Buonasera signore e signori
Salvatore Grancagnolo
Macher der Woche vom 1. Februar 2019
Die Volkshochschule Chemnitz feiert in diesen Tagen ihren 100. Geburtstag. Ein Jubiläum, das 2019 mit Veranstaltungen gewürdigt wird. Für Salvatore Grancagnolo ist es ebenfalls ein besonderes Jahr. „Im September unterrichte ich seit 20 Jahren an der Volkshochschule“, erzählt der Dozent für Italienisch. Der gebürtige Italiener ist einer von zirka 400 Lehrern aus über 30 Ländern, die 2018 mehr als 14.000 Lernwillige betreuten. Einer mit Leidenschaft und großem Engagement. Seine Kurse sind seit 20 Jahren regelmäßig ausgebucht. Wenn er von seinen Schülern und dem gemeinsamen Unterrichtsstunden erzählt, leuchten ihm die Augen.
Was treibt Sie seit 20 Jahren an, den Leuten etwas beizubringen?
Salvatore Grancagnolo: Generell diese Neugier. Ich empfinde es als Ehre, dass jemand kommt und nicht nur die italienische Sprache lernen möchte, sondern auch die Italiener an sich und deren Lebensweise. Meine Schüler sind neugierig und haben Interesse an dem Land, das ich repräsentiere.
Ich habe mir gesagt, wenn ich es irgendwann nur wegen des Geldes mache, höre ich auf.
Dann verliert man die Leidenschaft?
Ja! Das Wort, das ich so liebe in der deutschen Sprache, ist Berufung. Glauben Sie mir: Angenommen ich hatte einen schlechten Arbeitstag und mache dann die Tür auf, komme in den Kursraum, ist in dem Moment alles weg. Einige gehen ins Fitnessstudio. Ich darf unterrichten, erzählen und den Leuten etwas beibringen.
In den vergangenen 20 Jahren habe ich so viele Menschen kennengelernt, von denen jeder eine kleine Geschichte mitbringt. Sie haben sich in meinen Kursen geöffnet und mir sehr persönliche Dinge mitgeteilt: negative Erlebnisse, etc. Das ist ein Geschenk, das mir da gemacht wird.
Und wenn sich die Teilnehmer öffnen, dann öffne ich mich ja auch. Das ist etwas Wunderbares. Das ist wie sich mit Freunden treffen.
Wer möchte Italienisch bei Ihnen lernen?
Ich habe ein unterschiedliches Spektrum an Teilnehmern. Mein jüngster war 15 und mein ältester fast 80. Sie kommen aus verschiedenen sozialen Schichten und lernen dann gemeinsam.
In 20 Jahren haben Sie doch sicherlich auch „Wiederholungstäter“ dabei?
Ja, in einigen Kursen sitzen immer die Gleichen (lacht).
Warum?
Weil man ein Leben lang lernt. Es ist wie Sport. Wenn man beispielsweise Tennis spielen würde und dann ein halbes Jahr nicht mehr, schmerzt es nach dem ersten Mal wieder.
Es sind auch nicht immer die gleichen Themen in den Kursen. Ich glaube, dass ich dieses Semester einen der höchsten Sprachniveau-Kurse habe. Hier beschäftigen wir uns mit Literatur und Theaterstücken.
Italienisch ist jetzt keine Weltsprache. Woher kommt die Faszination der Chemnitzer für diese Sprache?
Das habe ich mich auch oft gefragt. Eine richtige Antwort habe ich nicht.
Liegt das vielleicht an Ihnen?
(Lacht) Vielleicht. Ich denke aber, und das gilt nicht nur für mich, dass natürlich viel Wert auf einen Muttersprachler gelegt wird. Davon haben wir in der Volkshochschule einige. Neben der Sprache wollen die Lernenden viel über die Menschen, das Leben und die Kultur wissen. Solche Sachen, die in keinem Lehrbuch stehen. Und das bekommen Sie von einem Einheimischen.
Und dann ist die Neugier der Chemnitzer groß. Russisch musste man hier in der Schule lernen, Englisch ist Weltsprache, fast Pflicht. Italienisch sprechen jetzt nicht so viele.
Wie sind Sie eigentlich zu Ihrer „Berufung“ gekommen?
Der damalige Leiter des Sprachbereichs in der Volkshochschule Chemnitz war ein Italiener. Er hatte den italienischen Konsul in Chemnitz zu Besuch und lud dazu alle Italiener, die in Chemnitz wohnten, ein. In der Vorstellungsrunde wurde erwähnt, dass die Volkshochschul-Dozenten sucht. Darüber habe ich dann nachgedacht und nach ein paar Tagen zugesagt.
Klingt nicht danach, als hätten Sie Pädagogik studiert?
Jein. In Italien gibt es kein Lehramtsstudium, das mit dem in Deutschland vergleichbar ist. Ich habe Naturwissenschaften studiert, schon in die Richtung, dass ich unterrichten kann. Außer mit ein paar Nachhilfegruppen hatte ich keine Erfahrung als Pädagoge. Die Anstellung bei der Volkshochschule war wie ein Sprung ins kalte Wasser.
Nach Chemnitz hat es Salvatore Grancagnolo vor 23 Jahren eher zufällig verschlagen. In seiner Heimat Sizilien herrschte eine hohe Arbeitslosigkeit und die betraf auch den damaligen 27-Jährigen. „Ich habe das Glück, ein Produkt Deutsch-Italienischer-Freundschaft zu sein. Ich bin in Nordrhein-Westfalen geboren. Wir gingen dann aber schnell nach Italien“, lacht Grancagnolo. Der Vater Italiener, die Mutter Deutsche. „Wir haben zu Hause Deutsch gesprochen. Deshalb kann ich die Sprache.“ So kam der Catanese nach Chemnitz, um als Übersetzer in der Baubranche zu arbeiten. Es hätte auch jede andere Stadt in Deutschland werden können. „Italiener tun sich schwer mit Leidenschaft für eine Stadt, die nicht ihre Heimat ist. Sie erzählen dann lediglich, dass sie dort wohnen oder arbeiten. Aber mein Credo ist, dass ich in Chemnitz lebe.“ Inzwischen arbeitet Salvatore Grancagnolo im Vertrieb eines Unternehmens für IT-Lösungen.
Was ist für Sie mittlerweile Heimat – Deutschland oder Italien?
Das ist eine gute Frage. Das ist wie die Frage, fühlst du dich mehr als Deutscher oder als Italiener. Ich habe mich früher angestrengt, eine Antwort zu finden. Heute nicht mehr. Ich bin beides. Ich fühle mich in Italien wohl, kenne aber auch die negativen Seiten, fühle mich wohl in Deutschland und kenne aber auch hier die Schattenseiten. Wenn ich nach dem Wetter entscheiden müsste, wäre die Sache klar. (lacht)
Beides ist irgendwie Heimat, wobei mir Chemnitz näher am Herzen liegt. Das habe ich auch sehr intensiv nach den Bildern, die im vergangenen August aus Chemnitz um die Welt gingen, gemerkt. Das hat mich richtig heftig getroffen und tat mir als Chemnitzer weh. Und nach 23 Jahren behaupte ich, egal welchen Pass ich habe, ich bin Chemnitzer.
Was ich den Chemnitzern gern sagen möchte, die immer vergleichen: Wir sind nicht Dresden. Wir sind nicht Leipzig. Und Dresden und Leipzig sind weder Venedig noch Florenz. Ich kann mich nicht mit irgendetwas vergleichen. Auf das, was wir haben, können wir stolz sein. Ich bin beispielsweise der Meinung, Chemnitz ist eine der grünsten Städte. Das bestätigen mir Freunde, die mal nach Chemnitz kommen. Die sagen dann: Ihr habt so viele Parkanlagen, sind wir schon außerhalb der Stadt? Nein, wir sind immer noch in Chemnitz.
Weil Sie gerade die schwere Zeit im August erwähnten. Wurden Sie von Ihren italienischen Freunden oder von der Familie darauf angesprochen?
Meine Mutter, die mittlerweile wieder in Nordrhein-Westfalen lebt, hat natürlich gefragt, wie es bei uns aussieht. Dort hat man ja gedacht, dass hier in Chemnitz alle etwas gegen Ausländer haben. Ich habe noch nicht ein einziges Mal eine solche Erfahrung gemacht. Vielleicht hinter meinem Rücken. Aber direkt, kein einziges Mal. Ich verkrieche mich nicht, ich bin draußen präsent. Nie heißt aber auch jetzt nicht, dass es das Problem nicht gibt. Es ist da, aber meiner Meinung nach eben nicht so, wie es nach außen skizziert wird.
Wir wollen Kulturhauptstadt 2025 werden. Wie stehen Sie zu diesem Vorhaben?
Dem stehe ich natürlich offen gegenüber. Chemnitz kann das schaffen. Das ist einer der Gründe, warum ich die Stadt so liebe. Sie erinnert mich immer an Catania. Catania ist auch immer in Verruf gewesen und ist in den Neunzigern aufgeblüht. Wir waren das Seattle Europas. Durch eine wunderbare Konstellation: Ich glaube irgendein Musiker oder Produzent hatte REM kennengelernt. Die haben das einzige Konzert Italiens in Catania gespielt, obwohl wir normalerweise von einem Weltstar gar nicht wahrgenommen werden. Das war dann wie ein Impuls – dann kamen auch Nirvana und andere Musikgruppen. Es florierte. An jeder Ecke entstanden Lokale, die Live-Musik präsentierten. Und plötzlich Stadtviertel blühten Stadtviertel, die komplett runtergekommen waren, wie vielleicht in Chemnitz der Brühl, auf. Nicht nur wegen der Einrichtungen, sondern es waren dann Leute da. Das fand ich sehr schön. Plötzlich stand Catania für etwas Positives, wurde auch intellektuell wahrgenommen.
Deshalb wünsche ich Chemnitz diesen Titel.
Salvatore Grancagnolo hat Hoffnung, dass Chemnitz den Titel Europäische Kulturhauptstadt 2025 holt, weil er auch die diesjährige Kulturhauptstadt in Italien – Matera – kennt. „Es gab Zeiten, da hat man sich gefragt, wo liegt Matera überhaupt“, erzählt er. Außer die Höhlensiedlungen, die seit 1993 zum UNESCO Weltkulturerbe gehören, sei es eine vergessene Stadt gewesen. Der Mel Gibson Film von 2004 Die Passion Christi „hat schon einiges geändert. Aber letztendlich haben sie sich dann aufgerappelt. Matera ist nicht Neapel, aber es hat seine eigene Geschichte und etwas zu bieten. Und das können wir auch.“ Chemnitz sei genauso interessant, wenn nicht noch interessanter. Denn von Leipzig und Dresden kenne man viel mehr, so Grancagnolo. „Ich denke, dass einige überrascht sagen: Was? Wirklich? So etwas gibt es hier? Das wusste ich gar nicht. Wir haben so viele Perlen, die man zeigen kann.“