Zum Abtauchen in andere Welten geht’s in die Stadtbibliothek
Daniela Vieweg & Ingrid Schmutzler
Macherinnen der Woche vom 14. April 2017
„Auf leisen Sohlen…“ schreiten Daniela Vieweg und Ingrid Schmutzler durch die Stadtbibliothek. Beide sind Vorlesepatinnen und lesen regelmäßig vor Publikum Geschichten vor. Ob als Patin im Kindergarten und Schulen oder direkt in der Stadtbibliothek: Mit Lust und Leidenschaft bringen die beiden Frauen Kindern das Lesen nahe.
Warum ist das Vorlesen für Kinder so wichtig?
Ingrid Schmutzler: Die Kinder lernen das Zuhören und sich auf eine Geschichte einzulassen. Die Phantasie der Kinder wird angeregt. Für die Sprachentwicklung ist es ungemein wichtig. Das Nacherzählen wird geschult. Je mehr die Kinder hören, desto besser wird ihr Ausdruck.
Daniela Vieweg: Für die Kinder im Kindergarten ist die Lesezeit etwas Besonderes. Man beschäftigt sich mit den Büchern und macht quasi eine kleine Vorstellung, wie eine Art Theaterstück. Man erzählt gemeinsam mit den Kindern die Geschichten. Am Ende bespreche ich das Gelesene auch meistens noch mal und frage: „Was nehmt ihr mit?“, „Worum ging es?“
Das Ansinnen der Vorlesepaten ist ja, den Kindern das Lesen nahezubringen. Dass das Lesen eben auch eine Freizeitbeschäftigung sein kann. Das Abtauchen in andere Welten ist eine schöne Alternative zum klassischen Spiel und kann die Kinder ebenso ausfüllen.
Ingrid Schmutzler: In den Grundschulen ist das ganz genauso. Die Kinder freuen sich immer, wenn jemand zum Lesen kommt Mucksmäuschenstill verfolgen sie die Abenteuer der Helden der Geschichten. Zurzeit bereite ich ein Projekt mit der Grundschule Rabenstein vor. In diesem Projekt werden die Kinder angeregt, Episoden aus dem Kinderbuch “Ein verrückter Steckbrief“ weiter zu erzählen und sich Fortsetzungen auszudenken.
Obwohl diese Vorleseerfahrung für Kinder so positiv ist, rückt die typische Gute-Nacht-Geschichte Studien zufolge immer weiter in den Hintergrund. Eine traurige Entwicklung. Warum ist das so?
Daniela Vieweg: Ich kann gar nicht bestätigen, dass das so ist. In meinem Umfeld, in dem Kindergarten meiner Tochter werden und wurden solche Rituale gepflegt. Es kann natürlich sein, dass bei dem einen oder anderen das etwas in den Hintergrund gerät. Aber nicht von Kindesseite aus. Das Ritual müssen die Eltern den Kindern zeigen. Und es wird sicher einige Familien geben, bei denen das nicht der Fall ist. Vielleicht liegt das am fehlenden Interesse für Bücher überhaupt. Ich kann keinem Elternteil sagen, dass sie ihren Kindern abends eine Gute-Nacht-Geschichte vorlesen sollen. Ich kann nur den Kindern, denen ich vorlese, zeigen, wie schön das ist, wenn man vorgelesen bekommt. Und vielleicht tragen diese Kinder das nach Hause, berichten davon, wie viel Spaß es macht und erkämpfen sich so ihr Vorleseritual.
Wie kam es zu Ihrem ehrenamtlichen Engagement, Kindern vorzulesen?
Ingrid Schmutzler: Den Beginn habe ich ganz privat eingeleitet, da war ich noch nicht Mitglied im Förderverein der Stadtbibliothek. Im Jahr 2001 begann ich, Kinderbücher zu schreiben. Und 2003 las ich im Kindergarten meines Enkels die ersten Geschichten vor. Von da an besuchte ich im 14-Tage-Rhythmus regelmäßig zwei Kindergärten, um die Kinder mit Geschichten zu erfreuen. Anfangs war ich auch in der Stadtbibliothek tätig. Aufgrund des hohen Arbeitsaufwandes entschied ich mich nach einiger Zeit, nur noch für die Vorschüler in den Kindergärten zu lesen. Seit 2004 gehören die Schüler der Grundschulen zu meinen Zuhörern, denen ich meine Kinderbücher vorstelle. Jetzt lese ich regelmäßig in einem Kindergarten und für Ältere.
Daniela Vieweg: Ich habe vor ca. fünf Jahren mit dem Lesen in der Stadtbibliothek angefangen. Privat bin ich schon immer ein Lesefreak. Seit meine Tochter geboren ist, entdecke ich auch die tollen Kinderbücher wieder neu. Was mich erschreckt hatte, war vor einigen Jahren eine Auswertung der Bertelsmannstiftung, in der berichtet wurde, dass nur 25 Prozent der Schulanfänger bis zum Beginn des Schuljahres ein Buch in die Hand genommen haben. Das konnte ich mir überhaupt nicht vorstellen. Ich habe überlegt, was man dagegen tun kann. Bei meiner Recherche bin auf den Förderverein der Stadtbibliothek gestoßen und habe dort die Vorlesepaten entdeckt. Und so habe ich angefangen. Zuerst habe ich nur im TIETZ in der Kinderwelt gelesen, und dann auch im Kindergarten meiner Tochter.
Bücher spielen eine große Rolle in den Leben der beiden Frauen. Neben ihrer Tätigkeit als Lesepatin ist Daniela Vieweg auch Vorstandsmitglied des Fördervereins der Stadtbibliothek und Lieferbote. Sie sucht für eine über 80-jährige Dame Bücher aus und liefert ihr diese nach Hause. Ingrid Schmutzler schreibt seit fast 15 Jahren eigene Kinderbücher und steckt in die Produktion viel Liebe und Geld.
Wie suchen Sie die Bücher aus, die Sie den Kindern vorlesen?
Ingrid Schmutzler: Aus meinen eigenen Büchern lese ich inzwischen nur in den Grundschulen. In den Kindergärten lese ich gerne Klassiker. Zum Beispiel „Hörbe mit dem großen Hut“ von Ottfried Preußler hören die Kinder sehr gern. Auch „Die drei lustigen Gesellen“ von Eno Raud mit den Wurzelmännern Moosbart, Muff und Halbschuh werden gern gehört. Zurzeit habe ich in einem Kindergarten neun Kinder, die sehr aufgeschlossen sind. Auch Märchen gehören zu den Lieblingsbüchern der Kinder. Ich versuche stets, die Interessen der Kinder herauszufinden, um die Leselektüre auszuwählen.
Daniela Vieweg: Als ich noch im Kindergarten gelesen habe, waren die Kinder zwischen drei und sechs Jahren. Da habe ich mir in den unterschiedlichsten Kategorien meine Bücher ausgesucht. Die Erzieher haben auch immer wieder Hinweise gegeben, welche Themen gerade aktuell in den Gruppen besprochen werden. Wir hatten einmal das Thema „Menschen mit Behinderung“. Also habe ich mit Hilfe des Themenkoffers aus der Stadtbibliothek Geschichten gelesen. Das kam richtig gut an. Auch finde ich Bücher mit großen und schönen Illustrationen toll zum Vorlesen. So kann man mit den Kindern gemeinsam die Geschichten erleben. Pippi Langstrumpf Geschichten kommen immer noch gut an, aber auch zeitgenössische Kinderbuchliteratur lese ich gern vor. Christine Nöstlingers „Anna und die Wut“ ist einfach köstlich!
Frau Schmutzer, Sie lesen auch für Senioren. Was ist denn der größte Unterschied, wenn Sie Senioren vorlesen und wenn Sie Kindern vorlesen?
Ingrid Schmutzler: Der größte Unterschied ist natürlich das Thema. Meine Senioren wollen jetzt am liebsten Kurzgeschichten. Es ist eine immense Vorbereitungszeit, die man damit verbringt, das richtige Buch für die Senioren herauszusuchen. Kurzgeschichten, aus dem Leben von Hildegard von Bingen, Jaroslav Hašek, Jürgen von der Lippe, Geschichten von früher und so weiter sind gefragte Literatur. Leider hat sich die Anzahl der Zuhörer in der letzten Zeit verringert. Die Ursachen sind vielschichtig. Anfangs kamen 10 bis 20 Zuhörer, inzwischen sind wir im einstelligen Bereich angekommen. Und so ändert sich auch das Interesse der Senioren. Jetzt stehen Reisegeschichten auf dem Plan, da sie selbst nicht mehr reisen können. Letztens hatten wir Griechenland-Geschichten. Nun wünschen sie sich China, und ich bin gerade dabei, das vorzubereiten und geeignete Geschichten herauszusuchen. Zwischendurch erzählen die Senioren von ihren eigenen Erlebnissen. Wir haben quasi eine Art Lesecafé eingerichtet. Für meine Senioren ist das eine schöne Freizeitbeschäftigung.
Lesen Sie auch Geschichten mit einem Bezug zu Chemnitz?
Ingrid Schmutzler: Vor fünf Jahren habe ich die Geschichte „Lukas und das Figürliche Glockenspiel“ geschrieben. Nachdem die meisten meiner Zuhörer das Glockenspiel auf dem Markt gesehen hatten, las ich ihnen die Geschichte zum Lesecafé vor. Für das 875-jährige Stadtjubiläum von Chemnitz bereite ich gemeinsam mit dem Dr.-Wilhelm-André-Gymnasiums ein Projekt vor. Da werden wir die Geschichte rund um Lukas und das Figürliche Glockenspiel auf die Bühne zaubern, um es vielen Schülern nahe zu bringen.
Sind Sie Chemnitzerinnen?
Ingrid Schmutzler: Seit 1961 lebe und arbeite ich in dieser Stadt. Ich fühle mich sehr wohl hier. Chemnitz ist meine Stadt und ich würde auch alles tun, um meine Stadt zu vertreten. Auch deswegen habe ich die Geschichte mit dem Figürlichen Glockenspiel geschrieben. Für mich ist Chemnitz eine gemütliche und angenehme Stadt, in der es viel zu entdecken gibt.
Daniela Vieweg: Das kann ich nur bestätigen. Ich bin seit 2003 in Chemnitz. Habe vorher in Hamburg und Dresden gelebt und komme ursprünglich aus einem kleinen Dorf in der Lausitz. Jede Stadt war für mich spannend und sehr angenehm. Als ich nach Chemnitz gegangen bin, habe ich gleich so ein Vorurteil mitbekommen. Aber ich habe festgestellt, dass es sich sehr angenehm leben lässt. Auch wenn vor allem die gebürtigen Chemnitzer nicht unbedingt mit einem positiven Auge auf ihre Stadt blicken.
Welche Pläne haben Sie für die Zukunft? Gerade in Bezug auf das Jahr 2025?
Ingrid Schmutzler: 2025 möchte ich vor allem gesund sein. Wahrscheinlich werde ich kein Vorlesepate mehr sein. Aber ich würde mich sehr freuen, wenn ich das noch drei Jahre machen darf. Jetzt freue ich mich auf das große Projekt mit dem Dr.-W.-André-Gymnasium zum Stadtjubiläum 2018.
Daniela Vieweg: Mir ist wichtig, meinen Job und meine Hobbys unter einen Hut zu bringen. Ich möchte weiterhin als Vorlesepatin aktiv sein. Noch manch andere Arbeiten begleiten mich, z. Bsp. die im Vorstand des Bürgervereins Kleinolbersdorf-Altenhain e.V. oder dem AWO Kreisverband Chemnitz und Umgebung e.V. und Elternratsmitglied im Hort meiner Tochter. Es ist schon was dran: Einmal Ehrenamt, immer Ehrenamt.
Was wünschen Sie der Stadt bis 2025?
Ingrid Schmutzler: Die Stadt soll weiterhin wachsen und gedeihen. Gelder für die Kinder- und Jugendarbeit, denn die Kinder sind unsere Zukunft und die dürfen wir nicht verprellen.
Daniela Vieweg: Ich finde die Idee der Bewerbung zur Kulturhauptstadt ganz toll. Es ist natürlich immer wieder schwierig darüber nachzudenken, wie viel das alles kostet. Aber Projekte kosten nun mal Geld. Auch ein Architekt steckt zu Beginn in seine Planungen viel Geld in die Vorplanungen bevor es überhaupt zum Bau kommt. Chemnitz hat die Chance, aus ihrem Schatten herauszutreten. Selbst wenn die Bewerbung nicht erfolgreich ist, werden im Nachgang sicherlich viele positive Projekte für Chemnitz bleiben.