Liebeserklärung an Chemnitz

Ellen Schaller

Macherin der Woche vom 8. November 2019

Wenn eine Kabarettistin ein Buch über ihren Arbeitsmittelpunkt, die Stadt Chemnitz, schreibt, erwartet der Leser eher eine Persiflage, ein satirisches Werk über die politischen Zustände oder aktuellen Ereignisse in der drittgrößten ostdeutschen Stadt. Doch weit gefehlt. In ihrem Buch stellt Ellen Schaller Chemnitzern Fragen zu ihrer Stadt und erhält die unterschiedlichsten Antworten. Mit „Chemnitz. Eine Liebeserklärung“ gibt sie „den leisen Stimmen der Stadt eine Öffentlichkeit“, wie sie in der Einleitung des Buches schreibt. Am 18. November erscheint ihr Buch und an diesem Abend wird sie es ab 20 Uhr im Kabarett in der Markthalle vorstellen.


Sie stellen 50 Menschen aus Chemnitz Fragen. Dabei fällt auf, dass Sie diese selbst nicht beantworten. Deshalb stellen wir sie Ihnen jetzt: Was lieben Sie an Chemnitz?
Ellen Schaller:
Erstens liebe ich die Markthalle, die Spielstätte des Chemnitzer Kabaretts über alles. Weil sie wirklich besonders ist. Ich gastiere an vielen Orten, nicht nur in Sachsen. Dieser Keller hat ein einzigartiges Flair. Diese breite Bühne, wo man wirklich jeden Zuschauer sieht und erreicht.

Damit wäre die Frage nach dem Lieblingsort auch schon beantwortet?
Auf jeden Fall ist das der Lieblingsort in Chemnitz und vielleicht auch der Geheimtipp. (überlegt) Eher nicht. So etwas wie ein Geheimtipp fällt mir als Außenstehende wirklich schwer. Da sind die Chemnitzer fitter. Das war auch meine Neugier bei den Interviews.

Ein Jahr hat es gedauert bis das Buch fertig war. Es mussten Leute gefunden werden, aus allen gesellschaftlichen Schichten und Berufen, um die besonderen Vorzüge von Chemnitz zu erfahren. Dann wurden die Gespräche geführt, Fotos geschossen, die Interviews geschrieben, geschaut, ob es passt. „Ab Mai wurde es richtig harte Arbeit. Wenn man das Buch am Ende in der Hand hält, sieht es so leicht aus. Ist es aber gar nicht. Es war viel Nachkorrektur nötig“, erzählt die Hobbyautorin. Sie hat mit 50 Leuten gesprochen. Insgesamt habe sie nur zwei Absagen bekommen. „Das ist sehr wenig für so ein riesiges Projekt.“

Wie haben Sie die Leute überhaupt herausgesucht?
Ich habe einfach mit denen angefangen, die ich sowieso schon kannte. Wichtig war mir von vornherein ein breites Spektrum an Berufen und Altersgruppen. Ich hab jeden, mit dem ich das Interview geführt habe, gefragt, wen er noch empfehlen kann. Als es nach 35 Leuten eng wurde, habe ich alle angeschrieben und gesagt, welche Altersgruppe oder welcher Beruf noch fehlen. Dann haben sie mir alle geholfen.

Sie haben also jeden, den Sie interviewt haben, in das Buch aufgenommen und sich nicht die schönsten Interviews herausgepickt?
Jeder, mit dem ich gesprochen habe, ist da drin. Nach zehn bis 15 Interviews dachte ich, alle werden dasselbe erzählen. Das war meine große Sorge. Ist aber nicht eingetreten. Jedes Gespräch hat mich selber positiv gestimmt. Das war wie eine Spirale – keine Abwärtsspirale, sondern eine Positivspirale. Mir ging es selber sehr gut damit.

Gab es ein Interview, das Sie am meisten beeindruckt hat?
Dr. Ingrid Mössinger hat mich mit ihrem Wissen beeindruckt. Das war unglaublich. So schnell konnte ich gar nicht mitschreiben. Ich war ganz überrascht, mit welcher Ernsthaftigkeit sie sich vorbereitet hat. Es gab dann auch Interviews, die mich wirklich gerührt haben. Beispielsweise die Altenpflegerin. Es ging damit los, dass sie mit einer Blume für mich zum Interview ankam und ich dachte, jetzt werden hier die Welten verdreht. Und überrascht haben mich die Dinge, die ich eben noch nicht wusste bzw. kannte. Die Eselsbrücke in Rabenstein war mit neu.

Seit über 22 Jahren ist Ellen Schaller am Chemnitzer Kabarett beschäftigt. In über 20 Programmen begeisterte die 54-Jährige das Chemnitzer Publikum und tut es auch heute noch. Mittlerweile ist sie mit verschiedenen Soloprogrammen u.a. in Dresden, Zwickau und Senftenberg unterwegs.

Warum hat eine Dresdnerin eine so intensive Liebe zu Chemnitz entwickelt und sich zur Aufgabe gemacht, diese Stadt, die nicht ihre Heimat ist, mit einem Buch in ein positives Licht zu rücken?
Das kommt durch die Erfahrungen, die ich in vielen Jahren mit den Chemnitzern gemacht habe. Sie haben oft ein Problem mit ihrer Stadt und sprechen negativ über sie. Das war mir schon immer ein Dorn im Auge. Weil es nicht so ist, wie viele sagen. Also war der Ansatz des Buches: Schaut auf das Positive in eurer Stadt, ruft es wieder ins Gedächtnis und stellt euch den kritischen Stimmen. Erst, wenn ihr eure Stadt wieder liebt, verteidigt ihr sie auch. Auch im Hinblick auf die Geschehnisse in den vergangenen Monaten, soll das Buch ein Impuls für die Chemnitzerinnen und Chemnitzer sein.

Sie sprechen es gerade an. Hat man das Gefühl, dass die negativen Ereignisse aus dem August vergangenen Jahres doch etwas Gutes hatten, weil sich vermehrt Chemnitzer positiv über ihre Stadt äußern.
Ich habe bei allen, die ich für das Interview angesprochen habe, sofort den Antrieb gespürt, sich mitzuteilen. Viele wollen sich den kritischen Stimmen entgegensetzen und machen noch mehr auf die schönen Seiten von Chemnitz aufmerksam. Das ist der positive Effekt aus den Ereignissen des vergangenen Jahres.
Obwohl es schon viele Initiativen vor diesen schrecklichen Ereignissen gab, haben sie ein „Jetzt erst recht“-Gefühl ausgelöst. Wie beispielswese diese Altenpflegerin, die in meinem Buch mitgewirkt hat und sich eigentlich nicht öffentlich fotografieren lassen wollte. Aber für ihre Stadt hat sie es dann gemacht. Es sind so viele Dinge, die in dem Buch zur Sprache gekommen sind und mich immer wieder erstaunt haben, was gemacht wird und was es alles gibt.

Wie haben Sie die Ereignisse im August vergangenen Jahres erlebt?
Ich kenne das schon. Als Dresdnerin bin ich Pegida erprobt. Wenn aber die eigene Tochter aus ihrem Neuseeland-Freundeskreis, von ihrem Auslandsjahr, gefragt wird, was denn los ist, dann weiß man, welche medialen Bilder verbreitet werden. Das war auch ein Grund für das Buch, um nicht nur die eine Seite zu zeigen. Immer wird sich auf Katastrophen gestürzt. Das setzt sich im Geist schneller fest, als etwas Positives.
Was ich mit großer Sorge beobachte, ist die Entwicklung, die mit Stammtischgesprächen begann, die dann über die Social-Media-Kanäle weitergeht, wo sich jeder äußert und es jetzt ins tägliche Leben schwappt. Diese verbale Enthemmung, dieser ungebremste Hass und diese Wut halte ich für ungeheuer gefährlich.
Da stellt sich mir die Frage, wo man da ansetzt. Ein Ansatz, den ich wie gesagt mit dem Buch verfolge, ist die positive Sicht auf die Dinge. Ein anderer wäre ein pädagogischer Ansatz in Schulen und Elternhäusern, der sich mit dem Benehmen, dem Umgang und der Kommunikation miteinander beschäftigt. Ich finde es höchst problematisch, dass man den Leuten mit Argumenten nicht mehr kommen kann. Sie haben ihre Stimmung, da kommt man nicht dazwischen. Man will gar nicht reden.

Sie treten seit über zwei Jahrzehnten regelmäßig im Chemnitzer Kabarett auf. Sind die Chemnitzer humorvolle Menschen, die über ihre eigenen Schwächen lachen?
Ich habe verschiedene Programme, bei denen ich aus der sozialen Lage bestimmter Figuren agiere. Das sind eigene Unzulänglichkeiten, die diese gespielten Charaktere äußern. Die Bereitschaft des Publikums darüber zu lachen, ist auf jeden Fall da.

Wie kommen Sie auf die Ideen, welche Figur Sie in den Mittelpunkt eines Programms stellen?
Bei mir ist es so, da ich aus dem Schauspiel komme, dass ich über diese Figuren einen guten Zugriff auf die Geschichten bekomme. Ich versuche, ausgehend von einem gesellschaftlichen Thema, ausgehend von so einer Figur zu denken und habe zum Glück, neben dem eigenen Schreiben, Autoren, die mir helfen.

Warum haben Sie den Beruf der Kabarettistin gewählt und was fasziniert Sie daran?
Das Schöne im Unterschied zum Schauspiel ist, dass man eine direkte Interaktion mit den Leuten im Publikum hat. Man spürt sofort, wie die Stimmung ist, wie kann ich auf die Leute zugehen, wie nehmen sie das, was ich sage, auf. Das ist eine sehr große Herausforderung und andererseits etwas sehr Direktes, was ich mittlerweile liebe. Zugegebenermaßen war es nicht meine ursprüngliche Wahl.
Ich habe in Berlin Schauspiel studiert und bin dann zum Kabarett gekommen, weil eine Kabarettistin gesucht wurde. Gerade am Anfang hatte ich mit diesem „sich öffnen“ und mit diesem Metier so meine Probleme. Das ist nichts, was man sofort kann, wenn man aus dem Schauspiel kommt. Es war ein sehr spannender Prozess. Mittlerweile liebe ich es, wenn Leute richtig offen mit dabei sind.

Nehmen die Chemnitzer das Kabarett gut an?
Ich habe das Gefühl, dass wir gemocht werden.

Hauptthema Kulturhauptstadt: Heimatstadt Dresden, berufliches Zentrum Chemnitz. Wem drücken Sie die Daumen und denken Sie, Chemnitz hat gute Chancen?
Ich bin da frei von irgendeiner Bewertung. Ich weiß es nicht. Ich kenne die Kriterien, die für die Kulturhauptstadt wichtig sind, nicht. Ich bin einfach gespannt. Ich denke, jede Stadt hat es verdient und gönne es jeder Stadt.

Noch einmal zurück zu Ihrem Buch. Das Format lässt eine Fortsetzung zu. Spukt das schon in Ihrem Kopf rum?
Ich weiß es noch nicht, ob es eine Fortsetzung gibt. Ich schließe es nicht aus, habe aber noch keine Idee.

Am Mittwoch, dem 18. November, 20 Uhr, präsentieren Sie Ihr Buch im Kabarettkeller. Was erwartet die Besucher?
An dem Abend wird es Musik geben, es wird ein Interview mit mir geben. Es werden ein paar Leute, die mitgemacht haben, ihre Interviews vorlesen. Ich werde ein bisschen was über den Prozess des Buches erzählen und zum Abschluss wird es noch eine Signierstunde geben.

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