Alltägliche Schätze aus Glas

Linda Pense

Macherin der Woche vom 4. Oktober 2019

Noch bis zum 1. Dezember zeigt das Industriemuseum die Ausstellung „Ich bin ganz von Glas. Marianne Brandt und die gläserne Kunst von heute.“ Das Projekt des Kunstvereins Villa Arte in Kooperation mit dem Industriemuseum widmet sich in besonderer Weise dem Werkstoff Glas. Im 100-jährigen Jubiläum des Bauhauses vereint die Ausstellung Arbeiten der berühmten Chemnitzer Bauhauskünstlerin Marianne Brandt, mit Ergebnissen des 7. Internationalen Marianne Brandt Wettbewerbs und Glasschätzen der Chemnitzer Bürgerinnen und Bürger. Für Linda Pense, künstlerische Leiterin der neuen Sonderausstellung, ein Mammutprojekt.


Wie sind Sie auf den Ausstellungstitel gekommen und warum?
Linda Pense:
Der Titel greift das Zitat „Ich bin ganz von Glas“ aus einem nicht veröffentlichen Gedicht Marianne Brandts von 1922 auf. Das durchsichtige Glas galt in der klassischen Moderne und am Bauhaus als Vorzeichen einer demokratischen und transparenten Gesellschaft. Heute sind Künstler und Gestalter davon fasziniert, dass uns Glas wie kein anderes Material die Welt sichtbar macht – sei es durch Fenster oder Linsen. Deshalb erforschen sie dieses physikalisch durchaus rätselhafte und fragile Material immer wieder neu. Zudem hat jeder eine Verbindung zu Glas.

Wie lange dauert die Vorbereitung einer solchen Ausstellung?
Wir haben jetzt zwei Jahre daran gearbeitet. Im ersten Jahr ging es um die Themenfindung, Konzeptentwicklung, Antragsstellung, Ausschreibung und Absprachen mit allen Beteiligten. Im zweiten Jahr wurde es dann konkreter. Es war erstaunlich viel Organisatorisches zu erledigen.

Die gebürtige Chemnitzerin Marianne Brandt studierte 1923 am Bauhaus in Weimar. Ihre kugeligen Teekännchen und flachen Aschenbecher machten sie im männerdominierten Bauhaus zu einer der bekanntesten Künstlerinnen. Alle drei Jahre wird ihr vom Kunstverein Villa Arte ein eigener Wettbewerb gewidmet: der Marianne Brandt Wettbewerb. In diesem Jahr findet er bereits zum 7. Mal statt. Von insgesamt 354 Teilnehmenden aus 37 Ländern hat die internationale Jury in diesem Jahr 60 Bewerberinnen und Bewerber nominiert, deren Arbeiten im Industriemuseum zu sehen sind. „Der Wettbewerb sucht die besten Künstler in Marianne Brandts Schaffensgebieten: Produktgestaltung, Fotografie und Versuchsanordnung“, erklärt Linda Pense. „In diesem Jahr mit dem Thema Glas.“ Denn Brandt habe selbst viel mit diesem Material gearbeitet. Einige dieser Arbeiten, wie beispielsweise Leuchten, sind neben Fotografien, Textdokumenten und Entwurfszeichnungen aus der Zeit am Bauhaus zu sehen.

Was fasziniert Sie persönlich an Marianne Brandt?
Sie hat viel experimentiert und sich dabei häufig selbst inszeniert, wie zum Beispiel mit ihrem berühmten Metall- und Glasschmuck. Sogar mit erzgebirgischer Volkskunst hat sie experimentiert. Ursprünglich hat sie Malerei studiert, sich selbst als Kunstschaffende verstanden und wollte aber auch unbedingt Nützliches schaffen. „Kein Tag ohne Suche“ sagt sie einmal.
Dabei liegt ihre Stärke in ihrer plastischen Formkraft. Gegenstände, wie die Teekanne oder die Leuchten, gehören zu den ikonischsten Bauhausobjekten, da sie fein ausgewogene Proportionen und eine Klarheit haben, die einem Empfinden entspricht, das man auch in ihren Gedichten wiederfinden kann. Das ist auch der Punkt, der mich am meisten an ihr fasziniert. Ich betrachte Marianne Brandt als eine literarische Figur, die nicht so leicht zu fassen ist.

Seit 2001 wird der Marianne Brandt Wettbewerb vom Kunstverein Villa Arte ausgelobt. Alle drei Jahre sind kreativ Schaffende eingeladen, Arbeiten zu einem bestimmten Thema einzureichen. „Anfang 2008 habe ich mein Diplom im Industriedesign in Halle abgeschlossen. Danach wollte ich gerne etwas machen, das nicht nur schön, sondern auch nützlich ist, das gebraucht wird“, so Linda Pense. Durch einen Zufall kam sie dann zu Marianne Brandt und zum Kunstverein Villa Arte, der den Wettbewerb durchführt. „Beim vierten Wettbewerb 2011 wurde in der Kategorie Produktgestaltung ein aus Papier gefalteter Kolibri ausgezeichnet. Die Jury wollte damit die Frage aufwerfen: Was brauchen wir heute eigentlich noch? Genau die Frage, die mich zu diesem Zeitpunkt auch beschäftigt hat.“ Ein Filmprojekt über Industriedesign, auch im Zusammenhang mit Marianne Brandt, an dem sie mitwirkte, brachte Linda Pense dem Wettbewerb und der Initiatorin Ilona Rosenkranz nahe. Sie und weitere Mitstreiter wurden von ihr gefragt, ob sie nicht die Organisation übernehmen und den Wettbewerb weiterführen wollen.

Sie sind dann gleich Vorsitzende des Vereins Villa Arte geworden?
Wir waren vier junge Leute, die den Verein übernehmen sollten. Die drei anderen haben auf mich gezeigt, als es um den Vorsitz ging (lacht). Wir mussten uns dann in alles erst einmal einarbeiten: wie Vereinsstrukturen aufgebaut sind, wie man Anträge schreibt, die Logistik des Wettbewerbs und der Ausstellung. Wir haben alles hinterfragt. Von der Homepage, über die Einsendungen bis zur Preisverleihung und natürlich die Inhalte.

Die Ausstellung „Ich bin ganz von Glas“ vereint verschiedene Aspekte und ermöglicht verschiedene Dialoge. Beispielsweise zwischen Fotografie und Produkt und historischen sowie zeitgenössischen Arbeiten. Außerdem konnten sich die Chemnitzer aktiv mit ihren persönlichen gläsernen Erinnerungsstücken und deren Geschichte an der Schau beteiligen.

„35 Objekte wurden eingereicht“, sagt Linda Pense, gemeinsam mit dem Klub Solitaer haben wir in mehrmonatiger Arbeit diese Glasschätze zusammengetragen und ausgewählt. So hat eine Familie eine Lampe beigesteuert, die die Großeltern 1936 zu ihrer Hochzeit bekommen haben. Diese Lampe befand sich in einer Wohnung auf dem Kaßberg, die 1945 bei einem Bombenangriff zerstört wurde. Einzig die Lampe blieb intakt.

Wie schätzen Sie die Auseinandersetzung der Chemnitzer mit der berühmten Stadttochter ein?
Es gab passionierte Reaktionen: Menschen, die sehr gern ihre Geschichte erzählen wollten. Ich finde es schön, diese Ausstellung der Alltagsgegenstände dabei zu haben. Denn es geht in der Industriekultur und im Design um die Gestaltung des Lebens, ganz praktischer alltäglicher Dinge, in denen sich die Menschen wiederfinden. Ich befürchte aber, dass viele Marianne Brandt noch nicht kennen. Das wollen wir mit dieser Ausstellung ändern.

Was machen Sie hauptberuflich?
Durch die Tätigkeit mit dem Wettbewerb bin ich in Bauhauskontexte hineingekommen und arbeite mit der Stiftung Bauhaus Dessau zusammen. Sie hat den Auftrag, das Erbe des Bauhauses zu bewahren und zu vermitteln. Hier gebe ich Workshops und unterrichte. Als Designerin habe ich wie Marianne Brandt zum Beispiel auch Teekannen entworfen. Aktuell bin ich hauptsächlich, aufgrund eines weiteren Studienabschlusses in Malerei und Grafik, Künstlerin.

Chemnitz möchte 2025 Kulturhauptstadt Europas werden. Denken Sie, dass wir das schaffen?
Ich denke, die Chancen stehen sehr gut. Es fällt auf, dass sich Chemnitz bei der Bewerbung zur Europäischen Kulturhauptstadt 2025 sehr engagiert. Mit Marianne Brandt hat Chemnitz eine bedeutsame Figur, die eine internationale Beteiligung am Wettbewerb und eine internationale Jury anzieht. Das eröffnet ein internationales Format, das anders nicht so einfach hinzubekommen ist.

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