Strampeln für die Zuschauer

Maria Kreußlein, Susen Döbelt, Matthias Jatzwauk, Franziska Hartwich & Felix Rudolf

Macher der Woche vom 2. August 2019

Wie lassen ich Kultur und Bewegung, Nachhaltigkeit und Gemeinschaftsgefühl verbinden? Beim Strampeln fürs Filmegucken. Mit der spannenden Idee, dank Muskelkraft den Strom für ein ortsunabhängiges Open-Air-Kino zu erzeugen, haben sich Maria Kreußlein, Susen Döbelt, Matthias Jatzwauk, Franziska Hartwich und Felix Rudolf vor einem Jahr um eine Mikroprojektförderung auf dem Weg zur Europäischen Kulturhauptstadt 2025 beworben – und die Jury war sofort begeistert. Zwei Vorstellungen sind schon erfolgreich gelaufen, für die dritte gibt es gerade ein Voting, welcher Film gezeigt werden soll – unter www.fahrradkino-chemnitz.de. Maria Kreußlein, Franziska Hartwich  und Susen Döbelt beschreiben im Interview das Projekt und Reaktion der Besucher bei den ersten Vorstellungen.


Wie seid ihr auf die Idee zum Fahrradkino gekommen?
Maria:
Grundsätzlich ist das ja keine Idee von uns. Ich hatte das mal in Erfurt gesehen – und fand das absolut super. Einfach, weil ja Kino was sehr schönes ist und sich die positiven Emotionen auch gleich auf das Fahrradfahren übertragen. Dazu kommt der Lerneffekt, wenn angezeigt wird, wie viel Strom gerade gebraucht und durch die Fahrer produziert wird. Als ich dann von den Mikroprojekten las, kam mir das sofort in den Sinn.
Susen: Dann ist sie zu uns gekommen und hat gesagt: „Hey lasst uns das mal machen.“ Und wer Maria kennt, der weiß, wenn sie mit einer Idee um die Ecke kommt, ist Widerstand zwecklos. Aber im Ernst: Wir fanden die Idee auch klasse. Und Anträge schreiben liegt uns. Das gehört ja bei uns zum Job.

Ihr drei seid nicht nur befreundet, ihr arbeitet auch zusammen?
Susen:
Ja, wir arbeiten alle an der Professur für Allgemeine Psychologie und Arbeitspsychologie und beschäftigen uns mit Verkehrspsychologie, Elektromobilität, Nachhaltigkeit – das Fahrradkino passt da ganz gut dazu.
Maria: Nur mit der Stromerzeugung für ein Fahrradkino kennen wir uns nicht gut aus. Deshalb hab ich in meinem Freundeskreis noch Matthias und Felix akquiriert, die das drauf haben – und so sind wir zu fünft. Das ist ganz gut, weil jeder auch ein bisschen seine Vorlieben einbringt.

Apropos Vorlieben: Ihr seid alle begeisterte Radfahrer?
Maria: Absolut. Und ich möchte auch gern andere zum Fahrradfahren anstiften, weil es die beste Art der Fortbewegung ist, viel entspannter als Auto- oder Busfahren. Deshalb ja auch das Fahrradkino.
Susen: Fahrradfahren bedeutet ja einfach Unabhängigkeit – von Benzin, von Fahrplänen, von fast allem…
Maria: Wir sind aber nicht nur begeisterte Fahrradfahrer, sondern auch voll die Chemnitz-Fans. Obwohl ich als gebürtige Cottbusserin gestehe: Das hat drei Jahre gedauert. Ich weiß noch als ich meine Zulassung zum Psychologiestudium bekam: Angenommen – yeah. Chemnitz – oh Gott. Heute will ich hier nicht mehr weg.
Susen: Ich bin im Heckert groß geworden, war länger weg – in Wien zum Beispiel – und bin nun wieder zurück. Chemnitz hat mich auch nie ganz losgelassen, ich bin gern heimgefahren. Und mir war klar: Wenn du nochmal umziehst, dann zurück nach Chemnitz.
Maria: Denkt man gar nicht, dass Fahrradfahrer in Chemnitz glücklich sein könnten, oder?

Wenn sie gerade ein energie- und ortsunabhängiges Kino betreiben, ist es schon vorstellbar. Wie waren eigentlich die ersten Vorstellungen?
Susen:
Das ist schon ein gutes Gefühl, wenn nach der langen Vorbereitung dann endlich alles wirklich aufgebaut ist und tatsächlich Leute kommen - nicht, weil sie dich kennen, sondern weil sie deine Idee gut finden.
Maria: Wir haben ja insgesamt drei Veranstaltungen geplant, jede unter einem anderen Thema. Die erste am 15. Juni im alten Diamantwerk drehte sich allgemein ums Radfahren, die zweite am 13. Juli in der Gartenutopie an der Petersstraße war ganz Franziskas Ding – Nachhaltigkeit ist ihr großes Thema. Und Susen ist dann für die dritte Vorstellung im Heckert-Gebiet verantwortlich.
Franziska: Wobei wir natürlich komplett unterschätzt haben, wie aufwändig es sein kann, Filmrechte zu beantragen. Wir dachten: Tolle Idee, wir lassen einfach die Leute vorher abstimmen, welchen Film sie sehen wollen. Es stehen immer drei zur Auswahl, möglichst unterschiedliche Genre und nicht zu lang. Und dann sollen die mal entscheiden. Das kommt ja auch gut an, aber wir müssen dadurch erstmal für alle Filme die Rechte beantragen. Aber egal, wenn wir das diesen Sommer durchgezogen haben, sind wir auch darin Profis.

Geht ihr mit dem Fahrradkino bewusst in die Wohngebiete? Reichenbrand, Sonnenberg, Heckert-Gebiet…
Maria:
Da ist er wieder, der große Vorteil des Fahrrads. Wir können einfach überall hin und bringen deshalb auch bewusst die Kultur bis vor die Haustür, mal an ganz andere Orte.
Susen: Die Anwohner bekommen von uns auch vorher eine Postkarte in den Briefkasten, in die wir per Hand das Datum der Vorstellung eintragen, weil es uns wichtig ist, dem Ganzen auch sozusagen unsere eigene Handschrift zu geben.
Franziska: Bei uns sollen sich bewusst auch Stadtteilgemeinschaften treffen und gemeinsam einen Film gucken. Über das Fahrradfahren, das Abwechseln auf den Rädern – wer will abgelöst werden, wer will einspringen – und auch während des Fahrens kommen wildfremde Leute ins Gespräch. Das ist cool.
Maria: Die Mikroprojekte werden ja auch nicht gefördert, damit nur die Macher Spaß dran haben, sondern auch die Chemnitzer das gut finden.

Und vielleicht auch, dass die Projekte durch die Förderung den nötigen Anschub haben, um später auch weiter zu laufen...
Maria:
Erstmal haben wir die Anlage für das Fahrradkino nur gemietet. Wir wollten gucken, wie es läuft. Aber man könnte auch noch so viel mehr daraus machen als ein energieunabhängiges Kino. Auch Konzerte sind vorstellbar, Lesungen, irgendwas.
Susen: Zumal uns schon gleich nach der ersten Vorstellung einige Leute angesprochen haben, ob sie irgendwie mithelfen können, weil sie das Projekt toll fanden. Mal sehen, was wir noch draus machen.

Euer Projekt ist einer von vielen wichtigen Beweisen, dass allein die Bewerbung von Chemnitz als Kulturhauptstadt Europas schöne Spuren in der Stadt hinterlässt. Was aber müsste sich noch ändern, wenn wir den Titel tatsächlich bekämen?
Maria:
Dann müssen wir noch ein Hostel eröffnen. Und natürlich müssen wir noch viel an der Fahrradinfrastruktur machen.
Franziska: Ich glaube, es wäre eine große Chance für Chemnitz, wenn Gäste aus ganz Europa kämen. Denn internationale Begegnungen bauen auch Vorurteile ab. Wir eröffnen am besten gleich noch eine Fahrrad-Bar, wo sich die Leute treffen können.
Susen: Hostel mit Fahrradbar – perfekt.
Maria: Druckbetankung, sozusagen.
Franziska: 3bar. So geht das immer los – wir spinnen ganz viel. Und manchmal wird daraus auch was Reelles – wie beim Fahrradkino.
Maria: Im Ernst. Ich denke, Chemnitz ist eine gut vernetzte Stadt und es sind auch ganz viele Ideen da – als Kulturhauptstadt Europas könnten viel mehr davon umgesetzt werden.

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