Das letzte Puzzleteil

Dorothee Lücke

Macherin der Woche vom 18. Mai 2018

Die Namen zahlreicher Männer, die zuvor das Pfarramt der Jakobikirche bekleidet haben, hängen in Form von Tafeln an der Wand. Große Gemälde in prunkvollen Rahmen gesetzt, zeigen die bedeutenden männlichen Persönlichkeiten in der Kirchgemeinde. Zwischen ihnen sitzt Dorothee Lücke, die erste Pfarrerin der Evangelisch-Lutherischen St.-Jakobi-Johannis-Kirchgemeinde in Chemnitz. Seit 2014 hat sie das Pfarramt inne und erzählt im Macher-der-Woche Interview über das letzte fehlende Puzzleteil in der Geschichte der Jakobikirche.


Mit der Einweihung des Hesse-Breuer-Altars, am 20. Mai, ist das Ensemble seit der Zerstörung im 2. Weltkrieg wieder vollständig. Wie fühlt sich das an?
Dorothee Lücke:
Wir sind als Kirchgemeinde froh, dass der Altar wieder kommt, weil das auch mit einer langen Restaurierungsgeschichte verbunden war. Es ist sozusagen der Schlussstein der Geschichte von 1945. Allerdings merken wir auch, dass sich immer wieder neue Dinge auftun, wenn man so ein prachtvolles Gebäude aufrechterhalten will. Die Kirche zu erhalten ist eine Aufgabe für viele, viele Generationen. Wir sind aber erst mal sehr glücklich, dass wir die Restaurierung des Altars realisieren konnten.

Sie waren dabei auf Spenden angewiesen. War es schwer die notwendigen finanziellen Mittel aufzubringen?
Das war für uns eine sehr schöne Erfahrung. Die Leute waren bereit für den Hesse-Breuer Altar, der für die Vergangenheit von Chemnitz steht, Geld zu geben. Der Altar ist frei zugänglich für alle Chemnitzer und Chemnitzerinnen und auch für Touristen. Wir haben in der Innenstadt ja relativ wenig, was man sich ohne Eintritt zu bezahlen, anschauen kann. Das spielte dabei sicherlich auch eine Rolle. Es gab auf jeden Fall eine rege Beteiligung bei den Spenden. Der Altar ist auch etwas sehr Nachhaltiges, er wird für die nächsten Jahrhunderte stehen. Zudem ist der Altar sehr eng mit der Chemnitzer Geschichte verbunden. Vielleicht beeinflusste ja auch das 875-jährige Jubiläum der Stadt die Spendenbereitschaft, weil die Leute sich mehr mit der Geschichte der Stadt befassen. Dieser Altar ist von 1504 und war schon immer für Chemnitz gedacht. Er ist also ein Stück Stadtgeschichte.

Was macht den Hesse-Breuer-Altar so besonders?
Peter Breuer ist ein großer Künstler unserer Region, der beim deutschen Bildschnitzer Tilman Riemenschneider gelernt hat. Er war lange Zeit sehr erfolgreich, durchlebte dann aber auch Jahrzehnte, in denen ihn niemand mehr beachtete. Er hat eine ganz bestimmte Handschrift. Einige seiner Werke sind auch im Schloßbergmuseum zu sehen. Er hat viel mit Hans Hesse zusammen gemacht. Breuer hat die Schnitzfiguren und Hesse die Gemälde auf den Altarflügeln, die innen sind, geschaffen. Die äußeren Flügel waren auch einst verziert, aber im Laufe der Geschichte wurden zum Beispiel die Gesichter rausgekratzt. Nach der Reformation hatte man ein Problem mit figürlichen Abbildungen. Wir haben die Wunden und Narben so gelassen, damit man sieht, dass der Altar eine Geschichte durchlebt hat.
Man vermutet auch, dass die Gesichter der Figuren auf dem Altar von ehemaligen Chemnitzerinnen und Chemnitzer sind. Das ist unheimlich spannend.

Was ist für den Tag der Einweihung geplant?
Die Einweihung findet Pfingstsonntag statt. Pfingsten ist ja sowieso ein großes kirchliches Fest, quasi die Geburtsstunde der Kirche. Da passt es hervorragend, dass wir an diesem Tag den neuen Altar einweihen. Es wird der Landesbischof aus Dresden kommen. Wir feiern gemeinsam mit der Kirchgemeinde St. Pauli-Kreuz einen großen Gottesdienst. Alle Leute, die gespendet haben und am Auswahlverfahren des Entwurfes beteiligt waren, wurden auch herzlich dazu eingeladen, so zum Beispiel Dr. Ingrid Mössinger. Ich mache natürlich auch mit beim Gottesdienst. Wir werden gemeinsam die Abendmalgeräte hereintragen, auf den Altar abstellen und werden dann zum ersten Mal den Altar feierlich nutzen.

Für den Altar gab es einen Gestaltungswettbewerb. Wodurch bestach der Siegerentwurf?
Heute kann ja wieder die gesamte Fläche der Kirche genutzt werden, daher musste der Altar an Größe gewinnen, um die ganze Kirche zu füllen. Wir haben dann einen Wettbewerb ausgeschrieben, um den Altar neu in der Kirche zu inszenieren. Das Künstlerehepaar Lutzenberger gewann schließlich. Die Kostbarkeit des Altars, das Mittelalterliche, sollte hervorgehoben werden. Alles Drumherum wurde optisch zurückgenommen und in moderner Formsprache gestaltet. Schlichter Sandstein und eine vergoldete Stele, in der sich das einfallende Licht spiegelt. Die Flügel sind im Moment zugeklappt und der Altar etwas verhüllt, sodass wir noch einen Überraschungsmoment bei der Einweihung erleben können.

Sie wurden 2014 zur ersten Pfarrerin der Gemeinde ernannt. War das Fortschritt oder längst überfällig?
Die Geschichte der Frau im Pfarramt ist ja noch relativ jung. Eigentlich gibt es seit der Reformation, die 1539 in Chemnitz eingeführt wurde, in der evangelischen Kirche das Priestertum aller Gläubigen. Das heißt, alle Getauften sind gleich viel wert und könnten demnach das Priesteramt besetzen: sowohl Männer als auch Frauen. Aber in der Praxis ist es so, dass auch in unserer Landeskirche erst seit 50 Jahren Frauen mit allen Rechten Pfarrerinnen sind. Ich erlebe es als Normalität und finde es schön für unsere Kirchen, dass wir Pfarrer und Pfarrerinnen haben. Als Frau bringt man vielleicht ein Stück weit auch andere Themen in die Kirchgemeinde mit ein. Ich denke, es war an der Zeit!

Die evangelische Kirche ist also keine reine Männerdomäne mehr. Aber was muss sich Ihrer Meinung noch ändern?
Frauen sollten verstärkt in bestimmten Ämtern und Positionen in Erscheinung treten. Es auf jeden Fall noch ein weiter Weg, bis Frauen in allen Bereichen den Männern gleichgestellt sind. Aber das betrifft nicht nur die Kirche. Ich denke, das ist ein Thema für viele Bereiche der Gesellschaft. Je höher die Positionen sind, desto weniger Frauen sind dort vertreten, sowohl bei der Kirche als auch bei anderen Berufen.
Die Berufsbilder müssten sich ändern, also auch die Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Frauen sind da sehr kritisch und hinterfragen, ob der Job mit den Kindern oder der Partnerschaft vereinbar ist. Wenn es dann heißt, dass man als Superintendentin der Kirche 70 Stunden in der Woche arbeiten muss, überlege ich mir das als Frau zweimal, ob ich das wirklich mache. Da muss sich etwas ändern, zum Beispiel, dass man sich solche Leitungsämter auch teilen kann. Superintendent geht auch in Teilzeit, das ist fast in allen Ämtern möglich.

Welche Themen haben Sie als Pfarrerin in der Kirchgemeinde angesprochen?
Ich bin zum Beispiel in der ökumenischen Frauenarbeit tätigt. Ich denke auch, dass ich Texte aus der Bibel teilweise anders lese. Mir ist wichtig, deutlich zu machen, dass Gott weder Mann noch Frau ist und dass beide Geschlechter vor Gott gleich sind. Geburt, Schwangerschaft, ungewollte Kinderlosigkeit sind Themen, die ich in der Kirche anspreche, so kann man jungen Frauen auch den Zugang zur Kirche erleichtern. Aber ich bringe natürlich nicht nur frauenspezifische Themen in die Kirche mit ein.

Was möchten Sie als Pfarrerin noch erreichen?
Ich möchte deutlich machen, dass diese Kirche offen für alle ist! Ich möchte gerne auch die Öffnungszeiten erweitern, sodass wir ein Ort sind, an den die Chemnitzerinnen und Chemnitz kommen können und sich geborgen fühlen, auch wenn Sie nichts mit der evangelischen Kirche unmittelbar zu tun haben. Die Debatte um die Strahlkraft des Christentums, auch in Form des Kreuzes, ist ja im Moment sehr aktuell. Wir als Kirche können da viel einbringen. Das Recht der Schwächeren zu achten oder dass alle Menschen gleich viel wert sind: diese Werte können wir vermitteln. Da müssen wir uns als Kirche mehr einbringen. Da möchten wir noch mehr Angebote entwickeln.

Chemnitz bewirbt sich als Europäische Kulturhauptstadt 2025. Was wünschen Sie sich bis dahin?
Die Bewerbung ist etwas sehr Gutes. Ich lebe sehr gerne in Chemnitz, es ist eine Stadt mit sehr viel Potenzial. Wir alle werden hier gebraucht. Ich wünsche mir bis dahin, dass wir uns besser miteinander vernetzen, dass man weiß, wer macht was. Im Rahmen der Kulturhauptstadtbewerbung finden ja schon viele Treffen zum Vernetzen statt. Wir als Kirchen können uns zum einen mit der Stadtgeschichte und zum anderen mit dem religiösen Leben heute einbringen. Wir möchten als Kirche da gerne behilflich sein. Wir machen zum Beispiel in der Jakobikirche oft Ausstellungen und Konzerte, diesen Raum würden wir auch im Rahmen der Kulturhauptstadtbewerbung anbieten. Auch dient das Kirchengebäude als Ausgangspunkt für Gästeführer, da man hier das historische Chemnitz sehr gut verdeutlichen kann. Wir sind auch der Ort, an dem regelmäßig am 5. März der Friedensgottesdienst gefeiert wird. Mit all diesem können wir uns einbringen.

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