Ein Leben für das Leben

Anett Schmid

Macherin der Woche vom 7. Juni 2019

Am vergangenen Mittwoch erhielt Hebamme und Mitgründerin des Geburtshauses Chemnitz, Anett Schmid, den Sächsischen Verdienstorden. Ministerpräsident Michael Kretschmer übergab die Auszeichnung in Dresden. Bei der Zeremonie im Dresdner Residenzschloss würdigte der Regierungschef den großartigen Einsatz der Frauen und Männer. „Durch ihr vielfältiges Engagement sind sie dem Freistaat Sachsen in besonderer Weise verbunden.


Die, die nicht wissen, was das Geburtshaus Chemnitz ist: Was ist das Besondere am Geburtshaus?
Anett Schmid:
Schwangerschaft und Geburt sind erst einmal prinzipiell keine Krankheiten und 95 Prozent verlaufen völlig normal. Das gerät leider oft in Vergessenheit. Wir sind bei diesem Thema deutlich medizinisch überfrachtet: sowohl bei der Vorsorge als auch bei der Geburt an sich. Es gibt Frauen, die wollen das nicht und suchen eine Begleitung bei der Geburt. Einen Ort, an dem sie ihr Kind auf die Welt bringen können und eine Hebamme dazu.
Das Geburtshaus liegt zwischen einer Hausgeburt und einer Klinik. Es ist eine außerklinische Betreuung. Zu uns können Frauen kommen, die prinzipiell gesund sind und keine schwere Grunderkrankung haben. Also z.B. keinen Diabetes, keine schwere Hypertonie.
Auch Mehrlingsgeburten brauchen eine Klinik und das Baby muss mit dem Köpfchen nach unten liegen...  Man muss die 37. Schwangerschaftswoche erreicht haben, alles was vorher ist, gehört zu den Frühgeburten. Das bedarf auch wieder einer anderen medizinischen Versorgung.
Das Geburtshaus ist kein Gegenstück zum Krankenhaus, sondern eine andere Form der Betreuung. Es ist ein individuellerer Ablauf, es ist viel selbstbestimmter für die Frauen und ohne routinemäßige Intervention. Man verlässt sich sehr auf die Ressourcen der Frau, auf ihr eigenes Wissen, denn Frauen sind für die Geburt gemacht und schaffen das.

Anett Schmid hat nach ihrem Studium an der Evangelischen Hochschule für Soziales in Dresden und ihrer Tätigkeit als Diplom-Sozialpädagogin eine Ausbildung zur Hebamme im Klinikum Chemnitz am 1. September 2001 abgeschlossen. Zunächst war sie noch in einer Klinik tätig, bevor sie dann freiberuflich ins Geburtshaus wechselte. Der Beruf Hebamme ist für sie im wahrsten Sinne des Wortes Berufung. Doch leider werden es um sie herum immer weniger, die sich zur Hebamme ausbilden lassen bzw. es studieren.

Woran liegt das?
Das hat mehrere Gründen: Es fing damit an, dass die Haftpflichtversicherung pro Jahr drastisch gestiegen ist. (Anmerk.: d. Red. 2017 lag sie noch bei 7.639 Euro, seit 1. Juli 2018 beträgt sie jährlich 8.174 Euro.) Das ist ein großer Anteil, aber der ist es nicht alleine. Es ist auch die Dokumentation – also allein die Abrechnungsdokumentation ist auch immer schärfer geworden. Man hat zudem ständig Rufdienst und keinen „normalen“ Dienst von 8 bis 16 Uhr.

Wie viele Hebammen sind hier im Geburtshaus?
Wir sind zu zweit in der Geburtshilfe. Wir waren mal ein größeres Team, aber eine Kollegin ist in die Klinik zurück und eine andere arbeitet jetzt ohne Geburtshilfe. Wir brauchen unbedingt wieder Nachwuchs. Nur schade, dass man Hebamme nicht auch in Chemnitz studieren kann.

Man kann es studieren?
Ja, ab nächstes Jahr  muss EU-Recht umgesetzt werden. Leider hängt Sachsen in der Umsetzung hinterher. Wir haben zwei super große Kliniken in Chemnitz, an denen man das anbieten könnte. Sonst gehen die jungen Menschen, die den Beruf erlernen wollen, auch wieder weg. Dresden oder Leipzig haben diesen Hebammenmangel nicht so. Diese Städte ziehen junge Menschen an.

Woher nehmen Sie Ihre Motivation?
Früher habe ich mich im Kurs vorgestellt und gesagt, Hebamme: ein Beruf, der eine Berufung ist. Man wird nicht einfach so Hebamme. Ich bin es mit Leib und Seele. Es ist ein enormes Privileg, Frauen bzw. Familien begleiten zu können, wenn sie ihr Kind bekommen. Ich kann mir nichts Schöneres vorstellen.

1993 gründete Anett Schmid gemeinsam mit sechs weiteren Frauen den Verein „erlebnis geburt“ aus dem 2000 das Geburtshaus Chemnitz hervorging. Seither engagiert sich die vierfache Mutter äußerst aktiv als ehrenamtliches Vereinsmitglied und war 25 Jahre Vorstandsmitglied, um das Geburtshaus und dessen Angebote weiter zu entwickeln und zu erhalten. „Mir ist auch klar, wenn das Geburtshaus zu macht, dann gibt es keinen Ort mehr für die freie Geburt und Frauen hätte kein Geburtswahlrecht mehr.“

Wie kam es zur Gründung des Geburtshauses?
Als ich mit meinem ersten Kind schwanger war, bin ich in den beiden großen Chemnitzer Kliniken zu den Info-Abenden gewesen und habe eigentlich erst danach Angst vor der Geburt bekommen. Da habe ich gedacht, das geht nicht. Wir haben angefangen zu suchen. Ich habe  mich dann über außerklinische Geburtshilfe belesen und das Geburtshaus in Halle gefunden. Die Hebammen vor Ort waren sehr stärkend. Es war eine sehr schöne Geburt. Natürlich auch eine lange, anstrengende, aber ich wurde gut begleitet. Nach der Geburt meinten die Hebammen in Halle, dass es noch so eine Verrückte gibt, die extra aus Chemnitz kommt, um ihr Kind hier auf die Welt zu bringen. Nachdem der Kontakt hergestellt war, entschlossen wir uns, mit fünf anderen Frauen den Verein zu gründen. Es ist nämlich nicht schön, mit Wehen nach Halle zu fahren (lacht). Mittlerweile gibt es mehrere Geburtshäuser im Umkreis: in Freiberg, Annaberg-Buchholz und dann natürlich Dresden und Leipzig.

Wie finanziert sich das Geburtshaus?
Das Geburtshaus ist immer eine Mischfinanzierung. Zum Teil über die Betriebskosten, die die Krankenkasse für die Geburtshilfe zahlt, zum Teil über Kursgebühren, beispielsweise Babymassage. Außerdem über Mitgliedsbeiträge, über Spenden und nicht zuletzt durch die Unterstützung der Stadt Chemnitz.
Ich finde, dass eine Stadt wie Chemnitz ein Geburtshaus braucht. Nachdem schon das Haus der Familie zu ist, wo sollen denn dann die ganzen Eltern hin? Schon allein von den Kursen her. Es braucht solche Anlaufpunkte.

Wie viele Geburten betreuen Sie im Jahr?
Wir kommen zu zweit auf ca. 30 Geburten.

Völlig konträr zu ihrer Tätigkeit als Hebamme ist Anett Schmid seit 2018 Mitarbeiterin im Hospiz Chemnitz und absolvierte zur Ausübung dieser Tätigkeit berufsbegleitende Fortbildungen in „Palliative Care“ zur Behandlung, Pflege und Begleitung schwerstkranker und sterbender Menschen. Neben der allgemeinen Hospizarbeit spezialisierte sie sich auf die Betreuung von Eltern mit „Sternenkindern“. Seit 2018 ist Anett Schmid Referentin für Fortbildungen zu den Themen Tod, Sterben, Pflege und Zuwendung von Sterbenden.

Lassen sich beide Tätigkeiten miteinander vereinbaren?
Klar. Das sind quasi die zwei entscheidenden Phasen im Leben. Sowohl Geburt als auch der Tod sind für mich Übergänge im Leben. Es ist für mich ein totales Privileg, das begleiten zu dürfen. Ich habe schon sehr zeitig, 2001/2002, an der Klinik damit angefangen. Ich habe mir gesagt, dass auch Eltern betreut werden müssen, die Fehl- oder Totgeburten zur Welt bringen oder ein lebensverkürzt erkranktes Kind haben, das nur wenige Stunden oder Tage lebt. Ich habe schon damals im Kreißsaal angeregt, das anders zu betreuen. Über die Zeit war ich Hebamme für Eltern, die so etwas durchmachen müssen. Ich begleite auch Fehl- und Totgeburten zu Hause. Natürlich lange nicht so oft, zum Glück gibt es das viel seltener. Und das hat dann irgendwann dazu geführt, dass ich diese Palliative-Care-Ausbildung gemacht habe, die man braucht, um beim Sterben zu begleiten.
Ich stelle mir vor, dass es mit das Schmerzlichste ist, das man im Leben durchmacht. Ein Kind tot zur Welt zu bringen oder auch später ein Kind zu verlieren. Das ist so nicht vorgesehen, aber es passiert eben immer wieder. Leben birgt Risiken. Zu der Mutter und dem Vater wird das Kind immer gehören. Es ist ihr Kind. Ich finde, dafür einen würdigen und respektvollen Umgang zu finden, ist eine Aufgabe. Mittlerweile gibt es auch ein Gesetz, dass diese Kinder bestattet werden müssen. Das organisiere ich im Hospiz einfach mit. Ich empfinde es als einen Segen. Ich bin am Anfang und am Ende dabei – da schließt sich der Kreis. Das ist genau mein Platz. Ich möchte nichts anderes machen.

Für ihr weitreichendes Engagement wird Anett Schmid nun mit dem Sächsischen Verdienstorden ausgezeichnet. Eine Würdigung, die sie nicht nur auf sich, sondern den Berufsstand der Hebammen beziehen möchte, denn dieser muss gestärkt werden. „Die Ehrung ist noch gar nicht bei mir angekommen. Zum einen wüsste ich gerne, wie man dafür vorgeschlagen wird und zum anderen weiß ich gar nicht so richtig, für was.“ Die Begründung liefert die Bekanntmachung des Ministerpräsidenten über die Stiftung des Verdienstordens des Freistaates vom 27. Oktober 1997: „Als Zeichen dankbarer Anerkennung für hervorragende Verdienste um den Freistaat Sachsen und seine Bevölkerung wird der Verdienstorden des Freistaates Sachsen gestiftet. Er wird an in- und ausländische Persönlichkeiten für Leistungen verliehen, die insbesondere im politischen, sozialen, kulturellen und wirtschaftlichen Bereich sowie auf dem Gebiet der Umwelt dem Wohl der Allgemeinheit dienen.“

Wir wollen 2025 Kulturhauptstadt Europas werden. Wie stehen Sie zu diesem Projekt?
Eine Geburt und auch der Tod sind beides hohe Kulturgüter. Ich finde, die Bewerbung zur Kulturhauptstadt Europas ist ein herausforderndes Projekt. Es stünde Chemnitz gut zu Gesicht. Zwar bin ich noch ein bisschen skeptisch, womit wir alles punkten wollen. Aber es lohnt sich auf alle Fälle. Deshalb stehe ich hinter dem Projekt.

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