten?
Einige der größten Meilensteine in unserer Unternehmensgeschichte waren die Entwicklung der ersten Jacquardmaschine oder die Entwicklung der Breitwickel-Rundstrickmaschine. (Anm. d. Red.: Bei der Verstrickung von Elastan entsteht beim Aufwickeln ein Bruch im Lycrafaden, den die Breitwickelmaschine vermeiden kann.) Weiterhin haben wir vor kurzem eine Maschine entwickelt, die ein völlig neuartiges Gestrick herstellen kann, das im Sportbekleidungsbereich genutzt wird und neben vielfältigen Designs auch neue Funktionen ermöglicht. Außerdem vereint unser neu entwickeltes, revolutionäres Verfahren Corizon die Fähigkeiten einer Strick- und Spinnmaschine zu einem Gestrick mit besonderen Eigenschaften. Das Ergebnis sind sehr weiche und blickdichte Stoffe, die zum Beispiel für Bettwäsche und Leggings genutzt werden können.

Terrot ist ein weltweit agierendes Unternehmen und gehört zur Elite der Textilmaschinenbauer. Seit Jahrzehnten werden auf dem Gelände des ehemaligen VEB Strickmaschinenbaus Kombinat Textima Textilmaschinen hergestellt. Terrot produziert auf dem Gelände erst seit Mitte der 1990er Jahre seine Rundstrickmaschinen. Ein weiterer wichtiger Produktionsstandort befindet sich in Italien, wo Terrot mit seiner Tochter Terrot Italy seit 2014 aktiv ist. Terrot-Kunden produzieren für namhafte und international angesehene Markenhersteller, wie zum Beispiel Nike. Bei der letzten Fußball-Europameisterschaft hat das Sportbekleidungsunternehmen Fußballtrikots auf Terrot-Maschinen hergestellt. Portugal holte sich im Nike-Trikot zum ersten Mal den Titel, ein Stückchen Terrot schrieb somit Fußballgeschichte.

Chemnitz ist lange mit der Textilindustrie verbunden. Ist der Strickmaschinenbau von damals noch mit dem heutigen vergleichbar?
Die Grundtechnologie der Rundstrickerei hat sich im Kern nicht revolutioniert. Es gab zum Beispiel Ansätze von einem Erfinder aus Japan, der eine Rundstrickmaschine ohne Nadeln auf den Markt bringen wollte. Diese Erfindung hat sich nicht durchgesetzt, die Rundstrickerei ist immer noch ein traditionelles Verfahren. Es zählen aber umso mehr die Details. Diese haben sich in den letzten Jahrzehnten stark verändert. Der Kunde rückt mehr in den Vordergrund und die Maschinen werden auf die Bedürfnisse der Textilhersteller angepasst. Die Vernetzung, Digitalisierung und automatisierte Überwachung von Maschinenprozessen werden die zukünftigen Herausforderungen für unsere Branche darstellen.

Nach der Neugründung von Terrot 2006 verlegte Ihr Unternehmen den Hauptsitz von Stuttgart nach Chemnitz. Warum haben Sie Chemnitz als Hauptsitz gewählt?
Chemnitz ist die Wiege der industriellen Entwicklung auf dem europäischen Festland. Wir haben hier gute Rahmenbedingen vorgefunden: eine gut entwickelte Forschungslandschaft mit textilem Einschlag, motivierte und leistungswillige Mitarbeiter, ansässige textile Betriebe. Zudem hatten wir Teile der Produktion unserer Maschinen bereits nach der Wende nach Chemnitz verlegt. Mit der Neugründung zog dann auch die Verwaltung nach.

Welche Vor- und Nachteile bietet der Standort Chemnitz?
Chemnitz hat einen schlechten Ruf, der aber nicht gerechtfertigt ist. Das ist der größte Nachteil der Stadt. Viele Leute kennen Chemnitz nicht und urteilen negativ über den Standort. Die Chemnitzer Geschichte beherbergt riesige Schätze, die nicht nur von außerhalb sondern auch innerhalb der Bevölkerung zu wenig wahrgenommen werden. Die Kunsthäuser, die Kulturlandschaft, die Architektur, das Umland – überall lassen sich Spuren der Chemnitzer Industriegeschichte finden. Diese historisch verankerte Erfahrung im industriellen Bereich ist Chemnitz‘ größter Vorteil.

Die Textilindustrie wanderte in den letzten Jahrzehnten vermehrt in Billiglohnländer ab, gab es diesen Trend ebenfalls im Textilmaschinenbau?
Der Textilmaschinenbau hat keine Auslagerung im eigentlichen Sinne erfahren, es entstand aber zunehmender Konkurrenzdruck durch asiatische Textilmaschinenbauunternehmen. Das hat natürlich den einen oder anderen Textilmaschinenbauer in Europa und Nordamerika in die Knie gezwungen. Die Gründung von Tochterunternehmen in asiatischen Ländern gab es schon, aber das betraf vor allem Unternehmen, die in großen Volumen produzieren. Es hängt aber auch von der Art der Textilie ab. Standardwaren, wie beispielsweise T-Shirts, werden sicherlich nicht immer mit hochqualitativen Single-Jersey-Maschinen hergestellt. Hier kommt es sehr darauf an, welche Qualität am Ende vom Endkunden erwartet wird. Wir dagegen haben uns auf höchste Qualität, Produktivität und auch auf Spezialmaschinen für besondere Anwendungsbereiche konzentriert.

Steigt das Bewusstsein für die Produktion im eigenen Land wieder?
Produkte aus Deutschland stehen für Qualität und dafür steht auch die Marke Terrot. Eine lange Maschinenlebensdauer wird den Käufern wieder wichtiger, da der Margendruck sehr hoch ist und Schwierigkeiten in der Lieferkette enorme Schäden anrichten können. Da ist eine qualitativ hochwertige, produktive und effiziente Maschine von Vorteil.

Sie setzen sich in Form von Initiativen und Kampagnen mit Ihrem Unternehmen für Integration ein. Welche Erfahrungen haben Sie damit gemacht?
Wir haben immer dann ausschließlich gute Erfahrungen damit gemacht, wenn sich alle gegenseitig aufeinander eingelassen haben- unabhängig davon, woher die Menschen kamen. Wir haben auch viele europäische Ausländer, die wir unter anderem auch als neue Auszubildende anwerben, um qualifizierte und motivierte Azubi-Jahrgänge zu bekommen. Darüber hinaus ist bei uns die Vielfalt entscheidend, da wir verschiedene Qualifikationen, für unser Unternehmen benötigen, die wir nicht mehr immer so einfach in Deutschland finden, wie z.B. Textilingenieure aus Syrien. Eine erfolgreiche Integration ist dabei das A und O. Auf diese Weise schafft man auch Begegnungen, die dazu beitragen, Vorurteile auf beiden Seiten abzubauen. Natürlich gab es schon auch rechtliche und sprachliche Barrieren, aber diese Herausforderungen meistern wir gerne. Es liegt in unserer Verantwortung uns um alle unsere Mitarbeiter zu kümmern, das bringt langfristig gesehen auch wirtschaftlich die besten Ergebnisse. Deshalb habe ich auch den Verein Wirtschaft für ein weltoffenes Sachsen e.V. mitgegründet und das Amt des Sprechers des Vorstands übernommen.

Wo sehen Sie Ihr Unternehmen und die Stadt 2025?
Es wäre sehr zu begrüßen, wenn Chemnitz Kulturhauptstadt wird, dann hätten die Menschen die Gelegenheit die Stadt mit all ihren Facetten kennenzulernen. Chemnitz‘ Stärke und Tradition ist die Industrie, daher sollten sich hier noch weitere Unternehmen ansiedeln. Dabei darf nicht vergessen werden, dass die Chemnitzer Blütezeiten immer durch mehrere Aspekte verursacht wurden, die symbiotisch zusammen kamen: wirtschaftliche Stärke, Innovationskraft, Motivation, Kunst, Kultur und Weltoffenheit - das sollte auch wieder das Erfolgsrezept der Stadt werden. Wir als Unternehmen wollen bis dahin weiter wachsen und weitere Arbeitsplätze in Chemnitz schaffen.

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